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Welcome Center in Magdeburg soll Arbeitsmigranten anlocken | ABC-Z

In Sachsen-Anhalt gibt es zwei Arten von Menschen. Die Oliver Kirchners und die Kerstin Mogdans. Kirchner ist AfD-Fraktionsvorsitzender im Magdeburger Landtag. Er würde die Einwanderung in das ostdeutsche Bundesland am liebsten auf fast null reduzieren. Mogdans ist Koordinatorin und Beraterin im Welcome Center Sachsen-Anhalt in Magdeburg und unterstützt Menschen aus der ganzen Welt, einen Job in ihrem Bundesland zu finden. Sie will eine Willkommenskultur schaffen, damit mehr ausländische Arbeitskräfte in die Region kommen.

Wenn Leute wie Kirchner an der Macht wären, würden Leute wie Mogdans wahrscheinlich ihren Job verlieren. Die F.A.S. hat Kirchner gefragt, er sagte: „Wenn die AfD in Regierungsverantwortung kommt, müssten die bisherigen Initiativen zumindest auf den Prüfstand gestellt werden.“ Und wenn Mogdans vor Kunden die Vorzüge Sachsen-Anhalts auflistet, sollte sie wahrscheinlich nicht erwähnen, wo Kirchners Partei in den Umfragen steht, nämlich bei 30 Prozent.

Dieser Text stammt aus der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung.



Zugegeben, Kirchner will den Fachkräftemangel schon „punktuell und übergangsweise“ mit Arbeitskräften aus dem europäischen Ausland lindern. Langfristig geht es ihm aber um die „Ausschöpfung des einheimischen Fachkräftepotentials“. Die demographische Realität sieht anders aus. Nach aktuellen Berechnungen verliert Sachsen-Anhalt bis zum Jahr 2040 zwölf Prozent seiner Bevölkerung, jeder dritte Bürger wird älter als 65 Jahre alt sein. Ohne Migration wird diese Entwicklung kaum zu bremsen sein. So fragwürdig, wie Kirchner meint, ist es also nicht, wenn Mogdans Einwanderern hilft. Und die AfD ist dabei nicht das einzige Hindernis, auch die Bürokratie bremst.

Im Fall von Habib C. war das so, einem 47 Jahre alten Inder, der lieber ohne Nachnamen in der Zeitung steht. Ohne Mogdans Hilfe hätte er es wahrscheinlich nicht geschafft, in Magdeburg Lehrer zu werden, sagt er rückblickend, als die beiden sich auf einen Kaffee treffen. Er stand vor einer schier unüberwindbaren bürokratischen Barriere. Weil er eine Altersgrenze erreicht hatte, musste er als Ausländer nachweisen, dass seine Altersversorgung trotz des späten Einstiegs gesichert ist. Das war mit dem Grundgehalt des ersten Berufsjahres aber nicht möglich. Und das, obwohl Sachsen-Anhalt händeringend nach Lehrkräften sucht und C. die idealen Voraussetzungen mitbrachte. Weil der Informatiker als junger Mann in Deutschland studierte, spricht er die Sprache fließend. Trotzdem blieb ihm das Arbeitsvisum verwehrt.

Bürokratische Grenzen überwinden

Als C. nicht mehr weiterwusste, verwies ihn eine Freundin an Kerstin Mogdans und das Welcome Center. Dort half man, die Behörden zu überzeugen, dass er noch genug verdienen wird, um im Alter versorgt zu sein. „Im Fall von Herrn C. mussten wir die bürokratischen Grenzen erst überwinden“, sagt Mogdans.

Bürokratie ist deutschlandweit ein Problem bei der Gewinnung ausländischer Fachkräfte. Viele gut ausgebildete Migranten müssen in Hilfsberufen arbeiten, weil ihre Qualifikationen nicht oder nur teilweise anerkannt werden. Komplizierte Behördensprache, lange Wartezeiten und Vorgaben, die kaum zu erfüllen sind, demotivieren ausländische Bewerber. Manche geben dann auf.

Der Ukrainer Oleh Mamuka im Beratungsgespräch mit der Koordinatorin des Welcome Centers, Kerstin Mogdans.Aaron Leithäuser

Auch Habib C. war oft frustriert, blieb aber dran. Dabei war er sich zweier Privilegien bewusst, die andere Migranten oft nicht mitbringen: Zum einen spricht er fließend Deutsch, zum anderen bewarb er sich aus dem EU-Ausland auf die Stelle als Mathe- und Englischlehrer. Seit 2018 führte C. sein eigenes Unternehmen in Tschechien für den Vertrieb von exotischen Obst- und Gemüsesorten. Während der Corona-Krise musste er sein Geschäft aufgeben. „Ich hatte Glück, dass ich bereits in Tschechien war. Da ist es einfach, einen Termin bei der deutschen Botschaft zu bekommen“, sagt C. In Indien könne das schon mal zwei Jahre dauern. Auch ist sich C. sicher, dass er die Bürokratie ohne seine Deutschkenntnisse nicht hätte bewältigen können. Dass Deutschland ein sehr strukturiertes Land ist, findet er manchmal gut, manchmal sehr anstrengend: So seien die Deutschen eben, sagt er.

Mit Rassismus hat C. noch keine Erfahrung gemacht. Seit Mai unterrichtet er in der Mittelstufe einer Magdeburger Schule. Auch Mogdans kennt nur wenige Einwanderer, die sich unwohl fühlen. „Im Welcome Center erfahren wir nur von Einzelfällen von Diskriminierung.“ In der Statistik lassen sich schon Indizien finden. Die fremdenfeindlichen Straftaten sind so hoch wie nie. Mit knapp 700 Fällen im Jahr 2023 sind fast 100 im Vergleich zum Vorjahr hinzugekommen. Wer im Internet nach aktuellen Beispielen sucht, wird schnell fündig.

Im Landkreis Börde verprügelten im September vier Unbekannte eine Frau aus Afghanistan. Im Juli schlugen knapp 20 Männer einen Kenianer in Magdeburg ins Krankenhaus, einen Monat zuvor griffen zwei Frauen eine Syrerin an, die mit ihrer Tochter auf den Bus wartete. So geht die Liste immer weiter, Körperverletzungen, Beleidigungen. Das Motiv ist immer Fremdenfeindlichkeit. Es sind eben nicht alle Orte in Sachsen-Anhalt so einladend wie das Welcome Center. „Die Veränderungen im politischen Klima insbesondere in Ostdeutschland werden von internationalen Fachkräften durchaus zur Kenntnis genommen“, sagt Gero Kunath vom Institut der deutschen Wirtschaft.

Sie möchte eine Willkommenskultur schaffen: Kerstin Modgans im Welcome Center.Aaron Leithäuser

Kerstin Mogdans weiß, wie es ist, sich ein zweites Leben aufzubauen. Anfang der Sechzigerjahre in der DDR geboren, studierte Mogdans in den Achtzigerjahren Betriebsgestaltung in Magdeburg. Bis zur Wende arbeitete sie in einem Werkzeugmaschinenunternehmen. Mit dem Niedergang der ostdeutschen Industrie musste sie sich neu orientieren. Mittlerweile ist Mogdans seit knapp 30 Jahren Arbeitsmarktvermittlerin. Die Erfahrung, sich im wiedervereinigten Deutschland in einem neuen Beruf zurechtzufinden, helfe ihr dabei, ihre Kunden zu verstehen.

Von Mariupol nach Magdeburg

Seit dem russischen Angriff auf die Ukra­ine kommen viele Ukrainer. Als die Russen Mariupol 2022 in Schutt und Asche legten, floh der Rechtsanwalt Oleg Mamuka mit seiner Familie aus der ukrainischen Hafenstadt nach Sachsen-Anhalt. In seinem alten Beruf kann der Jurist nicht mehr arbeiten. Er kennt nur das ukra­inische Recht. An einem Vormittag im Oktober spricht er mit Mogdans Kollegin Nataliya Detka über seine berufliche Zukunft. Die Beraterin spricht Russisch und Ukrainisch, das hilft. Er wolle so schnell wie möglich arbeiten, sagt Mamuka. Er habe auch überlegt, bei einem Versandhändler anzufangen. Detka überzeugte ihn davon, dass dies kein nachhaltiger Weg sei. Jetzt lässt sich der Familienvater zum Rechtsanwaltsfachangestellten ausbilden und macht einen Sprachkurs.

Auch die Ukrainerinnen Antonia Golovatiuk und Liudmyla Maleniuk flohen vor dem Krieg nach Deutschland. Sie sprechen bereits gutes Deutsch. Das Wel­come Center vermittelte ihnen ein Praktikumsplatz in einer Steuerberatung. Die Firma stellte beide Frauen ein. Der Kontakt kam über eine Jobmesse zustande. Das Unternehmen fragte das Welcome Center, ob es Fachkräfte vermitteln könne. Meist läuft es andersherum. „Wir gehen in die Unternehmen und beraten sie an Ort und Stelle“, sagt Lutz Rätz. Er ist der Projektleiter der Initiative „Fachkraft im Fokus“, der die Welcome Center unterstellt sind. Oft müsse man die Firmen sensibilisieren für die Herausforderungen der Einwanderung. „Die Unternehmer sagen uns: Gebt mir einen fertigen syrischen Elektriker.“

Aber so leicht sei das nicht. Es könne bis zu einem Jahr dauern, bis ausländische Kollegen als vollwertige Arbeitskraft integriert sind. Das überfordere gerade kleine Unternehmen mit weniger als zehn Mitarbeitern, von denen es in Sachsen-Anhalt viele gibt. Die Unternehmen müssten mehr Vertrauen in ausländische Fachkräfte haben, sagt Mogdans. „Probleme wie mit der Sprache kann man lösen.“ Sie beobachtet, dass westdeutschen Firmen oft schneller und entscheidungsfreudiger bei der Einstellung von Ausländern sind. Gerade bei den vielen ausländischen Studenten in Sachsen-Anhalt sehen Rätz und Mogdans großes ungenutztes Potential. Sie wurden hier ausgebildet und brauchen keine Anerkennung ihrer Berufe. „Wir ermutigen die Unternehmen, ausländische Studierende als Werkstudenten einzustellen“, sagt Rätz. Wenn man erst kurz vor dem Abschluss um sie werbe, sei es zu spät. „Da hat dann schon ein westdeutsches Unternehmen wie Mercedes angeklopft.“

Fremd im Osten

Die Sprachbarriere ist im Osten höher als im Westen. Die meisten Menschen, die in der DDR aufwuchsen, lernten Russisch in der Schule, nicht Englisch. Gerade in kleinen Unternehmen in ländlichen Gegenden erschwert das die Verständigung mit ausländischen Mitarbeitern, die neben ihrer Muttersprache oft Englisch sprechen. Die Leute sind Einwanderung nicht gewöhnt. In den Neunzigerjahren lebten in Westdeutschland schon fünf Millionen Ausländer, im Osten waren es 100.000. Aus „sozialistischen Bruderstaaten“ wie Mosambik oder Vietnam wurden zwischen 1967 und 1986 Arbeitsmigranten als sogenannte Vertragsarbeiter angeworben. Doch sie lebten abgeschottet in Wohnheimen, nach spätestens fünf Jahren mussten sie das Land wieder verlassen. Bis 1988 drohte schwangeren Frauen eine Abschiebung, ein Familiennachzug war generell verboten. In Westdeutschland wurde Migration derweil von vielen Bürgern als wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Faktor akzeptiert. So sorgt Einwanderung bis heute eher für Skepsis als im Westen.

Mamad Mohamad kennt das. Er ist Geschäftsführer des Landesnetzwerks Mi­gran­ten­organisationen in Sachsen-Anhalt. 1996 flüchtete der jesidische Kurde im Alter von 16 Jahren alleine aus Syrien und lebt seitdem in Sachsen-Anhalt. „Meine Schwägerin arbeitet bei einem Discounter. Wenn sie ihren Kollegen morgens einen guten Tag wünscht, wird sie ignoriert“, erzählt er. Das mag banal klingen, sei aber sehr schmerzhaft für seine Schwägerin.

Für viele Migranten sei Sachsen-Anhalt nur ein Transitland, sagt Mohamad. 70 Prozent der neu zugezogenen Einwanderer verließen das Bundesland innerhalb von zehn Jahren wieder. „Es ist schwer, eine fest verankerte migrantische Zivilgesellschaft aufzubauen, die zur Wirtschaftskultur beiträgt“, sagt er. Auch Menschen, die schon seit Generationen in Sachsen-Anhalt leben, wandern ab, etwa Deutschvietnamesen. In einer repräsentativen Studie gab jeder fünfte Abwanderer aus Deutschland Integrationsprobleme als Grund an, auch weil er sich diskriminiert fühlte oder keinen Anschluss fand.

Um das zu ändern, erwartet Mohamad von den Unternehmen, dass sie ausländische Arbeitskräfte nicht nur einstellen, sondern auch in die Gemeinschaft inte­grie­ren. Rassistische Vorfälle dürften nicht bagatellisiert werden. Er hört oft von solchen Fällen. Einmal erzählte ein Mitglied seines Netzwerks, wie ein Arbeitskollege zu ihm sagte: „Ich habe AfD gewählt. Dann kommst du hier endlich mal weg.“ Er sagte das ohne jede Scheu. Ganz offen. „Viele Menschen mit Migrationsgeschichte entscheiden sich gegen Ostdeutschland“, sagt Mohamad.

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