Politik

Welches Buch schenke ich meinem Kind? | ABC-Z

Da hilft nur Streik

London im Jahr 1888: Bridey lebt mit ihrer Familie im Eastend. Ihre Mutter arbeitet in einer Zündholzfabrik, ihr sechsjähriger Bruder Fergal stellt zu Hause Zündholzschachteln her, und Bridey läuft mit ihrem Bauchladen durch die Straßen, um die Hölzer zu verkaufen. Sie ist gut darin, denn sie verfügt über das Talent, ihre Ware mit phantasievollen Geschichten auszu­statten, und nicht wenige Kunden kaufen deshalb am liebsten bei ihr ein.

Auch an dem Silvestertag, an dem Emma Carrolls historische Erzählung beginnt, kann sich Bridey Hoffnungen machen, mit dem Erlös ihres Verkaufs die bittere Not ihrer Familie etwas zu lindern. Doch dann geht alles schief, sie verliert ihren Bauchladen, die meisten Zündholzschachteln und sogar das verdiente Geld. Aber sie entdeckt, dass drei einzelne Zündhölzer durch ihren Schein die Macht haben, Bridey für einen Moment in eine Welt nach ihrer eigenen Wahl zu versetzen. Aber was für eine Welt soll das sein?

Die Autorin Emma Carroll knüpft an Hans Christian Andersens berühmtes Märchen vom „Mädchen mit den Schwefelhölzern“ an. Aber sie gibt ihm eine neue Wendung: Das Mädchen erfriert nicht, sondern lernt, dass es sein Glück erkämpfen muss. Etwa indem es das Elend der Fabrikarbeiterinnen öffentlich macht und zur Solidarität aufruft, zum Streik. So, wie es tatsächlich im späten 19. Jahrhundert geschah. Und wie man es sich auch für Andersens Märchengestalt gewünscht hätte.

Emma Carroll, Lauren Child: „Das Mädchen mit den Schwefelhölzern schlägt zurück“; Woow Books; 208 S., geb., 20 Euro; ab 10 J.

Bertas Wunsch

Berta wächst auf einem Bauernhof auf. Die Mutter leidet an Tuberkulose, der Vater braucht seine Töchter für die Arbeit auf dem Hof. Aber Berta will malen, der Wunsch ist übermächtig in ihr. Und sie findet einen Weg, ihren Vater davon zu überzeugen, sie gehen zu lassen.

Dieser Text stammt aus der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung.



„Eine Geschichte, inspiriert von Berta Hanssons Gemälden, Briefen und Tagebucheinträgen“, diese Erklärung stellt die Autorin und Künstlerin Sara Lundberg ihrem Buch voran. Berta Hansson war eine Malerin, die sich wie Lundbergs Heldin aus einer Umgebung be­freite, in der sie als Künstlerin nicht vorankommen konnte. Geboren 1910 auf einem Hof im einsamen Nordschweden, erkämpfte sie sich von ihrem Vater die Erlaubnis, auf eine höhere Schule gehen zu dürfen. Sie wurde Lehrerin und spät als Künstlerin entdeckt.

Lundberg erzählt von Bertas Emanzipation in kargen Worten und hinreißenden Bildern. Wie sie es schafft, sich an Hansson anzulehnen und dabei eigenständige Werke zu schaffen, macht aus dem Buch große Kunst. Besonders Lundbergs wunderbare Kinderdarstellungen treten in einen gelungenen Dialog mit Hanssons Bildern. Und man versteht noch einmal mehr, wie wichtig es ist, Kinder ihren Weg gehen zu lassen, sobald sie ihn gefunden haben.

Sara Lundberg: „Der Vogel in mir fliegt, wohin er will“; Moritz Verlag; 128 S., geb., 18 Euro; ab 10 J.

Wächter über Haus und Stall

Wenn es dunkel wird und die Sonne sich kaum noch blicken lässt, die Nächte immer länger werden und man das Haus nicht gern verlässt, dann kann der Gedanke an das, was gerade draußen geschieht, beunruhigend sein: für Kinder und sogar für lebenserfahrene Erwachsene. Dabei sollten gerade sie wissen, dass der Winter kommt und geht und dass er, wenn er denn endlich geht, die Dunkelheit und die Unruhe mit sich nimmt.

Lebenserfahren ist er ganz sicher, der Wichtel Tomte Tummetott in Astrid Lindgrens Bilderbuchklassiker, schließlich wacht er seit vielen hundert Jahren über den einsamen Bauernhof, in dem die Geschichte angesiedelt ist. Und mit der ganzen Autorität dieser Erfahrung geht Tomte nachts durchs Haus und von Stall zu Stall, tröstet und beruhigt: Dass der Winter lang ist, aber doch endlich, verspricht er den Tieren und flüstert es den schlafenden Menschen ein. Sparsam erzählt Astrid Lindgren die Geschichte, mit wenig Aufwand, aber doch so, dass man miterlebt, wie die Angst und die Unruhe langsam den Hof verlassen.

Harald Wiberg hat diese Geschichte in Bilder gebracht, die der Schneelandschaft zwar sanfte Konturen verleihen, aber dabei doch eine Kraft haben, die Zuversicht und Frieden verbreitet. Und, bei allem Respekt vor der Künstlerin Kitty Crowther, die den Text vor einiger Zeit noch einmal neu illustriert hat: Wibergs winterleise Bilder möchte man gegen die neuen nicht eintauschen. So viel Tradition darf sein.

Astrid Lindgren, Harald Wiberg: „Tomte Tummetott“; Oetinger Verlag; 40 S., geb., 15 Euro; ab 4 J.

Diebe im Obstgarten

Ein König hat einen wunderbaren Garten mit einem Baum, der goldene Äpfel trägt. Eines Tages stellt er fest, dass ihm ein Apfel fehlt. Er lässt den Baum nacheinander von seinen drei Söhnen bewachen. Die beiden älteren schlafen, der dritte aber entdeckt den Dieb, einen goldenen Vogel, der an den Äpfeln herumpickt, und schießt einen Pfeil auf ihn ab. Zurück bleibt eine Feder, die – so sagen es die königlichen Ratgeber – mehr wert ist als das ganze Land.

Er steht so kurz vor seinem Ziel, der Prinz. Und dann dieser Fehler! Lilo Fromms Bilder zum Märchen „Der goldene Vogel“ lassen aber ahnen, dass die Sache gut ausgeht.
Er steht so kurz vor seinem Ziel, der Prinz. Und dann dieser Fehler! Lilo Fromms Bilder zum Märchen „Der goldene Vogel“ lassen aber ahnen, dass die Sache gut ausgeht.Verlag

So beginnt ein Märchen der Brüder Grimm, das fast ausschließlich in der Nacht spielt. Der Diebstahl der Äpfel ist nur der Auftakt zu einer weiten Reise, die der jüngste Prinz unternimmt, um erst den Vogel, dann ein Pferd und schließlich eine Prinzessin ausfindig zu machen, damit sie ihn in seine Heimat begleiten. Mehrfach entkommt er dem Tod nur ganz knapp, einmal werfen ihn sogar seine leichtlebigen Brüder, die er eben noch vor dem Galgen gerettet hatte, in einen Brunnen, um ihn aus dem Weg zu räumen. Der Fuchs aber ist immer zur Stelle, wenn die Gefahr am größten ist. Am Ende, als alles in Ordnung scheint, hat er dafür eine unge­wöhnliche Bitte an den Prinzen.

„Der goldene Vogel“ ist eines der rätselhaftesten Märchen der Brüder Grimm. Und es ist in einer hinreißend illustrierten Ausgabe erhältlich: Die im vergangenen Jahr verstorbene Künstlerin Lilo Fromm legte vor mehr als sechzig Jahren ein Bilderbuch vor, das alles ausreizt, was die Nacht in einer solchen Geschichte zu bieten hat.

Vogel, Pferd und Prinzessin funkeln – am schönsten aber ist der rätselhafte Fuchs. Fromms Illustrationen sind geheimnisvoll, unheimlich und verheißungsvoll zugleich. Sie machen uns deutlich, welchen Widerstand man in sich selbst findet, um eine solche Reise anzutreten, aber auch, warum sie so ungemein verlockend ist.

Jacob und Wilhelm Grimm, Lilo Fromm: „Der goldene Vogel“; Minedition; 40 S., geb., 20 Euro; ab 4 J.

Kostbare Tage

Gurkes Mutter ist Astrophysikerin, der Vater verkauft Elektrowaren. Gurke braucht beide Eltern und nimmt sie als eigenständig und sehr verschieden, aber doch als Teile einer liebevollen Familie wahr. Nur der Husten des Vaters, der immer schlimmer wird, deutet an, dass dieses Glück in Gefahr ist. Eines Tages muss der Vater ins Krankenhaus gebracht werden, und es dauert viele Wochen, bis sich sein Zustand langsam bessert. Für die Familie ist nichts mehr, wie es war. Alles ver­ändert sich, jeder nimmt eine neue Rolle ein, auch die Mutter, die aus ihrer weltentrückten Forscherinnenexistenz auftauchen muss, um Gurke Halt zu geben. Und natürlich Gurke selbst.

Was es bedeutet, wenn ein Elternteil lebensbedrohlich erkrankt, erzählt der schwedische Autor Oskar Kroon sensibel, humorvoll und mit rücksichtsvoller Deutlichkeit aus der Perspektive eines Kindes, das sich Gedanken macht über das große Ganze, das All und das Leben der Menschen an sich, aber auch ganz konkret von Tag zu Tag durchkommen will. Dass Kroon dabei einen Sinn für das Schöne im Alltag bewahrt, bewahrt sein Buch nicht nur vor einer allzu schwarzen Perspek­tive; es zeigt dadurch auch einen Weg auf, wie man sich einer derart erdrückenden Angst stellen kann. Am Ende steht ein gemeinsamer Ur­laub im Süden. Wie lange das gut gehen kann, weiß niemand. Aber es ist gut, dass Gurkes Familie keinen einzigen Tag bis dahin vergeudet.

Oskar Kroon: „Gurke und die Unendlichkeit“; Thienemann Verlag; 160 S., geb., 13 Euro; ab 12 J.

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