Weihnachten in Kyjiw: Jetzt geht es ums Durchhalten | ABC-Z
Es ist bereits das dritte Weihnachtsfest, an dem es auf dem Sophienplatz in der Kyjiwer Innenstadt ganz anders zugeht, als vor dem russischen Großangriff vor bald drei Jahren. Gewöhnlich öffnete hier in den Wochen vor Heiligabend und Neujahr der größte Weihnachtsmarkt der Ukraine. Doch statt eines Labyrinths aus bunten Läden und Büdchen stehen diesmal allein ein paar improvisierte Verkaufsstände auf dem Platz.
Nur der große Weihnachtsbaum in der Mitte des Platzes erinnert an die Vorkriegszeit. Private Unternehmer aus der Hauptstadt haben ihn in diesem Jahr mit Spenden finanziert. Er ist, wie früher, 15 Meter hoch und aus künstlichen, weißen Tannenzweigen gebaut. Statt Weihnachtskugeln hängen an den Zweigen kleine Tafeln mit QR-Codes ukrainischer Hilfsorganisationen. Passanten können so via Smartphone Geld an die ukrainische Armee spenden.
Nach dem schweren Kriegsjahr 2024 wollen die Ukrainerinnen und Ukrainer zwar nicht vollständig aufs Feiern verzichten. Dennoch geht es für viele derzeit in erster Linie ums Durchhalten. Auch weil der russische Diktator Wladimir Putin und die russische Militärführung weiterhin versuchen, mit Angriffen aus der Luft das ukrainische Volk zu zermürben. Noch vor etwa einem Jahr debattierten Kyjiwer Lokalpolitiker und Unternehmensvertreter die Frage, ob die Sperrstunde zwischen Mitternacht und fünf Uhr morgens zumindest für die Silvesternacht aufgehoben werden könnte. In diesem Jahr kam dieses Thema gar nicht erst auf.
Drohnen greifen Kyjiw fast täglich an
Der Grund ist klar. Seit mehreren Monaten vergeht keine Nacht ohne Luftalarm und ohne russische Drohnen- und Raketenangriffe. So wurden die Einwohner der Hauptstadt zuletzt am 20. Dezember um 7 Uhr morgens von Explosionen mehrerer ballistischer Raketen geweckt. Die Explosionen waren im gesamten Stadtgebiet zu hören. In vielen Wohnungen klirrten die Fensterscheiben und vibrierten die Wände. Eine Rakete traf die obersten Stockwerke eines Bürogebäudes, Trümmer fielen auf eine viel befahrene Straße und beschädigten eine Gasleitung. Eine helle Flamme stieß unter dem Asphaltbelag hervor.
In den ersten zweieinhalb Jahren des vollumfänglichen Krieges wechselten sich in Hauptstadt ruhigere Phasen mit Perioden ab, in denen die Hauptstadt jeden zweiten Tag angegriffen wurde. Inzwischen schießt Russland fast jeden Tag Drohnen und Raketen auf die Hauptstadt. Zwar geht es Kyjiw derzeit besser als etwa den frontnahen Städten Saporischschja oder Charkiw. Doch vor allem die russischen Geran-2-Drohnen werden mittlerweile mehrmals am Tag am Himmel über Kyjiw gesichtet.
Die größten Sorgen bereitet den Menschen der Zustand der schwer beschädigten ukrainischen Stromnetze und Kraftwerke. Vor genau einem Monat hat Russland mit der dritten großen Welle der Raketen- und Drohnenangriffe gegen Kraft- und Umspannwerke begonnen. Nach der ersten Angriffswelle im Winter 2022/2023 hatten die Ukrainer wegen des russischen Beschusses im Schnitt nur die Hälfte des Tages Strom in ihren Wohnungen. Die zweite Welle begann Ende März dieses Jahres. Die Angriffe sollten insbesondere die Gas-, Kohle- und Wasserkraftwerke des Landes zerstören.