Weihnachten in Angst – und kein Besuch in Betlehem | ABC-Z

Eigentlich ist es von Taybeh bis nach Betlehem nur ein Katzensprung. Gerade einmal 20 Kilometer Luftlinie trennen das kleine christliche Dorf im Westjordanland und die Stadt, die als Geburtsort Jesu Christi gilt. Früher sind die Christen aus Taybeh immer nach Betlehem gefahren, um dort Heiligabend zu feiern. In diesem Jahr bleiben sie zu Hause. „Wir haben Angst, unser Dorf zu verlassen“, sagt Sulaiman Khouriyeh. Sie haben Angst vor der israelischen Armee, Angst vor den radikalen jüdischen Siedlern, die ihr Dorf immer wieder attackieren. Es wird erneut ein schwieriges Weihnachtsfest für die Christen im Heiligen Land.
Hauptstadt Inside von Jörg Quoos, Chefredakteur der FUNKE Zentralredaktion
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Taybeh ist ein Dorf, das biblische Geschichte atmet, wie so viele andere Orte in Israel und im Westjordanland. Die Siedlung soll das biblische Ephraim sein, in dem Jesus Christus mit seinen Jüngern Rast machte, bevor er nach Jerusalem ging, um dort den Tod am Kreuz zu sterben. 2000 Jahre später ist Taybeh das letzte rein christliche Dorf in den Palästinensergebieten, bekannt auch für seine Brauerei, die ein vorzügliches Bier nach deutschem Reinheitsgebot braut.
Christliches Dorf im Westjordanland: Außenminister Wadephul sprach von „Terror“
Wenn ausländische Gäste Sulaiman Khouriyeh besuchen, dann lässt er ihnen immer eine Flasche Taybeh-Bier servieren. Es kommen viele Gäste. Im Sommer war zum Beispiel der deutsche Außenminister Johann Wadephul da. Der CDU-Politiker hat das, was den Menschen von Tabyeh widerfährt, als „Verbrechen“ und „Terror“ bezeichnet und Israel aufgefordert, Sicherheit und Ordnung durchzusetzen und Straftaten zu verfolgen. Khouriyeh zuckt mit den Schultern und lächelt müde. „Das machen sie alle.“ Aber der Schrecken endet nicht.

Bürgermeister Sulaiman Khouriyeh: Kommen Gäste, lässt er eine Flasche Taybeh-Bier servieren.
© FMG | Jan Jessen
Der Bürgermeister sitzt an diesem warmen Dezembertag in seinem Wohnzimmer in einem zweigeschossigen Gebäude aus hellem Sandstein, aus dem viele der Häuser und Kirchen in Taybeh gebaut sind. In einer Aussparung in der Wand stehen Skulpturen von Joseph und Maria, an der Wand hängt ein Kreuz. Neben Khouriyeh sitzt seine Schwester Abeer, sie die Leiterin der griechisch-orthodoxen Sekundarschule. Sie hat noch immer Schmerzen. Die Rippen.
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Bei der Olivenernte wurden Abeer Khouriyeh die Rippen gebrochen
Vor einigen Wochen wurden sie und andere Familienmitglieder bei der Olivenernte von radikalen Siedlern attackiert, berichtet Abeer Khouriyeh. Die Männer hätten sie geschlagen, ihr die Rippen gebrochen, ihr Auto gestohlen und alle Gerätschaften mitgenommen, die sie für die Ernte brauchen. Alles unter den Augen israelischer Soldaten. „Die Angriffe der Siedler sind sehr brutal geworden“, sagt ihr Bruder. „So etwas kannten wir hier bis vor zwei Jahren nicht.“

Taybeh mit seinen etwa 2000 Einwohnern ist umgeben von jüdischen Siedlungen, die nach dem Völkerrecht illegal sind, und von israelischen Checkpoints und Militärbasen. Früher, erzählt Khouriyeh, hatten sie keine Probleme mit den Siedlern. „Sie sind in unser Dorf zum Einkaufen gekommen, manche der Menschen aus Taybeh haben in den Siedlungen gearbeitet.“ Seit dem 7. Oktober 2023 hat sich alles geändert.

Rund 2000 Menschen leben in Taybeh, es ist das einzige rein christliche Dorf in den Palästinensergebieten.
© FMG | Jan Jessen
Auch die uralte St. Georgskirche aus dem 4. Jahrhundert wurde angegriffen
Nach dem Terrorüberfall der Hamas auf Israel und dem Ausbruch des Gaza-Kriegs hat die Gewalt im Westjordanland drastisch zugenommen. Die israelische Armee führt Operationen durch, die gegen radikale Palästinensergruppen zielen, aber häufig auch Zivilisten in Mitleidenschaft ziehen. Nach UN-Angaben sind seit Beginn vergangenen Jahres mehr als 740 Palästinenser im Westjordanland getötet worden. Gleichzeitig häufen sich die Übergriffe der jüdischen Siedler – mehr als 1700 sollen es allein in diesem Jahr gewesen sein.
Mehr von Israel-Korrespondentin Maria Sterkl
„Sie schießen, sie klauen Autos, zerstören landwirtschaftliche Maschinen, bedrohen Menschen in ihren Häusern, schlagen sie auf der Straße mit Stöcken, sie treiben ihre Kühe und Schafe in die Kirchen hinein, sie reißen Setzlinge heraus und hacken unsere Olivenbäume ab“, erzählt Bürgermeister Khouriyeh. Im Juli griffen Siedler sogar die uralte St. Georgskirche an.
Sie soll aus dem 4. Jahrhundert stammen und ist nur noch eine Ruine. Auf dem kleinen Altar steht unter dem freien Himmel noch immer ein Kreuz, davor ein Bottich mit Blumen. Sie kommen immer noch hierhin, um zu beten, auch wenn sie drei andere, neuere und prächtigere Kirchen in Taybeh haben. Die alte St. Georgskirche ist den Christen von Taybeh heilig. Ausgerechnet diese Ruine attackierten die jüdischen Extremisten.

Selbst vor der St. Georgskirche aus dem 4. Jahrhundert machten die gewalttätigen Siedler nicht Halt.
© FMG | Jan Jessen
„Wir appellieren nur noch an Gott, nicht mehr an die Politik“
Der Vorfall rief sogar den US-amerikanischen Botschafter in Israel auf den Plan. Mike Huckabee, ein radikaler Evangelikaler und gewöhnlich ein glühender Verteidiger der Politik der israelischen Regierung, besuchte nach dem Angriff Taybeh, geißelte den versuchten Brandanschlag auf die Kirche als „Terrorakt“ und schrieb auf der Plattform X: „Die Schändung einer Kirche, Moschee oder Synagoge ist ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit und gegen Gott.“ Geschehen ist selbst nach diesem Eingreifen des US-Botschafters wenig.
Dabei geht es für die Christen von Taybeh um das Überleben ihrer Gemeinschaft. Die Bauern können nur noch ein Drittel ihrer landwirtschaftlichen Flächen bewirtschaften. „Die Israelis hindern unsere Landwirte daran, ihre Felder zu betreten“, klagt der Bürgermeister. Ohne wirtschaftliche Perspektiven droht ein Exodus. Schon jetzt leben nur noch rund 48.000 Christen im Heiligen Land. Khouriyeh klingt deprimiert: „Es ist beschämend, dass die gesamte christliche Welt nicht in der Lage ist, die Zukunft von 48.000 Christen zu schützen.“

Der Blick von den Kirchenruinen auf Taybeh: Die dort lebenden Landwirte können ihre Felder nicht mehr betreten.
© FMG | Jan Jessen
Dieses Weihnachtsfest werden die Christen von Taybeh in ihrem Dorf verbringen. Ein paar Aktivisten wollten Busse mieten, um gemeinsam nach Betlehem zu fahren, aber niemand meldete sich, um mitzufahren. Sie werden in Taybeh die Geburt eines Friedensbringers feiern, der nur 20 Kilometer entfernt von ihnen das Licht der Welt erblickt haben soll. Wirklicher Frieden scheint in diesem Jahr in unerreichbarer Ferne für sie. Ihnen bleibt nur zu beten, sagt der Bürgermeister. „Wir appellieren nur noch an Gott, nicht mehr an die Politik.“
















