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Wehrbeauftragte drängt auf neues Modell bei der Rekrutierung | ABC-Z

Wehrbericht 2024

Wehrbeauftragte drängt auf neues Modell bei der Rekrutierung


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Audio: rbb24 Inforadio | 11.03.2025 | Annette Birke-Stumper | Bild: IMAGO/Schoening

Zu wenig Soldaten, Langeweile, zu schlechte Ausrüstung: Die Wehrbeauftragte des Bundestages bescheinigt der Bundeswehr in ihrem jährlichen Bericht einen schlechten Zustand.

„Die Bundeswehr schrumpft und wird älter“: Das ist das Fazit des am Dienstag von der Wehrbeauftragten des Bundestags Eva Högl vorgelegten Wehrberichts für 2024 [bundestag.de]. Trotz mehr Geld und Waffen für die deutschen Streitkräfte befinde sich die Bundeswehr in keinem guten Zustand, bilanzierte Högl. Vor dem Hintergrund der neuen sicherheitspolitischen Herausforderungen mahnte sie zugleich zur Eile bei der Problemlösung. „Die personelle, materielle und infrastrukturelle Ausstattung der Bundeswehr muss schnell besser werden“, unterstrich Högl.

Weniger Personal trotz Anwerbeversuchen

Der Bericht sieht die zurückliegenden fünf Jahren als „die wechselvollsten Jahre“ der fast 70-jährigen Geschichte der Bundeswehr. Der Kernauftrag habe sich vor dem Hintergrund des russischen Angriffskriegs in der Ukraine hin zur Landes- und Bündnisverteidigung verändert. Nun werde „mit Hochdruck“ daran gearbeitet, „die gegenwärtigen und künftigen Herausforderungen zu bewältigen“.

Als ein zentrales Problem der Bundeswehr wird Personalmangel benannt. Dem Ziel von 203.000 Soldatinnen und Soldaten bis 2031 sei die Bundeswehr „erneut nicht nähergekommen“, beklagte Högl am Dienstag. Trotz aller Anstrengungen sei die Zahl der aktiven Soldaten im vergangenen Jahr noch gesunken – um 340 auf rund 181.200 gesunken.

Ein Grund sei der wachsende Anteil von Soldaten, die aufgrund ihres Alters aus dem Dienst ausschieden. Bei den Unteroffizieren und Offizieren seien knapp ein Fünftel der Posten unbesetzt, bei den Mannschaften mit 28 Prozent sogar mehr als ein Viertel. Dem Bundeswehr-Ziel, die Personalstärke auf über 200.000 zu steigern, sei man nicht näher
gekommen. Das Ziel war bereits von 2025 auf 2031 verschoben worden.

Vergleichsweise viele Freiwillige in Berlin und Brandenburg

In Berlin und Brandenburg war es der Bundeswehr allerdings gelungen, mehr Freiwillige anzuwerben. So rekrutierte die Armee im vergangenen Jahr 692 freiwillige Soldaten in Brandenburg, wie aus Daten des Verteidigungsministeriums hervorgeht. Das ist ein leichter Anstieg im Vergleich zu 2023 (667). Mehr als jeder Zehnte von ihnen war noch unter 18 Jahre alt. Damit stieg auch die Zahl bei den jugendlichen Freiwilligen (85 im Vergleich zu 72 im Jahr 2023). In Berlin meldeten sich im vergangenen Jahr 524 Freiwillige zum Wehrdienst oder als Zeitsoldaten, ein Jahr davor waren es 507.

Högl: Wiedereinführung der alten Wehrpflicht „keine gute Idee“

Wegen der Personal-Knappheit wird auch darüber diskutiert, wie mit der 2011 ausgesetzten Wehrpflicht umgegangen werden soll. Die Wehrbeauftragte Högl sagte, sie halte die Wiedereinführung der alten Wehrpflicht „keine gute Idee“ und für nicht umsetzbar. „Das würde die Bundeswehr überfordern“, erklärte Högl am Dienstag. Es gebe aktuell nicht genügend Stuben sowie Ausbilderinnen und Ausbilder.

Allerdings sei die mit der Aussetzung der Wehrpflicht 2011 weggefallene Wehrerfassung und Musterung wichtig, schreibt Högl in ihrem Bericht. Ohne die Erfassung gebe es kein umfassendes Lagebild, welche Geburtsjahrgänge einer Wehrpflicht überhaupt unterstehen würde, wer bereit und fähig zu einem Wehrdienst wäre. Daher sei es „dringend erforderlich, die im Wehrpflichtgesetz verankerte Erfassung – unabhängig vom Spannungs- und Verteidigungsfall – zu reaktivieren“, schreibt die SPD-Politikerin in ihrem Jahresbericht.

Wehrbeauftragte: Frauen und Männer gleich behandeln

In diesem Zusammenhang lobte Högl den Vorschlag von Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) für ein Wehrdienstmodell. Dieses sieht vor, dass Männer im wehrfähigen Alter angeschrieben werden und über ihre Bereitschaft für einen Dienst in der Bundeswehr Auskunft geben müssen. Frauen müssen dies nicht tun.

Die Ampel-Regierung hatte kurz vor ihrem Bruch im vergangenen November Pläne von Minister Pistorius für einen neuen Wehrdienst per Kabinettsbeschluss auf den Weg gebracht. Eine Befassung damit im Bundestag fand wegen dann jedoch nicht mehr statt.

Högl sagte aber, Männer und Frauen müssten gleich behandelt werden. „Ich halte das für zeitgemäß.“ Dafür müsste aber das Grundgesetz geändert werden, wofür es eine Zwei-Drittel-Mehrheit braucht. Selbst mit den Grünen haben Union und SPD diese im Bundestag nicht. Högl betonte aber, die Personalprobleme seien nicht über die Wehrpflicht allein zu lösen.

Högl brachte bei der Vorstellung des Wehrberichts nochmals die Idee eines verpflichtenden Gesellschaftsjahrs für Frauen und Männer ins Spiel. Dieses könnte bei den Streitkräften, aber auch in anderen gesellschaftlichen Bereichen absolviert werden.

Doch auch das von ihr präferierte Wehrdienstmodell löse die Personalprobleme nicht alleine, sagte Högl am Dienstag. „Es braucht viel mehr Maßnahmen“. Vor allem sei eine Verringerung der Abbruchquoten bei jungen Soldatinnen und Soldaten „ein Schlüssel“. Viele Rekrutinnen und Rekruten ließen sich etwa wegen ihrer Beschäftigungslosigkeit beim Wehrdienst davon abhalten, sich länger bei der Truppe zu verpflichten. „Das größte Problem ist die Langeweile“, sagte Högl. „Das schreckt ab und das macht die Bundeswehr unattraktiv.“ Högl forderte in dem Zusammenhang, dass mehr Anstrengungen in die Ausbildung von jungen Soldatinnen und Soldaten gelegt werden.

Immer noch marode Infrastruktur und fehlende Großgeräte

Neben Personalmangel beklagt Högel auch eine immer noch in Teilen marode Infrastruktur. Allein in diesem Bereich beziffert sie den Gesamtinvestitionsbedarf Ende 2024 auf rund 67 Milliarden Euro – 17 Milliarden mehr als ein Jahr zuvor. Kasernen und Liegenschaften seien „immer noch teilweise in einem desaströsen Zustand“.

Es mangele aber auch an funktionstüchtigem Großgerät und Ersatzteilen, „was zum Teil auch aus der so wichtigen Abgabe von Material an die Ukraine resultiert“, schreibt Högl. Deutschland müsse nun selbst rasch aufrüsten, und zwar „in Zukunftstechnologien“, wie Högl sagte. Sie nannte etwa Drohnen, Satelliten, Flugabwehrsysteme, Digitalisierung und Künstliche Intelligenz.

Die Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestages soll die Interessen der Soldatinnen und Soldaten vertreten und deren Anliegen prüfen. Sie kontrolliert Gesetze und Vorschriften innerhalb der Bundeswehr und berichtet über den Zustand der Truppe.

Sendung: rbb24 Inforadio, 11.03.2025, 14:00 Uhr


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