Gesundheit

Wechseljahre: „Manche entwickeln plötzlich Angststörungen und erleben ihre ersten Panikattacken“ |ABC-Z

Mit Beginn der Wechseljahre erleben Frauen eine starkes hormonelles Auf und Ab: Für ein Drittel ist die Belastung enorm, manche der Betroffenen erleben sogar eine depressive Phase oder entwickeln eine Angststörung. Doch schweren Symptomen kann vorgebeugt werden.

Ständige Müdigkeit, Schlafprobleme, Reizbarkeit und ein nachlassendes sexuelles Interesse – das sind typische Anzeichen einer Depression. Doch diese Symptome können bei Frauen auch in einem ganz anderen Kontext auftreten: als Begleiter der sogenannten Perimenopause, des Zeitraums vor und nach der letzten Regelblutung.

Einen direkten Zusammenhang hat kürzlich ein Team um Arianna Di Florio von der Cardiff University in Großbritannien beschrieben. Die im Fachjournal „Nature Mental Health“ Studie ergab, dass die Wahrscheinlichkeit, erstmals im Leben eine schwere depressive Episode zu haben, während der Perimenopause um rund 30 Prozent erhöht war.

Die Forscher verglichen Daten von britischen Frauen in einem Zeitraum von vier Jahren um ihren letzten Menstruationszyklus herum mit solchen von Frauen sechs bis zehn Jahre vor der letzten Monatsblutung. Ergebnis: Von fast 40.000 Frauen in der Perimenopause erkrankten rund 700 erstmals an einer Depression. Von ebenso vielen Frauen, die in etwas jüngerem Alter beobachtet wurden, waren es nur rund 550.

Nach Ansicht der Experten könnten weitere Untersuchungen dazu beitragen, das individuelle Risiko für psychische Probleme in der Perimenopause vorherzusagen – dies könnte „lebensrettend“ sein. Weil Anzeichen von Depressionen und Perimenopause sich aber so ähneln, sei es manchmal schwierig, die Symptome eindeutig zuzuordnen – und auch zu behandeln, erklärt Markus Banger, Ärztlicher Direktor und Chefarzt der Abteilung für Abhängigkeitserkrankungen und Psychotherapie der LVR-Klinik in Bonn.

Ohnehin verlaufen die Wechseljahre sehr unterschiedlich. „Etwa jede dritte Frau fühlt sich während der Wechseljahre nicht anders als zuvor“, schreibt die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA). Ein weiteres Drittel erlebe Phasen mit lästigen, aber nicht sehr starken Beschwerden. „Von wirklich belastenden Begleitscheinungen berichtet ebenfalls ein Drittel.“

Mögliche Symptome der Perimenopause, wie Schlafstörungen, Konzentrationsprobleme und depressive Verstimmungen, entwickelten sich allmählich und schleichend, sagt Katrin Schaudig, Frauenärztin und Präsidentin der Deutschen Menopause Gesellschaft. „Da sie grundsätzlich immer mal im Frauenleben vorkommen, denken Betroffene oft zunächst gar nicht an die Wechseljahre und nehmen die Beschwerden lange hin – und werden dadurch noch stärker belastet.“

Hormonelle Achterbahnfahrt

Gerade der Beginn der Perimenopause werde oft nicht richtig erkannt oder verstanden, erklärt die Gynäkologin. Die Perimenopause beginnt nicht mit einem bestimmten Alter, sondern wenn der Eizellvorrat sich dem Ende zuneigt: Im Allgemeinen starte sie zwischen 40 und Mitte 40, könne aber auch erst mit 50 beginnen, sagt die Expertin.

Ursache der Beschwerden sei ein starkes hormonelles „Auf und Ab“: Mit dem schwindenden Eizellvorrat, gerate die Steuerung des Monatszyklus durcheinander, da das Zwischenhirn „mit aller Macht“ versuche, die Eireifung und damit die Möglichkeit einer Schwangerschaft aufrechtzuerhalten, erläutert die Gynäkologin. „Zunächst wird der Zyklus unregelmäßiger: Mal bleiben Eisprünge aus, mal reifen mehrere Eizellen kurz hintereinander – in der Folge werden mal zu wenige, mal zu viele Hormone ausgeschüttet.“ Diese Achterbahn der Hormone beeinflusse das Wohlbefinden und könne den Gemütszustand verschlechtern.

Aber nicht nur hormonelle Schwankungen könnten die Stimmung in der Perimenopause beeinflussen, sondern auch veränderte Lebensumstände, erklärt Banger. „Die Lebensphase der Perimenopause ist häufig geprägt von Veränderungen: Sei es der Auszug der Kinder, die Pflege von Angehörigen oder der Drang, sich selbst neu zu erfinden.“ Die Symptome könnten demnach sowohl durch hormonelle Veränderungen als auch durch den neuen Lebensabschnitt verursacht werden – oft sei es eine Mischung aus beidem.

Auch die kulturelle Bewertung habe Einfluss darauf, wie die Wechseljahre erlebt würden, erklärt der Psychiater: „In westlichen Ländern wird die Menopause oft negativ betrachtet und als gesundheitliches ‚Problem‘ angesehen.“ Demgegenüber würden andere Kulturen die Menopause als „zweites Erwachsenwerden“ und Phase der Erneuerung betrachten. In Japan etwa werde die Menopause als natürlicher Übergang akzeptiert, erklärt er. „Wechseljahre sind dort ein ganz normaler physiologischer Übergang und interessanterweise haben die Frauen auch deutlich weniger perimenopausale Beschwerden.“

Nicht jede Frau erlebe, wenn überhaupt, dieselben depressiven Symptome, erklärt Schaudig. Es hänge von der individuellen psychischen Situation, Vorerkrankungen und Umwelteinflüssen ab. „Besonders gefährdet sind Frauen, die bereits früher depressive Episoden erlebt haben, sei es Baby Blues, eine depressive Phase oder eine Essstörung im Teenageralter oder auch später.“

Doch auch Frauen ohne eine psychische Vorgeschichte seien nicht immun gegen entsprechende Veränderungen, betont die Gynäkologin: „Manche entwickeln plötzlich Angststörungen, vermeiden etwa das Fahren auf Autobahnen oder durch Tunnel, und erleben ihre ersten Panikattacken.“ All das seien vermutlich Auswirkungen der Hormonschwankungen in der Perimenopause.

Wenn Frauen unter depressiven Verstimmungen oder anderen Beschwerden in der Perimenopause leiden, könne bereits eine Aufklärung über die hormonellen Vorgänge dieser Lebensphase ein erster Bewältigungsschritt sein, sagt Schaudig. Daneben gebe es viele weitere Therapiemöglichkeiten: Neben Hormonersatztherapien stünden auch nicht-hormonelle Ansätze zur Verfügung. Dazu zählten zum Beispiel Antidepressiva, Phytoöstrogene, Johanniskraut- und Traubensilberkerze-Präparate, Sport, Akupunktur, kognitive Verhaltenstherapie oder Hypnose.

Banger zufolge kann es für einige Frauen bereits hilfreich sein, den Übergang in die Perimenopause – analog zu anderen Kulturen – als natürlichen Prozess zu akzeptieren, um etwaige depressive Symptome zu lindern. Sollten die Symptome jedoch schwerwiegend sein, könnten neben psychotherapeutischer Unterstützung auch Antidepressiva angebracht sein, erklärt der Facharzt. Entscheidend sei, den Schweregrad der Symptome präzise zu bewerten.

Was am Ende hilft, hänge von den Beschwerden und Vorlieben der Patientinnen ab, erklärt Schaudig: „Manche Frauen möchten keine Hormone nehmen, andere brauchen sofortige Hilfe. Daher entscheide ich je nach Schweregrad, ob ich zuerst eine Hormontherapie versuche oder direkt zum Psychiater überweise.“

Für eine ganzheitliche Behandlung sei die Zusammenarbeit von Frauenärzten und Psychiatern entscheidend, sind sich beide Experten einig. So sei eine kombinierte Therapie aus psychotherapeutischen Gesprächen und medikamentöser Behandlung oft besonders effektiv, sagt Banger. „Es ist sinnvoll, mit dem Gynäkologen der Patientin zu besprechen, ob eine Hormonersatztherapie helfen könnte.“ Das könnte die Notwendigkeit für Antidepressiva verringern oder deren Dosis reduzieren.

„Leider haben nicht alle Ärzte das Thema auf dem Schirm“, wirft Schaudig ein. „Viele Frauen gehen zuerst zu einem Psychiater, weil ihnen gar nicht bewusst ist, dass die Symptome mit den Wechseljahren zusammenhängen könnten.“ So kam eine Patientin erst in einem kritischen Zustand in ihre Praxis, nachdem sie bereits einen langen längeren Aufenthalt in einer Klinik für Psychosomatik hinter sich hatte. Rückblickend hätte eine frühzeitige Hormongabe möglicherweise ihre Beschwerden lindern können, erinnert sich die Ärztin.

Derzeit sei das Thema Perimenopause „in aller Munde“, sagt Schaudig. Es gebe zahlreiche Diskussionen und Bewegungen, die das Bewusstsein dafür schärften. Ein Beispiel hierfür sei Großbritannien, wo Frauen sogar auf die Straße gegangen seien, um eine bessere Versorgung während der Perimenopause zu fordern. Dort gibt es inzwischen eine Verordnung, dass Arbeitgeber mehr Rücksicht auf Frauen in den Wechseljahren nehmen sollen. „In Deutschland sind wir noch nicht so weit, aber es wird daran gearbeitet“, zeigt sich Schaudig optimistisch.

Banger hingegen sieht die Lage in Deutschland etwas skeptischer: „Es gibt zwar eine offene Diskussion über die Wechseljahre, doch sie konzentriert sich oft auf Behandlungsmöglichkeiten und bleibt bei einer umfassenden Betrachtung des Themas eher zurückhaltend“, kritisiert er.

dpa/sk

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