Wechsel beim EU-Ratsvorsitz: Mit Orbans Putin-Kuschelkurs ist jetzt Schluss | ABC-Z
Eine gute Nachricht für die Ukraine: Warschau übernimmt die EU-Ratspräsidentschaft von Budapest. Polens Ministerpräsident Tusk will sie dem Kampf für Kiew widmen. Zuvor missbrauchte sein ungarischer Amtskollege Orban den Ratsvorsitz, um Russlands Interessen zu bedienen.
Seine Zuneigung zu Wladimir Putin hat er von Anfang an demonstrativ zur Schau gestellt. Schon am 5. Juli schüttelte Viktor Orban dem russischen Präsidenten auf Fotos freudestrahlend die Hand. Nur wenige Tage zuvor, zu Beginn des Monats, übernahm Ungarn turnusgemäß die Ratspräsidentschaft in der Europäischen Union. Orban nannte seine Reise durch Moskau, Kiew und Peking zynisch “Friedensmission”. Der Trip mit drei Stationen hatte eigentlich nur ein Ziel: den EU-Ratsvorsitz unmissverständlich dem Kuschelkurs mit dem Kriegstreiber gegen die Ukraine zu weihen. Sowohl die EU als auch die Regierungen der restlichen Mitgliedstaaten reagierten empört.
Genau sechs Monate später, an Neujahr, ist damit Schluss. Mit Polen übernimmt eines der Länder, die Kiew bislang unverbrüchlich die Treue halten, den Ratsvorsitz. Warschaus Motto für das kommende halbe Jahr ist so kurz wie einprägsam: “Sicherheit, Europa!” Die Prioritätensetzung ist naheliegend mit Blick auf den künftigen US-Präsidenten Donald Trump, der die Verantwortung für die Verteidigung des Kontinents nicht mehr zuvorderst bei den Vereinigten Staaten sieht.
Die Entscheidungen über die europäische Sicherheitspolitik liegen bislang in den Händen der Mitgliedstaaten, die EU selbst hat bei dem Thema wenig zu melden. Während der EU-Ratspräsidentschaft kommt Polen allerdings eine zentrale Position zu – es wird ein halbes Jahr lang die Agenda für die Treffen der Minister aus allen Mitgliedstaaten mitbestimmen.
Polen fordert Gas-Embargo gegen Russland
Die neuen Aufgaben seines Landes im Ratsvorsitz bieten Ministerpräsident Donald Tusk eine Gelegenheit, um einer Forderung Nachdruck zu verleihen: dass Warschau in Brüssel eine Schlüsselrolle in der Koordination der Sicherheitspolitik zukommt; insbesondere bei möglichen Verhandlungen zwischen der Ukraine und Russland. Zudem wünscht sich Tusk für Polens Investitionen in den Schutz der EU-Grenzen an Kaliningrad und Belarus mehr Anerkennung.
Verstärkte Hilfsleistungen für die Ukraine und ihr beschleunigter Beitritt zur EU – das sind die dringlichsten Forderungen in Polens Programm für die Ratspräsidentschaft. Besonders brisant: Das Drängen darauf, die EU vollständig von russischen Energielieferungen abzukoppeln, was Sanktionen gegen Gas aus Moskau einschließen würde. Warschau gehörte zu den Stimmen in Europa, die vor der Abhängigkeit von russischen Rohstoffen bereits warnten, als Berlin noch mit dem Bau der Pipeline Nord Stream 2 beschäftigt war. Aber angesichts der allerorts grassierenden Angst vor höheren Energiepreisen wird Polen zurzeit kaum ein Gas-Embargo gegen Russland durchsetzen können.
Außerdem hat Putin mit Orban eine Marionette im Rat der europäischen Staats- und Regierungschefs, der dort gerne durch seine Blockaden Beschlüsse verzögert und Unruhe stiftet. Von Sanktionen etwa will Orban nichts wissen, handelte deshalb eine Ausnahme für Ungarn vom Embargo auf russisches Öl aus. Die Abkopplung der EU von Moskau als Öl- und Gaslieferant bedrohe das Wachstum in Europa, behauptete Orban in einer Rede vor dem Europaparlament.
Orban blockiert Kostenerstattung für Militärhilfe
Doch der ungarische Ministerpräsident muss nicht selbst vor den Abgeordneten erscheinen, um für Putin zu werben. Den Plenarsaal in Straßburg mischt regelmäßig eine von Orban mitgegründete Fraktion auf, die sich “Patrioten für Europa” nennt. Nach den Konservativen und Sozialdemokraten sind die “Patrioten” die drittgrößte Fraktion im Europaparlament. Sie dient als Sammelbecken für Rechtsradikale aus allen Ecken Europas, von Marine Le Pens RN in Frankreich bis zur PVV des Niederländers Geert Wilders.
Laut ihrem Manifest setzt sich die Fraktion – wie sollte es anders sein – für den von Orban viel beschworenen “Frieden” ein, womit sie Putins Diktatfrieden meint. Putin beschrieb wiederholt seine Sicht auf dem Weg zum Frieden in der Ukraine. Seine Meinung hat sich seit Kriegsbeginn nicht geändert, trotz des angeblichen Interesses an Verhandlungslösungen, das er immer wieder heuchelt. Einen Waffenstillstand kann es laut Putin nur geben, falls die Ukraine auf eine Mitgliedschaft in der NATO verzichtet und die vier teilweise besetzten östlichen Regionen Russland überlässt. Das wiederum käme Kiews Kapitulation gleich. Deshalb sieht EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen in Orbans “Friedensinitiative” den Versuch, den Angriffskrieg nicht “Putins Lust nach Macht anzulasten, sondern dem Freiheitsdurst der Ukraine”.
An dieser Stelle wäre es müßig, zu beschreiben, wie oft Orban in Brüssel mit seiner Blockade-Haltung für Chaos sorgte, um Putins Interessen zu bedienen. Nur ein jüngeres Beispiel sei hier genannt: Budapest blockiert nun seit einem Jahr Auszahlungen aus einem EU-Topf für Staaten, die damit Kosten für ihre Militärhilfe an die Ukraine teilweise erstattet bekommen sollen. Orban nutzt für die Sperre das Veto-Recht, das jedem einzelnen Mitgliedstaat bei dem Fonds zusteht. Nach Angaben des Portals Euractiv hat die Blockade der Gelder bereits erhebliche finanzielle Folgen für verschiedene Länder gehabt. Polen fehlen demnach fast 500 Millionen Euro aus dem Topf. Die Slowakei wartet auf rund 200 Millionen Euro.
EU hält Fördergelder für ungarische Forschung zurück
Die Blockade Orbans bei dem Fonds könnte ein Mittel sein, um an anderer Stelle eingefrorene Fördergelder der EU für Ungarn wieder loszueisen. Brüssel hält viele Milliarden zurück, vor allem aufgrund von Orbans Feldzug gegen den Rechtsstaat. Kurz vor Weihnachten etwa entbrannte ein Streit um eine Milliarde Euro, die eigentlich für den Hochschul- und Forschungssektor in Ungarn bestimmt waren. Die EU-Kommission wollte sie aber nicht auszahlen.
Mit der Rechtsstaatlichkeit in Ungarn ging es nach Recherchen von ntv.de in den vergangenen Jahren weiter bergab, trotz des Drucks aus Brüssel. So monierte die ungarische Opposition Schikanen durch die Justiz, Nichtregierungsorganisationen kritisierten die krasse Korruption unter Orbans Vertrauten und ausländische Firmen wurden teilweise durch die Gesetzgebung der Regierung aus dem ungarischen Markt gemobbt.
Bislang gibt es keinen Anlass für Hoffnung auf Besserung. Ungarn sei bei der Missachtung des EU-Rechts, dem Abbau der Justiz und der Untergrabung der Zivilgesellschaft wahrscheinlich schon so weit gegangen, dass es keine Chance für eine Kurskorrektur unter Orban gebe, warnte Polens Justizminister Adam Bodnar im Interview mit Politico.
Auch in Polen wurde der Rechtsstaat zerstört
“Unter der aktuellen Führung könnte es schwierig werden”, so Bodnar, “dass Ungarn wieder die Gunst der EU gewinnt. Das Beispiel Polen zeigt, dass es ohne einen Führungswechsel äußerst schwierig sein könnte, den Rechtsstaat wieder aufzustellen und demokratische Werte zurückzugewinnen.”
Tusks polnische Vorgängerregierung unter der rechtsnationalen PiS ging wie Orban regelmäßig auf Konfrontationskurs mit der EU – mit gravierenden Folgen. Es gestaltet sich schwierig, den von allen Seiten ausgehöhlten Rechtsstaat in Polen wieder aufzubauen. Tusk versucht es. Aber Präsident Andrzej Duda kommt ihm bei der Gesetzgebung in die Quere, weil er der PiS nahesteht. Im Mai wird zwar ein neuer Präsident gewählt, allerdings könnte wieder ein Kandidat gewinnen, der die Politik der Rechtsnationalen vertritt.
Innenpolitisch teilweise gelähmt, macht es für Tusk strategisch Sinn, die Außenpolitik mehr in den Fokus zu rücken. Doch die Macht Polens während der EU-Ratspräsidentschaft ist begrenzt, da sie vor allem organisatorischer Natur ist. Das Veto-Recht bei wichtigen Beschlüssen in der Außenpolitik bleibt den Staats- und Regierungschefs vorbehalten. Dass Orban wieder davon Gebrauch machen wird, ist so gut wie sicher. Schließlich könnte 2025 über Krieg und Frieden in der Ukraine entschieden werden. Immerhin: Die EU-Ratspräsidentschaft kann Ungarn dann nicht mehr für Orbans Putin-Kuschel-Kurs missbrauchen.