Kultur

Was wir von den Italienern am Strand lernen können | ABC-Z

Tutti al mare. Aber wohin?

Italien verfügt über Tausende Kilometer Küstenlinie, davon sind knapp die Hälfte Sandstrände. Auswahl gibt es also genug, stellt sich nur die Frage: Wo genau hinlegen? Zum Beispiel an einen stabilimento balneare, der so ikonisch ist wie Vespa, Pizza und Michelangelos David: paarweise Liegestühle, dazu meist gestreifte Sonnenschirme, mit Präzision in dichten Reihen angeordnet. Rund 30.000 solcher Strandbäder soll es in Italien insgesamt geben. Viele davon sind seit Jahrzehnten in Familienbesitz und werden von Generation zu Generation weitergegeben. Übrigens ein Politikum: Die EU will dem ein Ende setzen und hat erwirkt, dass Italien spätestens im Juni 2027 Neuausschreibungen beginnen muss.

An den konzessionierten, kostenpflichtigen Strandabschnitten, die von privaten Betreibern geführt werden, herrscht Strand-Etikette: La dolce far niente – das süße Nichtstun – heißt nicht, dass jeder machen kann, was er will. Die Nutzung des vordersten Teils des Ufers ist untersagt – anders als in anderen Urlaubsländern darf man sich nicht einfach vor den bereits platzierten Liegen mit seinem Mikrofasertuch breitmachen und die Sicht versperren. Überhaupt gilt keine freie Platzwahl, auch wenn es vielleicht so scheint. Erst bezahlen, dann hinsetzen, denn Stammgäste buchen ihre liebsten Plätze oft für eine ganze Woche, Monate oder sogar die ganze Saison.

Wer nicht 15 bis 50 Euro für seinen Sonnenplatz ausgeben will, der sucht eine spiaggia libera – einen öffentlichen und kostenfreien Strandabschnitt. Verpflegung und Equipment werden selbst mitgebracht.

Dieser Text stammt aus der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung.



Die Kunst des Ankommens

Morgens, halb zehn am Meer. Die Deutschen sind schon seit einer Stunde da. Vom Parkplatz sind sie mit zusammengekniffenen Augen zum ausgespähten Liegeplatz marschiert, die Poolnudel emporgestreckt wie eine Flagge, als gelte es, neues Land zu entdecken. Sie cremt, er sitzt im Stuhl und schaut so streng, als müsste er etwas bewachen. Vielleicht den Platz. Vielleicht den Sommer. Die Italienerinnen und Italiener kommen spät und bleiben lange. Und: Sie hetzen nicht zum Strand. Sie betreten eine Bühne. Bereits der Gang über den Sand wird genossen – ein entspannter Spaziergang, bei dem man mit jedem Schritt wortwörtlich den Alltagsstress hinter sich lässt, über Wetter und Wassertemperatur diskutiert, andere beobachtet und beobachtet wird.

Das Outfit: Stile all’italiana

Triangel-Bikini mit blauen Pailletten, farblich passender Sarong um die Hüften, dazu Pilotensonnenbrille mit hellblauen Gläsern und fast bis zu den Schultern baumelnde Ohrringe? Es ist nicht das Outfit eines Popstars, der eine millionenschwere Yacht betritt, sondern – sofern man sich im Norden von Italien befindet – mit hoher Wahrscheinlichkeit jenes einer Mailänder sciura, einer eleganten Lady, die grazil über den Sand schreitet, egal wie heiß er ist.

Besonders die italienischen Damen stylen sich mit einer Hingabe wie andere zum Cocktail-Dinner. Denn auch der Strandausflug ist eine gesellschaftliche Aktivität. Hier geht man nicht im ausgeleierten T-Shirt hin, schließlich ist das kein Baggersee mit Gänseköteln, sondern das Mittelmeer, ein Ort für bella figura. Der deutsche Körper wird oft verpackt wie ein empfindliches Gemälde. Ein bisschen zu viel Stoff, ein bisschen zu wenig Vertrauen. Der italienische Körper hingegen wird nicht erklärt, nicht entschuldigt. Er ist einfach. Hier hat jeder einen Beachbody, auch der 70 Jahre alte Signore mit Bauch und Goldkettchen.

Die Ausrüstung

Je nach Altersklasse kann man deutsche Touristen grob in zwei Kategorien einteilen: Die einen sind Minimalisten, nur mit Handtuch, Sonnenbrille und Coladose in der Hand, und brutzeln sich in der Mittagshitze bis zum Sonnenstich. Die anderen scheinen selbst die ligurische Riviera in einen Campingplatz verwandeln zu wollen und schleppen Strandmuscheln (übrigens ein viel zu niedliches Wort für diese halb offenen Zelte in grellen Farben), Isomatten, Kühlboxen und Spielzeugberge heran.

Hier zeigt sich eine Gemeinsamkeit, denn Italiener verlagern oft den halben Hausstand ans Ufer, die Promenade wird zum Wohnzimmer: Radio, Schirme, Tische – manchmal werden sogar Tischdecken drapiert – und Stühle. Zum Beispiel Miniklappstühle, die man praktisch wie einen Hackenporsche auf Rollen umherfahren kann. Statt ungelenk auf dem Handtuch herumzurollen, sitzt man bequem, und der Po bleibt sandfrei. Passt selbst in den kleinsten Fiat und gibt es fast in jedem italienischen Ferienort.

Das Spiel von Licht und Schatten

90 Prozent der Badegäste haben einen Sonnenschirm dabei. Der Rest? Sind ausnahmslos Ortsfremde, deren frischkäsefarbener Körper nach Vitamin D lechzt, während die Einheimischen maßvoll zwischen Sonne, Meer und Schatten wandeln, obwohl sie schon seit dem Frühling am Teint arbeiten. Damit der Wind den – meist farbenfrohen – Schirm nicht um die Ohren fegt, wird er geübt in den Sand gebohrt, oft mithilfe einer mitgebrachten Schaufel und sogar mit Schnüren und speziellen Haken im Boden befestigt. Profis eben!

Schirm statt Muschel: Auch am Sonnenschutz erkennt man Italiener – und Deutsche.
Schirm statt Muschel: Auch am Sonnenschutz erkennt man Italiener – und Deutsche.Picture Alliance

Ein Mittagessen wie bei Nonna

Während man selbst das mittlerweile klebrige Sandwich aus der Tupperbox holt oder auf ein paar Nüssen kaut und dem Kind eine Banane hinstreckt, staunt man nicht schlecht, wenn bei den südeuropäischen Nachbarn ausgepackt wird: hausgemachte Antipasti, frisches Obst oder kalte Lasagne. Dazu ein kühles Glas Vino Bianco. Gegessen wird nicht, was die nächste Strandbude hergibt, sondern wie zu Hause.

Das Ritual zum ausgiebigen Mittagessen mit la famiglia am Strand ist seit dem Erblühen des Massentourismus nach dem Zweiten Weltkrieg in den Fünfzigerjahren so tief in der italienischen Kultur verankert, dass es sogar einen Begriff dafür gibt: fagottari. Übersetzt heißt das etwa: Personen, die ihr eigenes Essen in Form eines fagotto (Bündels) mitbringen. Heute gibt es zwar meist genügend Snackbars und Restaurants, aber die Preise sind vielen schlicht zu hoch. Bei so einem Festmahl versteht dann auch der leidenschaftlichste Cappuccino-Enthusiast, warum in Italien von Mittag an ein sättigendes und schwer verdauliches Milchgetränk verpönt ist und nur Espresso getrunken wird.

Der Ausklang

17.30 Uhr Ortszeit, die Meeresbrise wird sanfter, die Hitze des Tages kühlt ab, und die goldene Stunde kündigt sich gemächlich an. Irgendwann stehen nur noch ein paar Körper im Wasser, als sei ihnen klar, dass dieser Tag so nicht noch einmal kommt. Einheimische wissen, dass genau jetzt die schönsten Stunden am Strand beginnen. Mit Aperitivo in der Hand wird gelacht, diskutiert und der Sonnenuntergang bewundert, egal wie oft man ihn schon gesehen hat.

Und wir Deutschen? Packen pünktlich zusammen – das Hotelbuffet wartet schließlich nicht. Außerdem spannt die Haut, und jetzt ist auch mal gut mit dem ganzen Sand, der überall klebt. Italiener haben auch dafür eine Lösung: Im Auto liegt ein kleiner Besen bereit, damit sich alle entsanden können. So viel Pragmatismus hätte uns auch mal einfallen können.

Die Moral von der Muschel

Der Strand ist kein Programmpunkt auf der Agenda. Er ist ein Ort für Genuss. Mehr treiben lassen, weniger Zeitmanagement. Mehr dösen, weniger denken. Wer diese Haltung verinnerlicht, kehrt nicht nur erholt, sondern auch ein wenig glücklicher aus dem Urlaub zurück.

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