“Was wir nicht brauchen, ist die Öffnung des Erzieher-Berufs für Jedermann wie bei Taxifahrern” | ABC-Z
Quereinsteiger in Kitas
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“Was wir nicht brauchen, ist die Öffnung des Erzieher-Berufs für Jedermann wie bei Taxifahrern”
Weil es zu wenig Erzieher und Erzieherinnen gibt, werden in vielen Kitas Quereinsteiger eingesetzt. In Brandenburg heißen sie Ergänzungskräfte. Bernhard Kalicki ist Professor für Frühkindliche Bildung. Er sagt, ob und wie das sinnvoll ist.
rbb|24: Hallo Herr Kalicki. Kitas in Deutschland sind bekanntermaßen chronisch unterbesetzt. Vielfach sollen da Seiten- oder Quereinsteiger helfen – und tun das ja auch schon seit Jahren. Ist das der richtige Weg?
Bernhard Kalicki: Neben vielen anderen Anstrengungen, die wir unternommen haben, um Fachkräfte zu gewinnen – Ausbau der Ausbildungskapazitäten, neue Ausbildungsgänge und -formate wie die praxisintegrierte bezahlte Ausbildung, die Reaktivierung der stillen Reserve – wird man auch weiterhin Quereinstiege als eine der Strategien nutzen. Trotzdem werden wir vor allem in Westdeutschland und in den Metropolen in den nächsten Jahren weiterhin diesen Personalengpass haben.
Unter welchen Umständen kann das mit den Quereinsteigerin in einer Kita gut klappen?
Unter dem Gesichtspunkt der langfristigen Attraktivität des Erzieherberufs ist es wichtig, dass die Quereinsteigenden eine hohe Qualifikation erreichen. Das heißt, dass nicht einschlägig qualifizierte Quereinsteigende nicht dauerhaft im Berufsfeld verbleiben sollten. Analysen der Rentenversicherungsdaten zeigen, dass die Öffnung für kaum oder nicht Qualifizierte dazu führt, dass das Berufsfeld unattraktiver wird.
Sie meinen für die Fachkräfte, die schon da sind?
Ja, genau. Man kann das an den Verbleibdaten im Beruf der unterschiedlich Ausgebildeten sehen. Die fachschulisch Ausgebildeten haben die längste Verbleibdauer. Die geringer qualifizierten – das wären die, die an der Berufsfachschule zu Kinderpflegerinnen ausgebildet wurden – haben eine niedrigere Verbleibdauer. Was wir aber anstreben ist, dass die Erzieherinnen eine Art kleine Karriere – also beruflichen Fortschritt – erleben können in der Kita. Damit sie sich nicht über ein Studium weiterqualifizieren und dann abwandern – zum Träger, ins Jugendamt oder in die Fachberatung.
Gibt es Erfahrungen von Menschen aus anderen Berufsfeldern, von denen man profitieren kann in den Kitas?
Rheinland-Pfalz ist da mit seinem neuen Kita-Gesetz einen pfiffigen Weg gegangen. Dort öffnet man das Berufsfeld für nicht einschlägig Qualifizierte – und nennt sie “profilergänzende Kräfte”. Wenn eine Einrichtung einen Schwerpunkt oder ein Profil hat, beispielsweise als Bewegungs-Kita oder ein musisches Profil, macht es sehr viel Sinn, Personen, die dafür eine Qualifikation mitbringen, aufzunehmen. Wir sprechen dann von multiprofessionell aufgestellten Teams. Das ist gut begründet und somit auch der Weg, im Team mit seiner besonderen Qualifikation anerkannt zu sein. Was wir nicht brauchen, ist die Öffnung des Erzieher-Berufs für Jedermann wie bei Taxifahrern. Insofern sind die Qualifikationsanforderungen der Bundesländer – wir sprechen da von Fachkräftekatalogen – enorm wichtig.
In Brandenburg kann sich jeder über 18 Jahre, der oder die schon irgendeinen Berufsabschluss hat – auch als Heizungsmonteur oder Einzelhandelskauffrau – als “Ergänzungskraft” qualifizieren. Es kann also nicht funktionieren, wenn solche Kräfte vielfach in die Kitas kommen?
Das wird nicht funktionieren. Vor allen Dingen, wenn es sich um ein Bundesland handelt, wo wir wissen, dass die Kinderzahlen zurückgehen werden und wo schon ein hoher Ausbaustand erreicht ist. Es gibt den U3-Ausbau – den Rechtsanspruch auf einen Kita-Platz für die ein- und zweijährigen Kinder – und wir wissen, dass die ostdeutschen Bundesländer schon einen weiten Weg gegangen sind. Dort ist das Delta, also der Mangel an Fachkräften, nicht so groß. Bundesländer, die also ohnehin nicht diesen großen Ausbaubedarf haben, haben in Zukunft eher zu viel Personal. Sie hätten also die Chance, die Personalschlüssel in den Kitas zu verbessern. Wenn sie sich für nicht qualifiziertes Personal öffnen, ist das bedenklich. Ich bekomme mit, dass da Einsparpotenziale gesehen werden. Das ist traurig angesichts der Systemrelevanz der Kindertagesbetreuung – die wir ja in Krisenzeiten betont haben und die wir auch jetzt wieder feststellen.
Vielfach ist zu lesen, dass das mit den Quereinsteigern in den Kitas gut laufen könnte, wenn für bestimmte Tätigkeiten und Situationen die Fachkraft herangezogen wird. Um welche Situationen geht es da?
Dieser wichtige Punkt wird von den zuständigen Landesministerien aktuell diskutiert. Die Frage, die dahintersteht, ist ja, ob wir hochwertige Tätigkeiten von anderen unterscheiden können, für die man vielleicht geringer qualifiziertes Personal einsetzen kann. Der Gedanke ist zulässig. Allerdings wissen wir, dass Kinder in den ersten Lebensjahren alltagsintegriert und beiläufig lernen. Es gibt ja in Kitas kein Unterrichtsformat mit beispielsweise einer Dreiviertelstunde Inhalt, sondern die Kinder lernen immersiv im Alltag. Deshalb ist es so wichtig, dass der Alltag beispielsweise sprachlich hochwertig begleitet wird. Und dass die Kinder angeregt werden, den Alltag mit all den Fragen, die sich stellen, zu meistern, indem da eine Erzieherin ist, die das Lern- und Bildungspotential erkennt. Man kann schauen, welche Entlastung es durch Assistenzkräfte geben kann – und da kann man sicher auch mutiger rangehen. Man sollte in dieser aktuellen Krisen- und Mangelsituation, die durch den Kita-Ausbau und demographische Entwicklungen wie Zuzug durch Migration bedingt ist, aber keine langfristigen Veränderungen und Verschlechterungen zulassen. Denn in zehn Jahren wird die Situation eine andere sein.
Es gibt von der Internationalen Gewerkschaftsunion (ILO) Vorgaben zum Thema Qualität der Arbeit. Da heißt es, wenn wir jetzt sehr pragmatisch Öffnungen zulassen würden, müsste man diese zeitlich befristen, um nicht in eine Abwärtsspirale der Qualität zu geraten.
Jetzt haben wir vor allem darüber gesprochen, was die Kinder brauchen. Wie wirkt sich der Einsatz von Quereinsteigern auf die Gruppendynamik unter den Erwachsenen in einer Kita aus?
Wir sehen in einer Studie, die wir mit der Förderung der Hans-Böckler-Stiftung geführt haben, dass die Quereinsteigenden typischerweise einige Jahre älter sind, wenn sie in den Beruf kommen. Das führt dazu, dass ihnen die Kita-Leitung häufig mehr zutraut, als sie schon können. Das heißt, sie machen dann oft einen Sprung ins kalte Wasser. Sie bräuchten aber Praxisanleitung, eine Mentorisierung, also jemanden, der sie begleitet und an die Hand nimmt. Aus besagter Studie haben wir auch Hinweise darauf, dass die qualifizierten Fachkräfte im Team, die einen Quereinsteigenden aufnehmen, sich dann fragen, wieso sie selbst eine fünfjährige Ausbildung gemacht haben, wenn Kurzqualifizierte in die Kita kommen, die annähernd gleiche Arbeit machen und ähnlich viel verdienen.
Da geht es ja um das Thema Wertschätzung. Führt das Fehlen dieser zu einer weiteren Abwärtsspirale?
Ja, und das ist ein wichtiger Punkt. Wir haben auch eine Gratifikationskrise – und Fachkräfte, die zu wenig Wertschätzung erleben. Also etwa im Sinne von Anerkennung, wenn sie beim Übergang von Kindergarten zur Grundschule im Austausch mit Grundschulkräften sind – aber es geht auch um die Entgelte. Bei letzterem hat sich einiges getan. Das haben wir auch im Fachkräftebarometer beschrieben: die Entgelte der Erzieher haben sich in den vergangenen Jahren deutlich nach oben bewegt.
Vielen Dank für das Gespräch.
Das Interview führte Sabine Priess, rbb|24