Was passiert, wenn eine Klinik schließt? |ABC-Z
Deutschland altert zusehends. Das gilt auch für Hessen. Ältere haben in der Regel mehr Krankheiten als Jüngere. Sie gehen öfter zum Arzt oder müssen in die Klinik. Das kostet viel Geld. Denn die Apparatemedizin ist teuer. Begehrte Pflegekräfte sind rar, sie wollen zudem besser bezahlt werden als früher. Das alles bleibt nicht ohne Folgen. So steigen die Krankenkassenbeiträge. Und Krankenhausbetten werden landauf, landab reihenweise abgebaut. Tendenz steigend, zumal Patienten zunehmend ambulant versorgt werden können. Sie müssen oft nicht mehr tagelang ein Klinikbett belegen. Das weiß etwa, wer am Meniskus operiert worden ist.
Vor diesem Hintergrund ist die Prognose von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) zu sehen, nach der weitere Krankenhausbetten überflüssig werden. Kliniken sollen sich auf eine überschaubare Zahl an Aufgaben spezialisieren und kein medizinischer Gemischtwarenladen mehr sein. Auch werden demnach weitere Hospitäler von der Bildfläche verschwinden. Das Stichwort lautet „Krankenhausstrukturreform“. Das klingt zunächst abstrakt. Drei Worte in einem Begriff. Behördendeutsch eben. Doch es gibt Kliniken, in denen das Vorhaben schon realisiert worden ist. Zum Beispiel in Büdingen und andernorts in der östlichen Wetterau.
Alle stationären Betten abgebaut
Denn zum 30. Juni hat der Betreiber Bergman Clinics das traditionsreiche Mathilden Hospital teilweise geschlossen. Unter anderem die Notaufnahme, die Chirurgie, die Intensivstation und die Innere Medizin gehören in der früheren Kreisstadt seitdem der Vergangenheit an – und damit alle stationären Betten. Das ist ein tiefer Einschnitt. Dafür will der in den Niederlanden ansässige Betreiber die Psychiatrie ausbauen. In dieser Hinsicht gilt die Teilregion als unterversorgt. Auch soll es mehr ambulante Operationen geben. Gegen diesen Plan hatte der Magistrat von Büdingen protestiert, seine Onlinepetition in der Sache fand Tausende Unterzeichner, auch die Belegschaft und Vertreter etablierter Parteien wandten sich gegen das Vorhaben von Bergman Clinics. Das Gesundheitsministerium jedoch stoppte Bergman nicht. Der Landeskrankenhausausschuss hatte zuvor empfohlen, dem Antrag des Unternehmens auf Teilschließung zu folgen.
Mag der Einschnitt in Büdingen auch als noch so tief empfunden werden und mögen bis zu 150 Planstellen wegfallen – die Botschaft aus Wiesbaden lautete unmissverständlich: Das im Volksmund liebevoll „Mathildchen“ genannte Hospital wird zumindest aus gesundheitspolitischer Perspektive nicht gebraucht. Zumindest gilt das für seine stationären Betten. Andere Krankenhäuser können die bisher in Büdingen versorgten Fälle mit bewältigen. Die Versorgungssicherheit steht auch ohne dieses Krankenhaus in der östlichen Wetterau nicht auf dem Spiel. Zumal zuletzt nur knapp 50 Planstellen besetzt waren. Andernfalls hätte der Wetteraukreis einspringen und das Hospital selbst betreiben müssen. Schon angesichts der roten Zahlen des Hauses war das keine verlockende Aussicht.
Zurück bleibt in Büdingen nun eine Art Trauer um das „Mathildchen“, wie sich jüngst im Verlauf einer Versammlung zeigte. Und die Frage lautet: Bleibt die Teilschließung ansonsten folgenlos für die medizinische Versorgung in der östlichen Wetterau? Mitnichten. Aber dabei geht es weniger um Krankenhäuser. Vielmehr trifft der Schritt von Bergman Clinics die Rettungsdienste und die dahinter liegende Einsatzplanung. Also eine Gruppe und einen Teil der Verwaltung, die in der Debatte um die Krankenhausstrukturreform viel zu sehr in den Hintergrund treten.
Landkreis muss Rettungsdienste neu ordnen
In der für die Rettungsdienste und die Leitstelle in der Wetterau zuständigen Fachstelle sorgte die Ankündigung von Bergman Clinics schon im Frühjahr für erhöhte Betriebsamkeit. Einerseits kam sie zur Unzeit. Denn erst zum 1. Januar hatten die Fachleute nach den Worten von Leiter Jürgen Nickel die Planung an den zu erwartenden Bedarf angepasst. Das Vorhaben von Bergman stellte diese Planung „auf den Kopf“. Denn rasch wurde klar: Die Krankenwagen müssen weitere Wege fahren als bisher, wenn jemand aus dem Raum Büdingen versorgt werden muss. Zum anderen hatte die Verwaltung auch Glück, denn die Fachstelle hatte noch einen Gutachter an der Hand und konnte mit ihm als Partner umplanen.
Aus einer Klinikschließung folgt demnach eine ganze Reihe von Fragen. Im vorliegenden Fall etwa: Wie viele Patienten haben die Rettungsdienste überhaupt in das „Mathildchen“ gefahren? Wo kamen sie her? Und mit welchen Befunden? Klar war: Für Patienten aus Bad Nauheim, Bad Vilbel oder Friedberg war das Büdinger Hospital ohne größere Bedeutung. Es versorgte vor allem Kranke aus der östlichen Wetterau und aus dem angrenzenden Vogelsberg. Sein Fall lehrt überdies, genau hinzuschauen. Denn weder Patienten mit Herzinfarkten oder Schlaganfällen noch solche mit urologischen Krankheiten oder Schwerstverletzte kamen nach Büdingen; auch keine Kindernotfälle.
Patienten kommen in spezialisierte Kliniken
Für Herzinfarkte gibt es die Kerckhoff-Klinik in Bad Nauheim, für Schlaganfälle die Stroke Unit in Bad Salzhausen und für Kinder die Krankenhäuser in Gelnhausen und Hanau, zudem die Uniklinik in Gießen. Letztlich musste das Büdinger Krankenhaus nur gut fünf Prozent der Patienten aufnehmen, die Rettungsdienste in Kliniken in der Wetterau und in angrenzenden Kommunen fuhren. Das folgt aus der Analyse der einsatzstärksten Monate Dezember bis März. Das ist zwar keine vernachlässigbare Größe, aber eben auch keine Zahl, die Planern die Schweißperlen auf die Stirn treibt.
Wie aber steht es mit der erhöhten Fahrtzeit? Nickel sagt, eine Fahrt aus Ortenberg nach Schotten dauere gut zehn Minuten länger als nach Büdingen. Dieser Zuschlag ist nach seinen Worten aber nicht entscheidend. Wichtiger ist demnach die Arbeit der Rettungssanitäter und Notärzte. Ein Rettungswagen gilt längst als fahrende Intensivstation – nur Operationen sind darin nicht möglich. Die Leitstelle sucht im Hintergrund auf einer hessischen Onlineplattform das richtige Bett für den Patienten aus. Insofern müssen vor allem genug Rettungswagen vorhanden sein.
Zwei Jahre bis zum neuen Rettungswagen
Das wiederum klingt banaler, als es ist. Einen Rettungswagen gibt es nicht im Autohaus um die Ecke. Er muss bestellt werden. Lieferzeit: rund zwei Jahre. Dass der Wetteraukreis gleichwohl tagsüber ein zusätzliches Fahrzeug in Ortenberg stationieren kann, verdankt er auch einem glücklichen Zufall. Das Rote Kreuz in Büdingen hat einen Wagen auf dem Gebrauchtmarkt gefunden – „fast ein Wunder“, sagt Nickel. Und wie es der Zufall will, bringen die Johanniter und die BG Unfallklinik Frankfurt in der Wetterau zwei neue Fahrzeuge mit Notärzten auf die Straße. Dies ist zwar keine Folge der Teilschließung in Büdingen, kommt dem Kreis und seinen Bürgern aber zupass.
Rechtzeitig einen Rettungswagen verfügbar zu haben ist aber nicht die einzige Aufgabe für die Planer. Ein solches Auto braucht Personal und muss regelmäßig gewartet werden. Gleiches gilt für die Rettungswachen, in diesem Fall in Altenstadt und Büdingen. Zehn Vollzeitstellen sind dafür notwendig. Und das in einer Zeit des Fachkräftemangels auch bei Rettungssanitätern – und vermehrter Angriffe auf Helfer durch Personen, die sich nicht im Griff haben. Den Planern bleibt nicht viel anderes übrig, als sich am Markt zu bedienen. Im Zweifel müssen sie anderswo Fachkräfte abwerben. Sie müssen mit zwei Engpässen klarkommen. Darüber wird zu wenig gesprochen.