Was Männer an Frauen mit Bizeps stört | ABC-Z

Mit der Bewegung für mehr Körperakzeptanz zu Beginn der 2010er verbanden viele Frauen die Hoffnung, endlich Frieden mit dem eigenen Körper schließen zu dürfen. Nach dem Hungern, den Essstörungen und der endlosen Diäten für den Heroin-Chic war es Zeit für Heilung. Doch nun ist der Skinny-Trend der 90er Jahre zurück. Dank der Abnehmspritze ist der gesellschaftliche Druck, dünn zu sein, gerade wieder so präsent, als hätte es Body Positivity nie gegeben.
Das hartnäckige Festhalten an der filigranen weiblichen Silhouette ist gesellschaftlich wohl auch deswegen so schwer zu überwinden, weil die körperliche Unterlegenheit von Frauen zum Gründungsmythos des Patriarchats gehört. In der biologistischen Erzählung gilt der Mann als leistungsfähiger, stärker, dominanter. Sein Gegenstück ist das schwache Geschlecht – klein, zart und beherrschbar. Die Idee vom minimierten Frauenkörper ist kein Zufall. Das Gebot vom Dünnsein ist auch eine Disziplinierungsstrategie: Es hält Frauen buchstäblich klein.
Wenn Frauen systematisch auf körperliche Schwäche normiert werden, nutzt das einem Erziehungsprogramm, das den weiblichen Körper nicht bloß formt, sondern vielmehr zähmt. Wer von Frauen erwartet, zierlich und verletzlich zu bleiben, verbietet ihnen letztlich auch den Zugang zu Kraft und Muskeln.
Beim idealen Frauenkörper geht es nie nur um Ästhetik, sondern immer auch um Macht
Bereits 1974 zeigte die US-amerikanische Feministin Ann Crittenden Scott in ihrem Essay „Schließen wir den Muskel-Gap“: Körperliche Unterlegenheit wurde Frauen historisch antrainiert. Die Größe des Bizeps ist nicht nur Biologie, sondern auch Kultur. „Von allen Formen der Unterdrückung, die im Lauf der Jahrhunderte des Paternalismus schwer auf der Frau lasteten, war die Verleugnung ihrer Körperkraft vielleicht die perfideste“, schreibt Crittenden Scott. Der Begriff „Muskel-Gap“ verdeutlicht, wie Vorstellungen von Weiblichkeit Machtverhältnisse zementieren. Weibliche Kraft wird nicht nur ignoriert, sondern unterdrückt.
Spielraum für weibliche Muskelmasse bleibt klein
Es geht bei der Frage nach dem idealen Frauenkörper also nie nur um Ästhetik, sondern immer auch um Macht. Die dünne Frau ist wehrlos und deswegen besser zu beherrschen. Kein Wunder also, dass trotz des wachsenden Interesses vieler Frauen am Krafttraining der Spielraum für weibliche Muskelmasse klein bleibt. Muskeln sind nur erlaubt, wenn das feminine Erscheinungsbild weiterhin schlank, sanft und begehrenswert bleibt.
In den 2010ern galt der aufkommende Trend „Strong is the new skinny“ als empowernde Gegenbewegung zum Magerwahn. Doch auch hier sind patriarchale Narrative lediglich in den sportlichen Selbstoptimierungsgedanken des Neoliberalismus übertragen worden.
Die erfolgreichsten deutschsprachigen Fitnessinfluencerinnen wie Pamela Reif, Lisa del Piero und Anna Engelschall symbolisieren mit ihren trainierten Körpern weniger Kraft als Disziplin und Sexyness. Der Sixpack, die wohlgeformten Beine und ein runder Po sind Trainingserfolge, die die Attraktivität unterstreichen in einer Welt, in der für Frauenkörper nicht Funktionalität im Vordergrund steht, sondern Ästhetik: Bauch, Beine, Po zählen zu den am stärksten erotisierten Körperzonen und dürfen sichtbar trainiert sein. Bizeps, Rücken und Schultern sind hingegen mit Durchsetzungskraft assoziiert und gelten als männliche Muskelgruppen.
Training macht Frauen also schön und Männer stark. Muskeln sind ein Symbol für Männlichkeit, die sich besonders in Zeiten wankender Rollenbilder behaupten muss. Aus diesem Grund gelten Frauen mit sichtbarer Muskulatur oft als „vermännlicht“. Um zu beschwichtigen, inszenieren viele Sportlerinnen betont Feminität: Lange Haare, Make-up und sexy Sportklamotten sind die Versicherung, dass sie nicht trainieren, um die binäre Geschlechterordnung zu stürzen.
Wer von der Norm abweicht, zahlt dafür einen Preis
Wer von der normierten Beauty- und Muskelästhetik abweicht, zahlt seinen Preis – wie die US-Gewichtheberin Sarah Robles, die trotz Olympiagold lange ohne Sponsoring blieb und 2012 in einem Interview zur Finanzierung ihrer Laufbahn sagte: „Du bekommst ein Sponsoring, wenn du ein großartiger Kerl bist oder ein Mädchen, das im Bikini gut aussieht – aber nicht, wenn du gebaut bist wie ein Kerl.“
Kein Wunder, dass sichtbare Armkraft unter vielen Frauen im Breitensport noch immer als Trainingsfehler gilt. Viele Frauen befürchten, durch gezieltes Hanteltraining körperlich „zu massiv“ zu werden. Auf zahlreichen Fitness-Seiten und Social-Media-Accounts zu Muskelaufbau und körperlicher Stärke ist daher Aufklärungsarbeit nötig. Sie ist auch der Versuch, weibliche Kraft aus der Schublade des Unerwünschten zu holen und ihr einen selbstverständlichen Platz zu geben.
Über die Sorge, wegen eines Workouts aus Versehen nicht mehr in die Seidenbluse zu passen, kann die Bodybuilderin Elisabeth Kammerer nur müde lächeln. Sie weiß, dass es wesentlich mehr braucht, um eine „Muskel-Barbie“ zu werden. Damit meint sie jenes extrem muskulöse Erscheinungsbild, auf das sie gerade selbst hinarbeitet, als wir uns über die gesellschaftliche Wahrnehmung von Frauen mit demonstrativen Muskeln unterhalten. „Man muss mit diesem Ideal schon seine Frau stehen“, sagt sie, „vor allem, weil Männer sich nicht selten gekränkt fühlen, wenn mein Bizeps größer ist als ihrer.“
Patriarchale Strukturen in Vorstellungen von Weiblichkeit
Ihr Körper ist das Ergebnis eines jahrelangen und extrem fordernden Leistungssports. Er hat viel mit Selbstdisziplin und Selbstermächtigung zu tun. Die sportliche Leistung des Bodybuildings wird aber oft als eitle Übertreibung abgewertet. Wohl auch, weil die ausgeprägten Muskeln selbst das sportliche Ziel sind und kein Nebenprodukt eines ambitionierten Wettkampfsports. Der Körper einer Bodybuilderin bricht demnach ganz bewusst mit dem schlanken Ideal und gilt deswegen als merkwürdige Absage an die patriarchale Bestimmung als Objekt der Begierde.
Der Muskel-Gap zeigt eindrücklich, wie tief patriarchale Strukturen in unseren Vorstellungen von Weiblichkeit verankert sind. Stärke und Muskelaufbau sind für Frauen nicht einfach ein Fitnessziel, sie sind eine Kampfansage an alte Machtverhältnisse. Wenn Frauen sich von der Pflicht befreien, körperlich klein und zierlich zu sein, holen sie sich die Hoheit über ihren eigenen Körper zurück.