Was Kinder (und Eltern) wissen müssen | ABC-Z

Auf einer Leinwand im Hörsaal des Unfallkrankenhauses Berlin (Ukb) ist das Bild einer blutigen und zerfetzten Hand zu sehen. Alltag für den Chirurgen Frank Eichenauer, der Silvester regelmäßig im OP verbringt. Vor ihm sitzen Schüler, manche gucken entsetzt weg, als sie die Hand sehen. „Silvester ohne Krankenhaus ist besser“, sagt der Chirurg zu den Schülern. „Und ich will euch nicht begrüßen.“ „C.L.E.V.E.R“ heißt das Projekt, das das Krankenhaus ins Leben gerufen hat. Clever, das steht, etwas verkopft, für „Check Life, Explosionen verursachen ernsthafte Risiken“. Etwas einprägsamer ist der Slogan: „Gehirn an – Finger dran“.
Entstanden ist das Projekt bei einem Flurgespräch zwischen der Leiterin der Handchirurgie Leila Harhaus-Wähner und Erik Haucke vom Zentrum für Notfalltraining. In sieben verschiedenen Workshops sollten die Schülerinnen und Schüler mit Pyrotechnikern über die Wirkung von Sprengstoff sprechen, mit Sanitätern Rettungsmaßnahmen simulieren und mit Ärzten über die Folgen von Böllerverletzungen sprechen. Die Berliner Morgenpost war dabei und beantwortet wichtige Fragen rund um Silvester.
Böller, Raketen, Kugelbomben: Was für Feuerwerkskörper gibt es?
Welche Feuerwerkskörper es gibt, erklärte der Pyrotechniker Felix Martens, geschäftsführender Vorstand des Bundesverbands für Pyrotechnik und Kunstfeuerwerk. Auf dem Tisch stehen leere Batterien, daneben glühbirnenförmige Kugeln. Die sogenannten „Kugelbomben“, die im vergangenen Jahr für so viele Negativschlagzeilen sorgten.
Böller, Batterien, Raketen: Es gibt ganz unterschiedliche Feuerwerkskörper. Alle sind gefährlich.
© FUNKE Foto Services | Maurizio Gambarini
Kugelbomben sind verboten und dürften eigentlich nur von Profis wie Martens gezündet werden. „Die gehören in ein Rohr“, sagt der Pyrotechniker. Von dort werden sie in den Himmel geschossen, bis zu 100 Meter hoch, und sorgen für bunte Lichteffekte. Werden Sie am Boden gezündet, in engen Straßenschluchten, dann sind sie lebensgefährlich. Doch auch kleine (und legale) Knallkörper können schon zu Verletzungen führen. Egal ob Wunderkerze, Rakete oder römisches Licht. Einmal angezündet, so Martens, gebe es kein Zurück mehr. Deshalb gilt: „Erst denken, dann handeln.“
Silvester: Wie zündele ich sicher?
Die Regeln sind relativ klar und auf einem bunten Plakat hinter Martens aufgedruckt. Erstens: Abstand halten. Mindestens acht Meter. Zweitens: Eine Flasche Wasser beim Zündeln dabei haben. Drittens: Batterien auf eine Ebene stellen und seitlich sichern. Wenn Raketen aus Flaschen gezündet werden, sollten die Flaschen in Getränkekisten stehen. Viertens: Feuerwerk niemals in der Hand zünden. „Abstellen, anzünden, Abstand halten.“

Hier simuliert ein Schüler Feuerwerks-Verletzungen.
© FUNKE Foto Services | Maurizio Gambarini
Fünftens: Wenn ein Feuerwerk nicht zündet, nicht erneut versuchen, es anzünden. Das bedeutet auch: Blindgänger liegen lassen. Sechstens: Nüchtern sein. Und, so erklärt es Martens: Wer an Silvester draußen unterwegs ist, sollte keine Polyesterklamotten tragen. Denn wenn diese Feuer fangen, schmelzen die Kunststofffasern und bleiben auf der Haut kleben.
Wie erkenne ich legale und illegale Knallkörper?
Besonders gefährlich ist nicht zugelassenes Feuerwerk. Also Böller, Knaller und Co., die nicht auf europäischer Ebene geprüft wurden oder die nicht von Laien gezündet werden dürfen. Legales Feuerwerk kann man anhand unterschiedlicher Kennzeichen identifizieren. Es hat eine Registriernummer und eine sogenannte CE-Kennzeichnung, die anzeigen, das Produkt ist mit den EU-Regeln konform, gefolgt von einer vierstelligen Zahl. Sie sind entweder Feuerwerkskörper der Kategorie F1 (Kleinstfeuerwerk) oder F2 (Kleinfeuerwerk). Alles ab Kategorie F3 (Mittelfeuerwerk) erfordert eine besondere Erlaubnis. Ein klar erkennbares Kennzeichen: Eine Bedienungsanleitung auf Deutsch. Wenn das nicht vorliegt, handelt es sich mutmaßlich um illegales Feuerwerk; hier gilt erst recht: Finger weg.

Eine Mitarbeiterin des Unfallkrankenhauses Berlin präsentiert eine Handprothese.
© FUNKE Foto Services | Maurizio Gambarini
Pyrotechniker Martens beobachtet, dass immer mehr illegale Feuerwerkskörper an Silvester gezündet werden. Die Pyrotechnik stammt unter anderem aus dem Ausland, etwa aus Polen, wo sie legal gekauft werden kann. Teilweise werden die illegalen Knaller aber auch über Telegram und TikTok bestellt und per DHL geliefert. Polizeisprecher Nath erklärte auf einer Pressekonferenz im Rahmen der Veranstaltung: Seit November wurden bereits über 150 selbstgebaute Sprengkörper beschlagnahmt. „Bei Leuten, die wir schon seit Silvester letztes Jahr im Auge hatten.“ Hinzu kommen Ermittlungen gegen Händler. Vor einigen Wochen, so Nath, hob die Polizei ein illegales Pyrotechniklager in Pankow aus – in einer Gartenlaube.
Unfälle an Silvester: Was, wenn es schiefgeht?
Wie gefährlich Böller sind, zeigt ein Versuch der Pyrotechniker vor dem Krankenhaus: Sie jagen einen Kohlkopf in die Luft, mit einem, für Otto Normalverbraucher, illegalen Böller. Meterweit werden die Kohlblätter geschleudert. Wenn so ein Böller in der Hand explodiert, erklärt ein Pyrotechniker den Schülern, dann „ist die Hand weg“.

Ein Kohlkopf wird in tausend Teile gerissen.
© FUNKE Foto Services | Maurizio Gambarini
Mit solchen Verletzungen landen an Silvester zahlreiche Patienten im Ukb. Was dann passiert, auch das dürfen die Schüler erleben. Gemeinsam mit Feuerwehrleuten und Pflegern. Irgendwann liegt ein Junge mit Verband um die Augen auf einer Trage in einem Schockraum, mimt den Verletzten, und ein Pfleger erklärt den Schülern, die ringsherum stehen, was ein Pneumothorax ist und wie ein Böller einen solchen lebensgefährlichen Lungenkollaps verursachen kann.
„Ich glaube, dass die Aufklärung sehr, sehr wichtig ist“, sagte eine Schülerin der Berliner Morgenpost. Ihre Familie feiert in der Regel ruhig, mit wenig Feuerwerk. Die Veranstalter vom Ukb dürfte das freuen. Auch im kommenden Jahr soll „C.L.E.V.E.R.“ wieder stattfinden. Wenn es auf Dauer angenommen wird, könnte es auch bundesweit an den berufsgenossenschaftlichen Kliniken ausgerollt werden.
Mit dpa
















