Was gibt es auf Schloss Hollenegg an zeitgenössischem Design zu erspähen? | ABC-Z
Die wertvollsten Kunstgegenstände und Möbel waren schon eingemauert, im ehemaligen Kanonenturm, wo sich heute die Bibliothek befindet. Schließlich eilte der anrückenden Sowjetarmee der Ruf voraus, zu plündern und zu zerstören. Doch Schloss Hollenegg blieb verschont, und nach kurzer sowjetischer Besetzung übernahmen die Briten die Steiermark. So gleicht das Schloss auf einem Hügel südwestlich von Graz heute einem Schatzhaus. Im zwölften Jahrhundert erstmals urkundlich erwähnt und seit 1821 im Besitz der Familie Liechtenstein, haben sich in den Räumen die Jahrhunderte angesammelt wie in einer Wunderkammer. Die zahllosen Zimmer sind ausgestattet mit alten Möbeln, Kronleuchtern, Seidentapeten, Wandteppichen, Gemälden und Waffen. Und seit neun Jahren kommen jedes Jahr neue kunstvolle Objekte hinzu. Ein dunkelroter Wollteppich, der farblich zum Baldachin des Barockbetts passt, ein Set mundgeblasener Gläser, ein Bettüberwurf, ein höhenverstellbarer Lacktisch, sogar eine voll funktionsfähige Küche, verborgen in einem handgearbeiteten Holzschrank. Manchmal muss man schon zweimal hinschauen, um das zeitgenössische Stück zu entdecken zwischen den Gobelins, den mit Silber beschlagenen Wandpaneelen und den Stuckverzierungen.
Die historische Bausubstanz des Schlosses, etwa der große Saal und das Renaissance-Treppenhaus, ist weitgehend intakt und kam unbeschadet durch den Zweiten Weltkrieg.
Schlossherrin Alice Stori Liechtenstein eilt die Enfilade entlang, nickt dem Aufsichtspersonal zu und hat keine Augen für die ganze Pracht und den Glanz. Heute ist der große Tag, auf den die Italienerin – dunkles Haar, grüngemustertes Kleid – eineinhalb Jahre lang hingearbeitet hat. Heute beginnt die jährliche Ausstellung, für die Stori Liechtenstein zeitgenössisches Design in die historischen Räume holt. „Schloss Hollenegg für Design“ heißt die Initiative, die sie 2015 gestartet hat. Die Motivation? Das Gebäude, in dem sie mit ihrer Familie wohnt, einmal im Jahr für alle zu öffnen. „Es ist ein besonderer Ort“, sagt die Designerin und Kuratorin. „Es gibt so viele Schätze darin.“ Und mit den Objekten heutiger Gestalter fügt sie der Geschichte des Schlosses ein neues Kapitel hinzu. In diesem Jahr lautet der Titel der Ausstellung „Wood Land“, die Exponate beschäftigen sich mit Holz und Waldwirtschaft.
„Es ist ein besonderer Ort. Es gibt so viele Schätze darin.“
ALICE STORI LIECHTENSTEIN, Designerin und Kuratorin
Der Eingang zum Schloss liegt direkt neben dem großen Rundturm, in dem einst die Kanonen standen und der bei Kriegsende die größten Schätze verbarg. Durch ein Tor geht es in den ersten von zwei Höfen, die Rhododendronbüsche blühen, den Brunnen ziert eine eiserne Laube aus dem 17. Jahrhundert. An einem Ende des Hofs gibt es ein offenes Renaissance-Treppenhaus mit Arkaden, für dessen Bau sich vormalige Schlossbesitzer einst hoch verschuldeten. Die Treppen führen direkt zum Festsaal in der ersten Etage. Die Wände und die Decke sind barock ausgemalt, als stünde man in einem römischen Palast.
Doch das Entscheidende passiert heute auf dem Boden. Auf den Steinplatten liegen Dielenbretter, überzogen mit marmorierten Mustern. Die Dänin Pernille Snedker hat eine Technik entwickelt, um solche Muster auf Holzoberflächen zu übertragen. Snedker stattet mit ihren „Marbelous Wood“-Dielen Wohnungen, Geschäfte und Hotels aus. Alice Stori Liechtenstein entdeckte Snedkers Arbeit vor einigen Jahren, „Wood Land“ war der passende Anlass, sie einzuladen. So läuft es oft, Stori Liechtenstein ist umtriebig und in der Designszene bestens vernetzt.
Dieses Jahr unter anderem zu sehen: Borkenkäfer-Skulpturen von Guillaume Slizewicz oder eine Leiter aus Weihnachtsbäumen von Lisa Ertel und Jannis Zell
Neben der jährlichen Schau im Schloss kuratiert sie weitere Ausstellungen. Im vergangenen Jahr etwa die Ausstellung zum 200. Geburtstag der Glasmanufaktur Lobmeyr im Wiener MAK – Museum für angewandte Kunst. Auf Designmessen, in Galerien und Ausstellungen, bei Freunden und selbst auf Instagram findet sie Kandidaten für das Programm im Schloss. Der persönliche Austausch ist für sie zentral, menschlich müsse es stimmen. „Manchmal gibt es auch Konflikte, da ist es wichtig, dass man sich gut versteht. So haben am Ende alle eine Freude.“
Auch schon länger auf ihrem Radar ist die Designerin Elisa Strozyk mit ihren „Wooden Textiles“. Die Berlinerin appliziert kleine hölzerne Dreiecke auf Stoff und schafft so ungewöhnliche Stücke zwischen weichem Textil und hartem Holz. Für „Wood Land“ bespielt sie damit einen der originellsten Orte in Schloss Hollenegg: die blau-weiß geflieste Badewanne, die 1861 in einer Nische eingebaut worden war. Damals eine Sensation in der Gegend, die Armaturen wurden extra aus England importiert, wie Stori Liechtenstein beim Rundgang erzählt. Ob 1861 wirklich schon fließend warmes Wasser aus dem Hahn kam? „Angeblich schon, aber wir sind uns nicht sicher.“
Auch mit der jungen Gestalterin Johanna Seelemann aus Leipzig hat es gefunkt. Seelemann bildet zusammen mit Robert Damisch, Ida Eklöf und Heinrich Ehnert das Erzgebirge-Kollektiv, die Gruppe arbeitet mit Unternehmen aus dem Erzgebirge an einer Zukunftsperspektive für das Holzhandwerk der Region. In Hollenegg zeigen sie den Kronleuchter Leuchterspinne, ein rosa-rotes Objekt aus rund 100 Einzelteilen, die in klassisch erzgebirgischen Techniken wie Ringelbaumdrehen und Spanbaumstechen hergestellt sind. Die meisten Exponate von „Wood Land“ sind in den Prunkräumen im Nordflügel des Schlosses ausgestellt. Dieser Gebäudeteil mit musealen Interieurs hat keine Zentralheizung, auch Strom gibt es nicht überall. Alice Stori Liechtenstein lebt mit ihrem Mann Alfred Liechtenstein und den drei Kindern auf der anderen Seite des Hofs, in einem für heutige Bedürfnisse besser geeigneten Trakt aus dem 19. Jahrhundert.
Zur Initiative „Schloss Hollenegg für Design“ gehört nicht nur die jährliche Ausstellung im Mai: Jedes Jahr im Sommer kommen junge Gestalter zur „Residency“ nach Hollenegg, um neue Objekte zu entwickeln, die dann im nächsten Jahr ausgestellt werden. Manche Objekte fertigen sie selbst, andere entstehen zusammen mit lokalen Handwerkern. „Schloss Hollenegg für Design“ ist als Verein organisiert, Stori Liechtenstein arbeitet ehrenamtlich. Sie wirbt Geld ein und sucht Partner, um das Programm zu finanzieren und die Produktion der Designobjekte zu ermöglichen. Im Gegenzug gehen einige Stücke in das Eigentum des Vereins über und finden ihren Platz im Schloss, zwischen den Renaissance-Öfen und den chinesischen Seidentapeten.
Leuchter aus Holz vom Erzgebirge-Kollektiv
Zu den Teilnehmern der „Residency 2023″ gehörte der belgische Designer Guillaume Slizewicz. Er nahm sich den Borkenkäfer zum Thema, den gefürchtetsten Schädling im Wald, und recherchierte, welche Verheerungen die Insekten in den vergangenen Dürrejahren angerichtet haben. Was sich nach langen Zahlenreihen und trockenen Berichten anhört, entpuppt sich in der Ausstellung als amüsante Käferfiguren aus geschnitztem Holz, deren unterschiedlich verkohlte Körper jeweils die Menge des vernichteten Holzes eines Jahres anzeigen. Wie die im Schloss allgegenwärtigen Jagdtrophäen sind die Käfer auf Platten montiert und als Dekorationen an die Wände gehängt. Auch thematisch ist das Projekt auf den Ort bezogen. Zum Schloss gehören viele Hektar Wald, die Stori Liechtensteins Mann bewirtschaftet und aus deren Erträgen der Erhalt von Gebäuden und Park finanziert wird. „Ohne den Wald könnte das Schloss nicht überleben“, sagt Alice Stori Liechtenstein.
Mit Ausstellungen über Holz oder wie zuvor über Glas oder Keramik setzt sich Stori Liechtenstein mit drängenden Themen wie dem Zustand der Wälder auseinander. „Wenn man über die Objekte spricht, spricht man über die handwerkliche Herstellung oder über bestimmte Technologien“, sagt sie. „Aber man kann zugleich auch über Klimawandel sprechen, über die Nachhaltigkeit von Ressourcen oder Kolonialismus.“ Deshalb sei es ihr wichtig, dass Recherchen wie die von Guillaume Slizewicz zum Borkenkäfer in Objekte mündeten. Sie sind zugänglicher fürs Publikum und passen gut zu einem Ort wie dem Schloss.
Ein Hocker aus Holzschindeln von Lukas Wegwerth und Corinna Dehn: Holz war das Thema der diesjährigen Designausstellung in Schloss Hollenegg.
Überhaupt hat die Arbeit mit dem Schloss Stori Liechtensteins Blick auf zeitgenössisches Design verändert. Als junge Ausstellungsarchitektin und Kuratorin konnte sie sich schneller für Entwürfe und Konzepte begeistern. Doch die Gegenwart von so viel Vergangenheit hat sie kritischer werden lassen. „Wenn man auf einer Messe Design betrachtet, sieht vieles cool aus.“ Im Kontext von Kunstwerken aus mehreren Jahrhunderten ändere sich die Perspektive. „Ist ein Objekt wirklich neu? Ist es so gut gemacht, dass es auch in 50 Jahren noch Bestand hat? Oder ist es nur eine lustige Erfindung für den Moment?“ Deshalb räumt sie für die jährliche Ausstellung auch nicht um. Die Objekte sollen sich in die historischen Interieurs einfügen – nicht immer zur Freude der eingeladenen Designer.
Auch für Alice Stori Liechtenstein persönlich war das Schloss anfangs eine Herausforderung. Als sie als junger Stadtmensch Hollenegg zum ersten Mal sah, war sie überfordert: „Wenn ich jetzt umziehe aufs Land, frisch verheiratet, mit 27, ohne Deutsch zu können, dann hält meine Ehe ein Jahr. Ich war einfach nicht ausgerüstet für das Landleben.“
„Ist ein Objekt wirklich neu? Ist es so gut gemacht, dass es auch in 50 Jahren noch Bestand hat?“
ALICE STORI LIECHTENSTEIN, Designerin und Kuratorin
Stori Liechtenstein wuchs in Bologna auf, studierte in Mailand und lebte zeitweise in Paris und Barcelona. Sie einigte sich mit ihrem Mann zunächst auf eine schrittweise Annäherung an das Schloss, in dem er aufgewachsen war. Zuerst wohnten sie mehrere Jahre in Graz, wo Stori Liechtenstein auch heute noch an der FH Joanneum Ausstellungsgestaltung unterrichtet. Vor gut zehn Jahren, 2014, fühlte sie sich schließlich bereit, nach Hollenegg umzuziehen.
Von Anfang an wollte sie mit den Ausstellungen ein kulturelles Angebot für die Umgebung schaffen. Das meiste passiere in den Städten, weil es dort einfacher umzusetzen sei. „Wir wollen etwas anbieten auf dem Land, was Stadtniveau hat“, sagt Stori Liechtenstein. Wenn dann die Designer zur „Residency“ und die Besucher zur Ausstellung kommen und sich alle für das Schloss begeistern, dann ist das für sie auch eine willkommene Erinnerung daran, am richtigen Ort zu sein. Sie braucht das: „Wenn man hier lebt, sieht man nur die Arbeit. Viel putzen, viel restaurieren, tun, tun, tun. Im Alltag komme ich eigentlich nie an den Punkt, an dem ich genießen kann.“ Und auch wenn die Familie mittlerweile einen zweiten Wohnsitz in Wien hat und die drei Kinder langsam flügge werden: Das Schloss bleibt immer das Zuhause, da sind sich alle fünf einig.