Was ein gutes Kompliment ausmacht | ABC-Z

Frau Gorißen, Sie haben eine sehr angenehme Stimme.
War das ein gelungenes Kompliment?
Was zeichnet ein gutes Kompliment aus?
Dass es unerwartet kommt, präzise ist und in einem kurzen Satz verpackt ist. So wie Sie es gerade gemacht haben. Dadurch fühlt sich das Gegenüber besser. Und es muss ehrlich sein. Wir mögen gut schauspielern können, aber unsere Stimmlage können wir in Interaktionen kaum verstellen. Dadurch empfindet das Gegenüber ein Kompliment unbewusst als wahr oder geheuchelt.
Und wofür brauchen wir Komplimente?
Komplimente wirken sich positiv auf unsere Gesundheit aus – sowohl für denjenigen, der das Kompliment bekommt, als auch für denjenigen, der es gibt. Der Körper schüttet Dopamin und Oxytocin aus, wodurch Stress reduziert wird und wir glücklicher und zufriedener sind. Komplimente fördern Sympathie und Vertrauen. Sie stärken unser Selbstwertgefühl und die soziale Bindung zueinander. Im Grunde ist jedes ausgesprochene Kompliment also ein Geschenk für beide Menschen.
Raten Sie dazu, auch fremden Menschen auf der Straße Komplimente zu machen?
Auf jeden Fall, vorausgesetzt, man meint das auch so – damit es authentisch rüberkommt. Neulich habe ich einer Frau im Café gesagt: „Sie haben aber eine schöne Brille. Die schließt so schön mit ihren Augenbrauen ab.“ Sie hat daraufhin geantwortet: „Das tut mir jetzt so gut. Da fängt der Tag richtig schön an. Wir sollten uns viel häufiger Komplimente machen, oder?“ Wir wissen eigentlich alle, dass Komplimente etwas Schönes sind. Trotzdem gehen wir in unserer Gesellschaft nur sehr sparsam damit um.
Weil wir uns nicht trauen. Wir sind in den letzten Jahrzehnten immer mehr individualisiert worden. Selbst Fußgänger schauen ständig aufs Handy. Wir nehmen andere im Alltag seltener bewusst wahr – deshalb können wir auch weniger Komplimente machen. Da spielt auch ein allgemeines Desinteresse an fremden Menschen eine Rolle. Dazu kommt bei manchen von uns eine Portion Trotz. Sie denken sich: „Mir tut auch niemand etwas Gutes, warum soll ich dann zu anderen freundlich sein?“
Kann man sich darin üben, Komplimente zu machen?
Ja, es ist tatsächlich eine Übungssache. Wenn man sich vornimmt, jemandem etwas Nettes zu sagen, und ausreichend gute Erfahrungen sammelt, sinkt auch die Hemmschwelle. Ich habe das selbst ausprobiert und setze es für mich gezielt ein, wenn ich einen schlechten Tag habe. Dann hole ich mir mein Lächeln bei anderen Menschen ab, indem ich ihnen ein Kompliment mache. Denn deren Freude hebt auch meine Stimmung.
Gibt es Komplimente, über die sich jeder freut?
Es gibt kein Schema F. Das macht ein Kompliment echt. Aber es kommt darauf an, wie wir Komplimente definieren. Was immer funktioniert, ist ein guter Wunsch. Wenn mir die Kassiererin im Supermarkt das Restgeld zurückgibt und einen schönen Tag wünscht, sage ich oft: „Den wünsche ich Ihnen auch. Und ich wünsche Ihnen nette Kunden.“ Das geht auch in einer Bank oder im Buchladen und überall, wo jemand Kunden hat. Da freuen sich schon viele.
Manche Männer behaupten, dass sie nach der MeToo-Bewegung heute vieles nicht mehr sagen dürften und sie sich deshalb nicht trauen, Frauen Komplimente zu geben. Zu Recht?
Ich habe viel mit Feuerwehrmännern zusammengearbeitet und kenne die Problematik. Viele sind in den vergangenen Jahren vorsichtiger geworden, weil sie einer Frau nicht zu nahe treten möchten. Sie bedauern das, weil sie gerne etwas Nettes wie „Schöne Bluse“ sagen würden, sich aber aus Angst zurückhalten. Ich habe mit ihnen geübt, Komplimente zu geben, und ihnen gesagt: „Wenn ihr das ernst meint und keine weitere Absicht dahintersteckt, dann kommt das auch so rüber.“ Ein Mann braucht keine anderen Worte für ein Kompliment als eine Frau. Aber wenn er das nur als Vorwand nimmt, um der Frau auf den Busen zu starren, dann merkt diese das sehr wohl. Andersrum gilt: Wenn eine Frau einer anderen Frau sagt, dass diese eine schöne Bluse trägt und die ihr dabei ausschließlich auf die Oberweite schaut, kommt das genauso schräg rüber.
Aber wäre es nicht komisch, wenn ein Vorgesetzter seiner Mitarbeiterin sagen würde, dass diese schöne Augen hat?
Das kommt auf das Verhältnis der beiden zueinander an. Wenn das gut ist und der Vorgesetzte seine Macht nicht heraushängen lässt, kann er auch sehr wohl so was sagen wie: „Heute sehen Ihre Augen aber schön aus, haben Sie die anders geschminkt als sonst?“ Das ist dann keine Anmache. Aber wenn der Chef sowieso komisch ist und sich die Mitarbeiterin in seiner Gegenwart nicht wohlfühlt, dann kommt das Kompliment nicht an – auch wenn es ernst gemeint ist. Die Chemie muss stimmen, und die Situation muss das hergeben. Ich bin auch schon mal einem jungen Mann zwei Schritte hinterhergegangen und habe ihm gesagt: „Sie duften sehr gut. Was für ein Rasierwasser nehmen Sie denn?“ Der war erst irritiert, aber dann auch sehr erfreut.
Kann man es mit Komplimenten auch übertreiben?
Ja, wir sollten jemandem nicht sagen: „Sie haben aber eine schöne Brille an. Und die Schuhe gefallen mir auch gut. Und ihre Haare passen ganz wunderbar zu dem Hemd!“ Eine Sache reicht.
Mit welchen schönen Worten können wir die Persönlichkeit des Gegenübers loben?
So was wie: „Sie kommen aber lebensfreudig rüber, das ist richtig angenehm.“ Ich bin mal in eine Praxis reingekommen, da haben die beiden Arzthelfer gerade herzlich gelacht, und ich habe gesagt: „Das ist mal ein herzliches Willkommen. So ein Lachen rettet mir den Tag.“ Das könnte man als Beschreibung einer Tatsache verbuchen, doch es ist mitunter auch ein verstecktes Kompliment. Die beiden haben sich gefreut.
Manchmal fällt es uns aber auch schwer, Komplimente anzunehmen, und wir antworten dann zum Beispiel so etwas wie: „Ach, das habe ich schon lange“ oder: „Das war gar nicht teuer“.
Wir fühlen uns generell besser, wenn wir geben, als wenn wir nehmen. Die Menschen, die geben, sind ganz unbewusst in einer mächtigeren Rolle als die, die nehmen. Obwohl wir uns über ein Kompliment freuen, kann dadurch eine Bedürftigkeit miteinhergehen. Das ist den wenigsten Menschen bewusst. Diese Bedürftigkeit versuchen wir unbewusst zu neutralisieren. Nicht weil wir denken, dass wir das Kompliment nicht verdient hätten, sondern weil wir das Gleichgewicht wieder herstellen wollen. Stattdessen sollten wir einfach „Danke“ sagen. Das reicht vollkommen.
Oder ein Kompliment erwidern?
Nein, auf keinen Fall. Das wird dann nicht mehr als echt aufgenommen, sondern nur als Ausgleich und macht nicht wirklich Freude. Wer ein Kompliment bekommt, ist nicht verpflichtet, dieses irgendwann zu erwidern. Komplimente sollten niemals aufgerechnet werden.
Aber wenn jemand oft Komplimente verteilt und selbst nie welche von anderen bekommt, ist das ja auch schade . . .
Ja, aber das hat man nicht in der Hand, und ein Kompliment sollte niemals eigennützig sein. Ich gebe jeden Tag mindestens ein Kompliment und bekomme selten eines von anderen – und wenn doch, freue ich mich riesig. Aber ich habe beim Geben selbst so viel von der Freude der Menschen. Oft entwickelt sich daraus ein kurzes Gespräch, das ist einfach toll! So vielen Menschen würde es besser gehen, wenn sie sich darin üben würden, Komplimente zu verteilen. Es kostet uns doch nichts – weder Geld noch zusätzliche Zeit –, nur hier und da mal zwei oder drei Sekunden mehr. Die kann jeder erübrigen. Wir wären alle zufriedener und glücklicher und würden besser miteinander umgehen.
Zur Person
Bettina Gorißen wurde 1964 geboren und ist Diplom-Psychologin und Psychotrauma-Therapeutin. Sie wohnt und arbeitet in Bad Homburg. Seit 2010 ist sie Vorsitzende im Berufsverband Deutscher Psychologinnen und Psychologen (BDP). Gorißen ist mit einem Berufsfeuerwehrmann verheiratet, Mutter zweier Kinder, die aktiv in freiwilligen Feuerwehren sind, schult Einsatzkräfte und bezeichnet sich selbst als Deutschlands dienstälteste Feuerwehr-Psychologin.