Was die Kult-Rindwurst aus Frankfurt so besonders macht | ABC-Z
Der Weg zur Arbeit ist kurz für Franziska und Mauro Scarpello. Nur wenige Meter und ein Gang über den Innenhof trennen ihr Wohnhaus und die Produktion an der Hanauer Landstraße von dem Ladengeschäft und dem kleinen Büro dahinter. „Familie und Geschäft waren hier häufig eins“, sagt Franziska Scarpello, die das Unternehmen Gref-Völsing seit 2019 gemeinsam mit ihrem Mann Mauro leitet. Mauro Scarpello kennt die Metzgerei seit seiner Kindheit. Seine Familie gehörte zu den Kunden der Wurstfabrikanten, man kannte sich vom Sehen.
Mit einem „Riesenehrgeiz“ sei er später in den Betrieb seiner heutigen Frau eingestiegen, sie sind die fünfte Generation des Familienunternehmens. „Ich habe die Aufgabe von Tag eins an sehr ernst genommen“, sagt er. Mauro Scarpello half in der Verpackung, im Verkauf und brach sein Jurastudium nach sechs Semestern ab, um sich zum Metzger ausbilden zu lassen. „Die Entscheidung, ins Handwerk zu gehen, war genau das Richtige für mich“, sagt er. Er legte seine Meisterprüfung als Jahrgangsbester ab und ist seit 13 Jahren in dem Unternehmen tätig. Während sich seine Frau, Jahrgang 1980, als Geschäftsführerin vor allem um administrative und kaufmännische Belange kümmert, ist Mauro Scarpello, Jahrgang 1986, als Prokurist und Betriebsleiter für die Produktion zuständig.
Frauen der Familie haben den Betrieb lange geführt
„Ich trete in große Fußstapfen“, sagt er angesichts der Familienhistorie, die auch eine Verantwortung mit sich bringt. Erstmals seit der Gründung des Unternehmens vor 130 Jahren ist ein Mann wieder Teil der Geschäftsführung. Vorher haben immer die Frauen der Familie den Betrieb übernommen und an die nächste Generation weitergegeben.
Dass nun „ein Metzgermeister mit seiner Frau“ das Unternehmen leitet, sei auch ein Schritt „zurück zu den Wurzeln“, so Franziska Scarpello, Ururenkelin der Firmengründer Karl Gref und Wilhelmine Völsing. An seinem Hochzeitstag im Januar 1894 gründete das frisch verheiratete Paar den gemeinsamen Betrieb in der Frankfurter Altstadt. 19 Jahre später bezog das Unternehmen das Haus im aufstrebenden Ostend, machte den Ort zum Wohnsitz der Familie. Auf dem Gelände an der Hanauer Landstraße ist zum Firmenjubiläum im Spätsommer ein Hoffest geplant.
Die Scarpellos sehen ihre Aufgabe darin, die Tradition zu bewahren und dennoch den Mut für Veränderungen aufzubringen. Als Außenstehender brachte Mauro Scarpello neue Ideen ein und hinterfragte lange bewährte Abläufe. “Er hat sich an Dinge getraut, die sich kein anderer getraut hat”, sagt seine Frau. Es ging vor allem darum, Arbeitsabläufe zu optimieren und Prozesse zu modernisieren. Die größte Veränderung war der Einbau einer neuen Räucheranlage vor fünf Jahren. Um die moderne Maschine überhaupt in den Altbau zu bekommen, mussten ein Raum entkernt und eine Wand eingeschlagen werden. Vier Wochen lang fiel die Produktion aus. Doch seitdem erleichtert und beschleunigt die Anlage die Abläufe in der Herstellung.
Das Rezept bleibt erhalten
Zwischen 4000 und 6000 Rindswürste produziert der Betrieb im Durchschnitt pro Tag, zur Weihnachtszeit können es bis zu 12.000 sein. Dazu kommen etwa 3000 Pärchen Frankfurter Würstchen und 300 bis 400 Fleischwürste in der Woche. Auch Bratwurstvariationen mit Glühwein-, Spekulatius-oder Grüne-Soße-Ingredienzen gehören saisonal zum Sortiment, beim Mittagstisch an der Hanauer gibt es auch vegetarische Angebote. Produziert wird ausschließlich auf dem Gelände an der Hanauer Landstraße. „Viele denken, wir haben hier eine riesige Fabrik stehen. Wir werden oft total überschätzt“, sagt Franziska Scarpello, die ihrer Ausbildung in der Immobilienbranche eine Weiterbildung als „zertifizierter Manager Food“ folgen ließ.
Heute werde etwa ein Drittel der Wurstwaren im Ladengeschäft verkauft, der Rest geht in den Wieder verkauf an kleine Einzelhändler, Tankstellen und einzelne Edeka-Filialen. Kooperationen und Verträge mit großen Playern der Lebensmittelbranche haben die beiden in der Vergangenheit abgelehnt. “Wir sind in der glück lichen Lage, auf Angebote verzichten zu können, wenn es nicht passt”, sagt sie.
Denn ihr Produkt ist Kult in Frankfurt und Umgebung. Hergestellt aus 100 Prozent Rindfleisch, ohne Zusatzstoffe wie Glutamat und mit dem blauen Metallring am Ende, ist die Rindswurst untrennbar mit dem Firmennamen verbunden. Ihr Rezept, goldprämiert bei der Kochkunstausstellung 1905, wird seit Jahrzehnten von Generation zu Generation weitergegeben. „Wir wären blöd, wenn wir etwas ändern würden“, sagt Mauro Scarpello, „die Wurst muss immer gleich schmecken.“
Ihr Geheimnis, so der Metzgermeister, liege in der Qualität des Fleisches. „Wir strecken das Brät nicht“, sagt er. Bezogen wird es von der Bäuerlichen Erzeugergemeinschaft Schwäbisch Hall, seit sechs Jahren ist sie der alleinige Lieferant von Gref-Völsing. Eine durchaus riskante Entscheidung, die sich gelohnt hat. “Wir haben zwar eine gewisse Abhängigkeit”, sagt er, “aber der Qualität des Fleisches muss man treu sein.” Dass der Fleischkonsum in Deutschland seit Jahren tendenziell zurückgeht, spürt das Unternehmen nicht. “Wir hören davon in Gesprächen mit Metzgern, merken davon aber nichts”, sagt Franziska Scarpello.
Die Würste werden in ganz Deutschland ausgeliefert
Doch die Kundschaft habe sich in den vergangenen Jahren verändert, sagen beide. Früher seien mehr Handwerker aus der Umgebung gekommen, viele Lastwagenfahrer, auch Mitarbeiter der ehemaligen Großmarkthalle. Durch den Wandel des Ostends sind es nun häufig Angestellte aus umliegenden Büros in der Mittagspause, Kunden aus der Nachbarschaft und Neulinge, die das Kultprodukt erst kennenlernen. Weniger Sonntagsbraten, mehr Brühwürstchen. Beliebt seien der Mittagstisch mit täglich wechselndem Angebot und die Rindswurst zum Mitnehmen. „Sie ist unkompliziert zu machen, man braucht nur eine Kochplatte und heißes Wasser“, so Franziska Scarpello.
Schon der Großvater der heutigen Geschäftsführerin hat vor vielen Jahren einen Versand angeboten. Noch mit 92 Jahren habe er Pakete verpackt, sagt seine Enkelin. „Er hatte den Traum, für Exilhessen einen professionellen Versand zu machen.“ Der Versand wird heute über den Onlineshop abgewickelt, die Würste werden in ganz Deutschland ausgeliefert.
Expandieren wollen die beiden nicht. „Ich will kein großer Geschäftsmann sein, sondern das Familienunternehmen weiterführen“, so Mauro Scarpello. „Wir wollen gerne versuchen, das bis zu unserer Rente zu machen“, sagt seine Frau. Manche der 14 Kollegen sind schon seit mehr als drei Jahrzehnten im Betrieb beschäftigt. „Wir sind realistisch, dass nicht viel Personal nachkommen wird“, sagt er.
Denn Nachwuchs für den Beruf des Metzgers zu gewinnen sei schwer. „Es ist erschreckend, wie wenige Auszubildende es gibt“, sagt Mauro Scarpello. Ob irgendwann die beiden Kinder des Paares in der dann sechsten Generation den Betrieb weiterführen werden, ist offen. Noch ist der Nachwuchs mit acht und elf Jahren zu jung, um darüber nachzudenken. „Wir machen keinen Druck“, sagt Mauro Scarpello. „Unsere Kinder sollen selbst erkunden und forschen, welche Wege sie gehen wollen.“ Der Weg zur Wurst ist nur einer davon.