Was denn nun?: Union stolpert bei Schuldenbremse-Frage | ABC-Z

Am Montagmorgen machen die Grünen einen Vorschlag: Der alte Bundestag möge noch eine Reform der Schuldenbremse beschließen, um mehr für Verteidigung, aber auch andere Dinge ausgeben zu können. Die Union reagiert zunächst ohne klare Position.
CDU-Chef Friedrich Merz hat Robert Habeck in den vergangenen Jahren öfter heruntergeputzt. „Man könne ihm beim Denken zusehen“, ätzte er gelegentlich, wenn der Wirtschafts- und Klimaschutzminister der Grünen im Bundestag seine Pläne ausführlich herleitete. Am Montag und Dienstag konnte man allerdings auch der Union beim Denken zusehen. Dabei ging es um die Debatte zur Schuldenbremse, die ausgerechnet Habeck und die Grünen losgetreten hatten.
Konkret geht es um die Frage, ob der alte Bundestag schnell noch eine Reform der Schuldenbremse, ein neues Sondervermögen für Verteidigung oder eine Erhöhung des bestehenden Sondervermögens für die Bundeswehr beschließen soll. Dafür ist eine Grundgesetzänderung erforderlich und für die braucht man zwei Drittel der Stimmen im Bundestag.
Im neuen Bundestag hätten Union, SPD und Grüne die aber nicht mehr. AfD und Linke verfügen über mehr als ein Drittel der Sitze und können Grundgesetzänderungen verhindern. Und würden es wohl auch tun.
Am Sonntagabend hatte Habeck in der Elefantenrunde nach der Wahl noch etwas verklausuliert gesagt, man müsse die Finanzierung der Außen- und Sicherheitspolitik „vor die Klammer ziehen“, für die üblichen Rituale der Regierungsbildung bleibe keine Zeit. „Wir müssen wirklich in die Hufe kommen“, sagte er. „Wir werden Unsummen von Geld brauchen.“
Özdemir wird deutlicher
Am Montagmorgen wurde es dann deutlicher. In der ARD schlug Habecks Parteifreund Cem Özdemir, amtierender Landwirtschaftsminister, eine Reform der Schuldenbremse im noch bestehenden Bundestag vor. „Damit wir mehr für Bildung, mehr für Infrastruktur, mehr für Verteidigung tun können“, sagte er.
Habeck stieß dann am Vormittag noch einmal ins gleiche Horn. Gemeinsam mit Außenministerin Annalena Baerbock drang er ebenfalls auf eine Reform der Schuldenbremse im scheidenden, aber noch amtierenden Bundestag. Baerbock sagte, damit setze man sich nicht über den Wählerwillen hinweg.
Aus der CDU kamen gleich ablehnende Stimmen. Der Parlamentarische Geschäftsführer der Unionsfraktion, Thorsten Frei, lehnte eine Reform der Schuldenbremse ab. Die Situation erfordere viel mehr eine „Neupriorisierung der Ausgaben“, sagte er. Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer lehnte ebenfalls einen „Schnellschuss“ ab, wie der CDU-Politiker in Berlin sagte.
NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst klang dagegen nebulöser: „Wir müssen jetzt heute uns mal ganz genau die Zahlen anschauen und daraus auch die Konsequenz ziehen, was jetzt auf der Agenda steht.“
Merz will nichts sagen, kündigt aber Gespräche an
Am Mittag trat Merz nach den Vorstandssitzungen seiner Partei selbst vor die im Konrad-Adenauer-Haus wartenden Journalisten. Folgerichtig wurde er nach einer möglichen Schuldenbremsen-Reform noch im alten Bundestag gefragt.
Erkennbar hatte er sich vorgenommen, nichts dazu zu sagen: „Das kann ich noch nicht beantworten“, sagte er. „Bevor ich darüber öffentlich spekuliere, erlauben Sie, dass ich darüber erstmal mit den Sozialdemokraten, der FDP und den Grünen jetzt in den nächsten Tagen spreche.“
Auf die Frage, ob er also eine Reform der Schuldenbremse oder ein neues Sondervermögen nicht ausschließe, sagte er: „Wir können entscheiden“ und betonte, der Bundestag sei jederzeit entscheidungsfähig. Er wiederholte aber auch noch einmal, er wolle nicht öffentlich darüber spekulieren. Durch die Ankündigung von Gesprächen hatte er jedoch zumindest eine Offenheit suggeriert – denn warum sollte man Gespräche führen, wenn man ohnehin dagegen ist? Unklar blieb aber, wofür Merz ist – für eine Reform der Schuldenbremse oder für ein neues Sondervermögen?
So oder so war das dann doch überraschend. Im Wahlkampf hatte Merz zwar eine Reform der Schuldenbremse nicht kategorisch ausgeschlossen. Die Angebote von Grünen und SPD dazu hatte er aber stets ausgeschlagen. Mit der Begründung: Eine Reform sei das Letzte, über das geredet werde. Jetzt ist es offenbar das Erste.
Frei: Nein zu Reform der Schuldenbremse
Am Dienstagmorgen äußerte sich dann wieder Thorsten Frei, der parlamentarische Geschäftsführer der CDU. Im Deutschlandfunk blieb er bei seinem Nein zur Schuldenbremsen-Reform, zeigte sich aber offen für einen Ausbau des Sondervermögens.
Er wolle nicht ausschließen, dass angesichts der hochdynamischen außenpolitischen Veränderungen und steigenden Bedrohungslage „sehr schnell Entscheidungen ganz spezifisch im Bereich der Außen- und Sicherheitspolitik notwendig sind“. Das sei etwas völlig anderes als eine Reform der Schuldenbremse, sagte er. Im Frühstart blieb CDU-Fraktionsvize Jens Spahn offener: „Ob man über Sondervermögen redet, über die Schuldenbremse oder Umschichtungen im Haushalt, auch die sind ja möglich, das ist jetzt Teil der Gespräche.“
Am frühen Nachmittag äußerte sich CSU-Chef Markus Söder. Man könne prüfen, eine Aufstockung des bestehenden Sondervermögens für die Bundeswehr zu beschließen. Dies müssten aber vor allem CDU-Chef Friedrich Merz und der SPD-Vorsitzende Lars Klingbeil klären, das sei dafür die „zentrale Achse“, sagte Söder.
Wenig später äußerte sich Merz selbst gemeinsam mit Söder am Rande der Fraktionssitzung der Unionsparteien, die Merz als Vorsitzenden im Amt bestätigten. Auch er sprach sich klar gegen eine schnelle Reform der Schuldenbremse aus und wurde damit genauer als am Vortag. „Wir sprechen miteinander, aber es ist viel zu früh, darüber jetzt schon etwas zu sagen. Ich sehe es im Augenblick als schwierig an.“
Dröge: Merz als Kanzler ungeeignet
Bei SPD und Grünen stiftete das Verwirrung. Oder zumindest taten deren Spitzen so. Bei den Grünen, ohne die eine Mehrheit nicht zu erreichen wäre, habe sich noch niemand gemeldet, sagte Fraktionschefin Katharina Dröge. „Wer mit uns verhandeln möchte, kann uns sehr gerne anrufen“, betonte Dröge.
Sie plädierte aber weiter für eine Reform der Schuldenbremse, das sei schlauer als ein größeres Sondervermögen. „Warum sollte ich denn akzeptieren, dass wir allein über Sicherheit sprechen, wenn die gesamte deutsche Wirtschaft verlangt, dass die Schuldenbremse auch für die Wirtschaft reformiert wird?“, fragte sie. Sie forderte, Investitionen von der Schuldenbremse auszunehmen.
An Tag zwei nach der Wahl zeige sich, was die Grünen schon im Wahlkampf befürchtet hätten – dass Merz „eigentlich nicht zum Kanzler geeignet ist“, wie Dröge behauptete. Sinnbildlich dafür sei die Diskussion über die Reform der Schuldenbremse. „Jetzt haben wir ein Stück Chaos und ein Chaos, das die CDU an dieser Stelle mitzuverantworten hat“, sagte sie.
SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich zeigte sich ebenfalls irritiert. Er habe Merz in den vergangenen Monaten mehrfach angeboten, über eine Reform der Schuldenbremse zu sprechen, sagte Mützenich vor einer Fraktionssitzung in Berlin. „Dies ist immer wieder abgelehnt worden. Und ich muss schon sagen, ich wundere mich über die letzten Stunden, wie schnell man plötzlich das Rad neu erfinden kann.“
24 Stunden nachdem Merz im Konrad-Adenauer-Haus gesagt hatte, er wolle noch nichts sagen, ist die Position der Union damit ziemlich deutlich geworden. Eine Reform der Schuldenbremse will sie im alten Bundestag nicht mehr durchdrücken, dafür ist sie aber bereit zu einem neuen oder aufgestockten Sondervermögen. Soweit zumindest dem öffentlich zu verfolgenden Nachdenkprozess der Union zufolge.