Kultur

Friedensbewegung: Die weißen Tauben flattern nach rechts | ABC-Z

In meinem Elternhaus gab es einen
alten Schreibtisch, und in dem Schreibtisch gab es eine Schublade. In der
Schublade lag allerhand Kram – Büroklammern und Tipp-Ex-Bänder, außerdem
abgelaufene und entwertete Ausweisdokumente. Am meisten aber faszinierte mich
ein kleines Schälchen voller Ansteckbuttons. Ein pinker war dabei, einer mit
Regenbogenapplikation, das andere halbe Dutzend zeigte schlicht: eine weiße
Taube auf blauem Grund, an den Rändern das Wort “Ostermarsch” oder die Wörter “Ostermarsch Ruhr” und verschiedene
Jahreszahlen. Ich ließ sie durch meine Hände wandern, ich stellte Fragen. Wenn
ich mich richtig erinnere, erzählten meine Eltern, die sonst hier im
Arbeitszimmer eher ihre Ruhe haben wollten, daraufhin ganz rotwangig von
Demonstrationen, von vielen Leuten, die sich nach dem Gleichen sehnten:
Frieden. Das klang für mich erst mal sehr gut.

Heute hat der Frieden die Seiten
gewechselt, hat den linken Mainstream verlassen, dessen Vorhut linksgrüne
Elternhäuser wie meines waren, und ist mittlerweile tief verankert in den Slogans
von Viktor Orbán und der AfD. Und während wir Kinder der Ostermarschiererinnen uns heute fragen, ob unsere Kinder Deutschland verteidigen sollten, sagt ausgerechnet Donald Trump ständig “Peace” und in Italien inszeniert
sich der Rechtsextremist Matteo Salvini als
Friedensminister

Wenn nun an diesem Wochenende die Ostermärsche durch
Deutschland laufen, hat auch die dortige Symbolwelt eine ganz andere Bedeutung als noch in den 1980ern, aus denen die Buttons
meiner Eltern stammten. Sicher kann die kleine weiße Friedenstaube nichts dafür, dass
sich zwischenzeitlich schon Björn Höcke mit ihr schmückte
und sie in
ostdeutschen Städten, wo sie historisch ohnehin noch mal etwas anderes bedeutet als kulturelles Erbe der DDR, gemeinsam mit russischen Fahnen und schwarz-weiß-rot
bemalten Landsknechtstrommeln durch Fußgängerzonen paradiert wird. Aber auch
die weißeste Taube kann ihre Unschuld verlieren. Und Fragen aufwerfen: Wie
konnten wir den Frieden diesen Leuten in die Hände geben?

Eine Antwort darauf könnte sein, dass der volkstümliche Pazifismus der einstigen Ostermarschierer samt
seiner Symbolik immer schon reichlich definitionsschwach war, um nicht zu
sagen: inhaltsleer. Nicht missverstehen: Ich würde meine Kindheitswelt immer
gegen ideologische Verdammung verteidigen. Diese bürgerliche Lehrer-Linke der
alten Bundesrepublik mit ihrem unverbesserlichen Weltverbesserungswillen und
ihrem grandiosen Mangel an Coolness war schon ein tolles Milieu. Und dagegen,
dass jemand ein sogenannter Gutmensch ist, ist eigentlich bis heute nichts einzuwenden.

Allein: Es war nur so lange
einfach, ein guter Mensch zu sein, wie man Interessen- und Zielkonflikte
einfach ausblenden konnte, in einem halb informierten Anti-Establishment-Furor
gegen “die da oben” von Union und SPD, von Rheinmetall bis Deutsche Bank. Die
Friedenstaube flog über christlichen Gemeindehäusern, Waldorfschulen und
DKP-Büros, Kinder besangen sie auf Kirchentagen und auf importierten Amiga-Platten.
Im Konfliktfall hätten die verschiedenen Jünger der Taube sich wahrscheinlich
bis aufs Blut bekriegt, aber in den friedlichen Zeiten des Kalten Krieges war
das egal. Es herrschte bundesrepublikanischer Breitbandpazifismus, was angesichts
all der nervösen Großmächte und alten Nazis um uns herum nicht die schlechteste
Daseinsform war.

Zugleich erscheint es mir naheliegend,
dass die bedenklichen Tendenzen dieser Friedensbewegung – ausgestellte Angst,
revolutionäre Eitelkeit und raunende Elitenskepsis – inzwischen rechts anschlussfähig sind. Heute
verschwören sich Rechte gegen ein gemutmaßtes Establishment, heute schätzen
und überschätzen sich rechte Nachplapperer als Quer- und Selberdenker, heute
wittern Rechte überall Tod und Verderben, kurz: Heute klingen Rechte wie Achtzigerjahre-Kabarettisten in der ARD-Sendung Scheibenwischer oder wie Reinhard Mey in seinen schlechteren Liedern. Folgerichtig
leugnen heute Rechte die Notwendigkeit militärischer Abschreckung gegenüber
expansiven Diktaturen. Und folgerichtig tragen heute Rechte bei russlandfreundlichen Demonstrationen blaue
Armbinden mit weißer Taube.

Wie geht andauernder Frieden?

Was aber wäre dieser feindseligen
Vereinnahmung des Friedens entgegenzusetzen? Vielleicht ja das, was der
Schriftsteller Marko Martin
all jenen “Friedensparteien” von AfD und BSW über
die Linke bis zu Teilen der SPD neulich in
einem Online-Meinungsbeitrag zurief
: “Wenn man etwas besonders
schätzt, möchte man doch zuvörderst sicherstellen, dass es
andauert, oder?” Andauernden Frieden aber, so lässt sich Martins Gedankengang
zusammenfassen, gibt es nicht durch Unterwerfung unter imperialistische
Herrscher. Denn: “Ein ‘Frieden’, der einen skrupellosen Aggressor belohnt,
anstatt ihm schmerzhafte Zugeständnisse abzuringen, wird geradezu zwangsläufig
zur Vorstufe eines neuen und gar noch erweiterten Krieges.”

Es ist ein großer Propagandaerfolg der Rechten
weltweit, dass so ein minimal komplexes Denken landläufig nicht mit dem
unbedingten Wunsch nach Frieden assoziiert wird. Und es ist eventuell ein
Versäumnis der Linken, zumal in Deutschland, dass sie den Wunsch nach Frieden nicht mit Abgrenzung besetzte,
als die Rechte nach ihm griff. Das heißt überhaupt nicht, dass es heute hierzulande kein
breites linkspazifistisches Meinungsspektrum gäbe und eine
ernst zu nehmende linke Kritik
an allzu eilfertiger Wehrbereitschaft. Zwischen
Toni Hofreiter und Ole Nymoen ist jede Menge Platz und
der wird auch genutzt
.

Faschismus bedeutet Krieg

Doch als die Rechte sich die Symbole des
Breitbandpazifismus nahm, war die Linke unaufmerksam und
ließ die Querfront ihre Tauben vergiften
. Dabei hätte doch schon der
lautstarke Konsens gereicht, dass man Frieden nicht mit Radikalpazifismus
erzwingt, sondern mit robustem Antifaschismus – in Deutschland etwa mit dem
klaren Bekenntnis, dass die vordringliche Lehre aus der Nazizeit nicht “Nie
wieder Krieg” ist, sondern “Nie wieder Faschismus”. Denn: Faschismus bedeutet
Krieg, das stimmt heute wie vor 90 Jahren.

Dafür hätte man allerdings spätestens 2014, nach Russlands Annexion der Krim, aus seinem
bundesrepublikanischen Ideologiequark kommen müssen und alte linke Feind- (Nato,
USA) und Selbstbilder (wir = gut) hinterfragen. Stattdessen demonstrierten im Rahmen der damaligen Montagsmahnwachen alte Pazifisten gemeinsam mit Neuen Rechten vor dem
Brandenburger Tor, und ich sah als Zaungast Friedenstauben erstmals neben schwarzen Sonnen und Reichsbürgerfahnen – ein Bild, das sich einbrannte und blieb. Jetzt ist es zu spät, und
zumindest ich reagiere auf weiße Tauben vor blauem Grund, wie sie etwa die Linke im vergangenen Wahlkampf wieder plakatierte, nicht mehr versonnen,
sondern äußerst misstrauisch. 

Dass man zur großen Aufarbeitung pazifistischer
Irrtümer noch nicht bereit war, noch nicht bereit ist: Ein bisschen verstehe
ich es auch. Es träumt sich doch besser vom Frieden, wenn man dabei nicht
ständig an den Krieg denkt. Das Problem dieser Tage ist nur: Als Traum allein
taugt der Frieden nicht.

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