Warum Stephen King Filmrechte nur äußerst ungern rausrückt | ABC-Z
Dort thront ein einsames Haus, das dafür verantwortlich ist, dass Mears vor nunmehr 25 Jahren zum letzten Mal die Stadt betreten hat. Was er nur ahnt, seitdem aber gut verdrängt hat: Das Marsten-Haus beherbergt Vampire, die langsam die Bewohner von Salem heimsuchen.
Lewis Pullman in der Hauptrolle
Die Phantasiewelten Stephen Kings sind so mächtig, dass sie schon mehrfach ins Kino kamen. „Salem’s Lot“ ist wieder verfilmt worden, zum nunmehr dritten Mal, und soll Ende Oktober in den deutschen Kinos anlaufen. Lewis Pullman, der Sohn des Schauspielers Bill Pullman, leiht dem Schriftsteller Mears diesmal sein Gesicht.
Damit tritt er in die Fußstapfen von Rob Lowe und David Soul, die die Rolle 2004 in der Verfilmung von Mikael Salomon beziehungsweise 1979 in der Miniserie von Tobe Hooper spielten. Was macht die Geschichte so zeitlos, dass sie auch ein halbes Jahrhundert nach Erstveröffentlichung im Jahr 1975 die Fans in den Bann schlägt?
Die erste Idee für den Roman kam King, als er als Englischlehrer an der Highschool Bram Stokers „Dracula“ unterrichtete. Er fragte sich, was wohl geschähe, wenn Vampire aus dem alten Europa in Neuengland ihr Unwesen trieben. King lässt sie also auf die fiktive Kleinstadt Jerusalem’s Lot los, auf deren Ortsschild die vier Anfangsbuchstaben schon verblasst sind.
Salem als Inspiration für Horror-Autoren
So bezieht er sich auch auf den historischen Ort Salem im Ostküstenstaat Massachusetts, in dem im Jahr 1692 puritanische Siedler 19 Frauen als Hexen hingerichtet hatten. King war nicht der erste Schriftsteller, der sich vom realen Grauen in Salem inspirieren ließ.
Schon der amerikanische Horror-Autor H. P. Lovecraft nahm den Ort als Vorlage für seine fiktive Kleinstadt Arkham, in der in seinen Kurzgeschichten allerlei phantastische Gruselgestalten unter der Gemeinde hausen. Arthur Miller nutzte die brutalen Ereignisse als Grundlage seines Dramas „Hexenjagd“, mit dem er vor historischer Kulisse die Verfolgung linker Intellektueller in der McCarthy-Ära kommentierte.
King würde Miller nicht zu seinen Vorbildern zählen. Als Inspiration nennt er gern die Horror-Comics, die er als Kind der Fünfzigerjahre verschlang. Aber mit Miller hat er doch die Idee gemein, mithilfe der Stilmittel eines Genres etwas über die aktuelle Lage der Gesellschaft auszusagen. Ursprünglich, so schreibt er im Vorwort einer späteren Neuauflage seines Romans, habe er in „Salem’s Lot“ mit dem technischen Optimismus Bram Stokers spielen wollen.
Unerwartetes Happy End
Stoker stelle klar, dass im Kampf zwischen den mystischen Mächten der Finsternis und einer Gruppe Briten, die mit den neuesten Erfindungen des späten 19. Jahrhunderts ausgestattet waren, die modernen Vampirjäger gewinnen müssten, so King.
„Ich aber blickte 1972, als ich mit dem Schreiben der Geschichte begann, auf eine Welt, in der diese Erfindungen sich zum Teil als gefährlich erwiesen hatten.“ So düster fiel der Roman dann nicht aus. Seine Figuren hätten sich auf halbem Weg selbständig gemacht und eigene Pfade beschritten. So sei das Ende optimistischer geworden als ursprünglich geplant.
Ein wenig sonniger sah während des Schreibens auch das Leben des angehenden Schriftstellers aus. Als er mit „Salem’s Lot“ 1972 begonnen hatte, war er gerade 25 Jahre alt und hatte erst einige Kurzgeschichten veröffentlicht. Keine brachte mehr als ein paar hundert Dollar ein, nicht genug für die Miete. King hatte zunächst in einer Wäscherei gearbeitet, um nebenher schreiben zu können. „Immer wenn eine Rechnung ins Haus flatterte, sagte meine Frau: Denk dir ein neues Monster aus.“
„Die Idee des Vampirs als attraktiver, geschmeidiger Verführer wollte mir nie recht einleuchten“
Tabitha Spruce hatte er auf der Universität von Maine bei einem Schreibworkshop kennengelernt – auch sie schrieb später Bücher. Zunächst aber wurde im Jahr des Studienabschlusses 1970 die gemeinsame Tochter Naomi Rachel geboren. King nahm eine Stelle als Englischlehrer an einer Highschool an, um die Familie ernähren zu können.
Und er schrieb einen Roman über ein junges Mädchen, eine Außenseiterin aus strengreligiöser Familie, die mit dem Beginn ihrer Menstruation telekinetische Fähigkeiten entwickelt und sich an ihren Peinigern in der Schule rächt. „Carrie“ erschien 1974 und verkaufte sich gut. Der Verlag zeigte Interesse an einem zweiten Buch, und King bot die schon begonnene Vampirgeschichte an.
An der ersten Verfilmung als Fernseh-Miniserie 1979 lobte King dann vor allem die Monstermaske des Obervampirs Barlow. „Die Idee des Vampirs als attraktiver, geschmeidiger Verführer wollte mir nie recht einleuchten“, sagte der Schriftsteller 2011 im TCM-Spezial „Stephen King – A Night at the Movies“.
Eine erschreckende Vampirmaske
Das zerfurchte Gesicht des österreichischen Schauspielers Reggie Nalder überzog man für die Darstellung des Vampirs Barlow mit weiß-bläulicher Blässe, gab dem kahlen Haupt zwei übergroße spitze Frontzähne als Blickfang und glühende gelbe Augen, um das Dunkel der Nacht zu erleuchten. Die Maske machte ihn zum Enkel von Murnaus „Nosferatu“, weit entfernt von den schönen Jünglingen der Anne-Rice- oder Stephenie-Meyer-Romane.
So zufrieden wie mit dieser Adaption war King aber längst nicht mit allen Filmprojekten, die auf Grundlage seiner Romane entstanden. Stanley Kubricks von der Kritik viel gelobten Horrorthriller „The Shining“ bezeichnete er gern als „großen, glänzenden Cadillac, dem die Maschine unter der Haube fehlt“. Autor und Regisseur waren sich von Beginn an uneins über die grundlegende Auslegung von Handlung und Figuren.
Die Auseinandersetzung mit Kubrick begann noch vor Drehstart. Der Regisseur habe ihn, so erzählte es King später, eines Nachts angerufen, um über Geister und das Leben nach dem Tod zu sprechen. Dabei stellte sich schnell heraus, dass King als Christ andere Glaubensgrundsätze hatte als der nihilistische Kubrick. Entsprechend unzufrieden war der Autor mit den Änderungen, die der Regisseur an der Handlung und den Figuren im Film vornahm.
Darstellung der „Shining“-Hauptfigur als Wahnsinniger
In der Romanvorlage wirkt das Böse von außen auf den Schriftsteller Jack Torrance und seine Familie ein und schlägt Jack langsam in seinen Bann. Besonders an der Tatsache, dass Jack Nicholson den Schriftsteller mit Schreibblockade von Anfang an als Irren anlegen musste, der immer weiter in den Wahnsinn abgleitet und seine Familie in einem eingeschneiten Hotel terrorisiert, stieß sich King.
Auch die Interpretation der Wendy durch Shelley Duvall gefiel ihm nicht. An ihrem Spiel hatte er nichts auszusetzen, aber sie sei eine misogyne Karikatur seiner Romanfigur, da sie nur hysterisch schreien und weglaufen durfte.
King zeichnet normale Menschen und fragt, wie sie sich unter Druck in außergewöhnlichen Situationen verhalten würden. Kubrick hat für das Gewöhnliche keinen Nerv und ist vom Kuriosen fasziniert. Oder, wie Stephen King selbst es ausdrückte: Sein Roman lebt von Wärme, Kubricks Film hingegen sei kalt. Die These lässt sich ganz wörtlich am Schluss beobachten: Wo bei King das Hotel in Flammen aufgeht, lässt Kubrick es zur Eiswüste erstarren.
„Misery“ und „The Body“, verfilmt von Rob Reiner
Das Erlebnis mit Kubrick mag ausschlaggebend dafür gewesen sein, dass King die Filmrechte für Bücher und Geschichten, die ihm sehr am Herzen lagen, nur äußerst ungern herausrückte. Besonders an „Misery“, im Buch thematisiert er unter anderem seine Alkohol- und Rauschgiftsucht, hielt er über Jahre fest.
Zu einer Verfilmung ließ er sich erst von Rob Reiner überreden. Der Regisseur hatte zuvor schon die Geschichte „The Body“ in den erfolgreichen Coming-of-Age-Film „Stand by me“ verwandelt, der vier Jungs bei einem Streifzug durch den Wald und der Suche nach der Leiche eines Vermissten folgt.
Reiner inszenierte die Wanderung in wärmsten Spätsommerfarben, arbeitete die Freundschaft der Jungen heraus und das raue Umfeld, in dem sie aufwachsen. Er verstand, worum es King in seinen Büchern ging, und King bestand im Gegenzug darauf, dass, wenn jemand „Misery“ verfilmen wolle, nur Rob Reiner die Regie führen könnte.
Keine reine Opferrolle für die Frau
Das tat er 1990 und engagierte James Caan als verunglückten Schmonzetten-Schriftsteller Paul Sheldon und Kathy Bates für die Rolle der Krankenschwester Annie Wilkes, des selbsternannten größten Fans von Sheldon. Bates arbeitete die manische Fan-Begeisterung als Borderline-Persönlichkeit heraus und unterlief damit die Rollenstereotype, auf die Frauen bis dahin in Horrorfilmen festgelegt waren.
Das reine Opfer-Schema, in das frühe Gruselschocker Frauen verbannten, hatte sich schon mit der Frauenbewegung in den Siebzigerjahren geändert: Androgyne Heldinnen wie Sigourney Weaver in „Alien“ oder Jamie Lee Curtis in „Halloween“ überlebten das Grauen und brachten am Ende selbst die Monster zur Strecke. Aber Kings Frauenfiguren drehten die Schraube noch ein bisschen weiter.
Schon „Carrie“ oszillierte zwischen Opfer- und Täterrolle. Annie Wilkes in „Misery“ setzte das fort: Sie ist mütterlicher Fürsorge gegenüber dem verletzten Schriftsteller in ihrem Haus fähig, wechselt aber auch in irres, missbräuchliches Verhalten. Bates füllte die zwiespältige Figur mit wechselnden Stimmlagen, Körperhaltungen und so natürlicher Mimik aus, dass es furchterregend ist. Dafür bekam sie 1991 den Oscar als beste Hauptdarstellerin – eine Ehre, die Genrefilmen selten zuteil wird.
Pablo Larraín verfilmt „Lisey’s Story“
Der Ruf des Genrekinos hat sich in den vergangenen drei Jahrzehnten geändert. Mittlerweile haben selbst Arthouse-Regisseure wie der Chilene Pablo Larraín, der zuletzt mit seinen eigenwilligen Biopics über Prinzessin Diana („Spencer“ mit Kristen Stewart) und Maria Callas („Maria“ mit Angelina Jolie) von sich reden machte, ihrer Werkliste eine Stephen-King-Verfilmung hinzugefügt.
Larraín setzte die Geschichte einer Schriftstellerwitwe, die vom Stalker ihres verstorbenen Manns bedroht wird, 2021 als achtteilige Miniserie für den Streamingdienst Apple TV+ um. Dafür konnte er Hollywood-Stars wie Clive Owen, Julianne Moore, Dane DeHaan und Jennifer Jason Leigh gewinnen.
„Lisey’s Story“ gehört zu den Büchern, die King selbst als Favorit unter seinen Romanen bezeichnet. Als er vom Late-Night-Moderator Stephen Colbert vor einigen Jahren gebeten wurde, die Top fünf seines eigenen Werks zu benennen, das mittlerweile mehr als 60 Romane und 200 Kurzgeschichten umfasst, zählte King „Lisey’s Story“, „Misery“, „The Stand“ sowie die Kurzgeschichten „The Body“ und „Survivor Type“ dazu.
Bis auf letztere sind alle vier Geschichten mittlerweile verfilmt worden, das mehr als 1000 Seiten starke Virus-Überlebens-Epos „The Stand“ unlängst sogar schon das zweite Mal als Miniserie fürs Fernsehen mit Whoopi Goldberg als weiser Mother Abagail und Alexander Skarsgård als deren teuflischer Gegenspieler Randall Flagg.
Die Leute sehnen sich nach einem Gefühl der Sicherheit, einem „Gott sei Dank ist mir das nicht passiert“, sagte King einmal. „Horrorfilme haben genau diesen Effekt.“ In Zeiten, in denen reale Gruselszenarien wie Pandemien, Attentate oder Kriege das erdachte Grauen längst überholen, scheint die Nachfrage nach Kinoeskapismus noch zu steigen.