Warum jedes dritte Schwammtuch aus Wiesbaden kommt | ABC-Z

Fast jeder hat sie schon in der Hand gehabt: Schwammtücher, besonders saugfähige Putzlappen also. Doch selbst im Rhein-Main-Gebiet wissen nur wenige, dass die Haushaltshelfer in der Nachbarschaft hergestellt werden: im Wiesbadener Industriepark Kalle-Albert. Seit 70 Jahren produziert die Kalle GmbH hier Schwammtücher, das Unternehmen deckt nach eigenen Angaben ein Drittel des weltweiten Bedarfs. Es verkauft die Lappen allerdings nicht unter seinem Namen, sondern liefert sie an große Konsumgüterhersteller und Drogeriemärkte, die sie als Eigenmarken verkaufen.
Dass mit Schwammtüchern nur wenige Unternehmen international erfolgreich sind, führt Siegfried Weber, einer der beiden Geschäftsführer der Kalle GmbH, auf den aufwendigen Herstellungsprozess zurück. „Die Hürde, so eine Produktion aufzubauen, ist ziemlich hoch.“ 25 Millionen Euro hat das Unternehmen allein in die vierte Produktionslinie investiert, die im vergangenen Jahr in Betrieb genommen wurde. Das vierstöckige Gebäude im Industriepark, in dem Kalle seine Schwammtücher herstellt, wurde dafür zum wiederholten Mal ausgebaut.
Ganz oben im Produktionsgebäude lagern große Baumwollballen, bis zu 300 Kilogramm schwer, und Rollen, die an Tapete erinnern: Es handelt sich um Zellulose, gewonnen aus Holzfasern, in diesem Fall von „norwegischen Fichten“, wie Produktionsleiter Georg Konzok erläutert. Die Zellulose wird eine Etage tiefer in Natronlauge gelöst und mit Schwefelkohlenstoff behandelt. Das Ergebnis ist eine orangefarbene, sämige Flüssigkeit – Viskose. Sie wird mit Baumwollflocken zu einem dicken Brei gemischt.
Die Rauten-Struktur verrät die Herkunft
Im nächsten Schritt kommt Natriumsulfat hinzu – nach ihrem Entdecker, dem Apotheker Johann Rudolph Glauber, wird diese Substanz auch Glaubersalz genannt. Sie schäumt die Viskose-Baumwoll-Mischung auf, sodass die gewünschte Schwammstruktur entsteht. Der Brei wird dann je nach Kundenwunsch gefärbt, auf ein 1,5 Meter breites Stahlband aufgebracht und dort mit einer Walze flachgepresst.
Das Stahlband hinterlässt in der nun auf eine Höhe von wenigen Millimetern ausgewalzten Masse rautenförmige Abdrücke. Dieses Muster ist typisch für Schwammtücher von Kalle. Der ausgewalzte Teig wird nun noch durch eine Waschanlage geführt, die das Glaubersalz wieder wegspült, und getrocknet. Erst danach wird die breite Schwammtuch-Bahn in Streifen geschnitten.

Die Rauten-Struktur unterscheidet Schwammtücher aus Wiesbaden von denen aus Schweden, wo das Produkt 1949 erfunden wurde. Ansonsten verwendet Kalle das schwedische Rezept von Wettex in Norrköping, einem Unternehmen, das mittlerweile zur deutschen Freudenberg-Gruppe gehört.
Kalle, seinerzeit noch Teil der Hoechst AG, erwarb von Wettex 1955 eine Lizenz für den damals noch patentgeschützten Produktionsprozess. Dabei waren die Wiesbadener eigentlich in einem ganz anderen Geschäft aktiv: der Herstellung von Folien, unter anderem Wursthüllen. Für deren Herstellung wurde Zellulose verwendet – eine der Grundzutaten auch für Schwammtücher. Das war der Grund, warum das Schwammtuch als Zusatzprodukt ins Portfolio aufgenommen wurde.
Produktionskapazität um 40 Prozent erhöht
Bis heute ist die Herstellung von Wursthüllen das Kerngeschäft von Kalle, es macht etwa drei Viertel der Umsätze von insgesamt 350 Millionen Euro aus. Auch die Mehrzahl der weltweit 1500 Beschäftigten ist in der Wursthüllen-Sparte tätig. Doch das Geschäft mit Schwammtüchern wächst, mit der neuen Produktionslinie hat Kalle die Kapazität um 40 Prozent erhöht. „Die Anlage ist ausgelastet“, sagt Geschäftsführer Weber. „Wir waren jahrelang ausverkauft und konnten Neukunden teilweise nicht bedienen, weil das zulasten der Bestandskunden gegangen wäre.“
Die meisten Kunden sitzen in Europa, zweitwichtigster Markt sind laut Weber die USA, wo Kalle eine eigene Konfektionierung aufbauen will. Die ist ein Thema für sich: Die Abnehmer fordern nämlich nicht nur verschiedene Farben, sondern verkaufen Schwammtücher auch in unterschiedlich großen Sets, mit eigenen Logos, und zum Teil werden auch die Tücher selbst vor dem Einpacken noch bedruckt. Für den US-Markt lässt Kalle diese Arbeiten bislang in China machen, doch für die Ausfuhr der fertig verpackten Tücher in die Vereinigten Staaten fallen wegen der Handelspolitik von US-Präsident Donald Trump mittlerweile hohe Zölle an.
In Asien selbst hat Kalle gerade erfolgreich bedruckte Schwammtücher mit Manga-Motiven auf den Markt gebracht. Während in deutschen Supermärkten und Drogerien die altbekannten Stapel aus leuchtend bunten, aber unifarbenen Tüchern in Plastikfolie dominieren, herrscht in anderen Ländern nach Unternehmensangaben mehr Vielfalt. Produktmanagerin Christine Martinez hat in zwei Schränken in ihrem Büro eine ganze Kollektion an Tüchern mit verschiedensten Motiven aufgereiht, von Tieren über Weihnachtsbäume bis hin zur Wiesbaden-Edition mit Sehenswürdigkeiten aus der Stadt und dem Rheingau.
Dass Schwammtücher nicht mehr, wie es in Deutschland immer noch üblich ist, feucht eingepackt werden, sondern trocken, erleichtert solche Gestaltungen. Die trockenen Tücher ließen sich nicht nur besser bedrucken, sondern seien auch umweltfreundlicher, sagt Kalle-Geschäftsführer Weber. Zum einen müsse trockene Ware nicht in Plastikfolie verpackt werden, zum anderen wiege sie weniger, was die Treibhausgas-Emissionen beim Transport verringere. „Das trockene Schwammtuch hat nur ein Drittel vom Volumen eines feucht verpackten.“ In Teilen der Kundschaft gebe es Vorbehalte gegen die trockenen Tücher, weil sie sich im Laden nicht so weich anfühlten wie die feucht verpackten – nach der ersten Nutzung gebe es aber keinerlei Unterschied mehr zwischen den beiden Varianten, sagt Weber.
Er setzt darauf, dass sich die trockenen Tücher durchsetzen – und damit auch noch mehr Designs. Das eröffne auch neue Möglichkeiten fürs Marketing: „Mein Traum wäre, dass in jedem Fußballstadion auf den nicht überdachten Sitzplätzen ein Schwammtuch liegt mit dem Logo von dem Verein.“ Die Bundesliga-Vereine verlangten für die Nutzung ihrer Logos allerdings zu hohe Lizenzgebühren, sagt Weber.