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Warum gemeinsames Urinieren ansteckend ist – Wissen | ABC-Z

Beste Freundinnen tun es, Paare tun es und die alten Römer taten es auch: gemeinsam zur Toilette gehen. In der antiken Hafenstadt Ostia sind die prächtigen Gemeinschaftstoiletten der Römer bis heute zu besichtigen. In einem großen Raum mit Marmorwänden und aufwendigen Mosaiken auf dem Fußboden saßen sie entspannt nebeneinander, plauderten und erleichterten sich.

„Bei Menschen kann gemeinsames Urinieren als soziales Phänomen betrachtet werden“, sagt der Evolutionsbiologe Ena Onishi von der Kyoto University laut einer Presseerklärung. Im Japanischen gebe es sogar ein eigenes Wort dafür: „Tsureshon“. Und in Italien kursiere das Sprichwort: „Chi non piscia in compagnia o è un ladro o è una spia“: Wer nie in Gemeinschaft pinkelt, ist entweder ein Räuber oder ein Spion.

Onishi hat beobachtet, dass Schimpansen, die nächsten Verwandten des Menschen, ebenfalls gerne gemeinsam urinieren. In seiner Studie, die er gerade im Wissenschaftsjournal Current Biology veröffentlicht hat, vermutet er daher, dass dieses Verhalten „weit zurückreichende evolutionäre Wurzeln“ hat und „eine bislang übersehene, möglicherweise weitverbreitete Facette des Sozialverhaltens“ ist.

Zudem sei Urinieren bei Schimpansen ansteckend, schreibt Onishi in seiner Studie. Ähnlich wie Gähnen bei Menschen und auch bei Schimpansen:  Wenn einer damit anfängt, geht es bald auch bei anderen Gruppenmitgliedern los. Es muss sehr viel Geduld gekostet haben, das herauszufinden: Mehr als 600 Stunden sahen die Forschenden einer Gruppe von 20 Schimpansen im Kumamoto Sanctuary beim Pinkeln zu. Das Kumamoto Sanctuary ist eine Auffangstation für Schimpansen und Bonobos, an denen Tierversuche gemacht wurden, bevor das in Japan im Jahr 2006 verboten wurde. Insgesamt werteten die Forschenden 1328 Pinkel-Sessions aus, schreiben sie.

Vielleicht gehört gemeinsames Urinieren zum Sozialverhalten vieler Tiere – einschließlich des Menschen

Die Auswertung der Daten ergab, dass die Tiere deutlich öfter gemeinsam pinkelten, als das durch Zufall zu erwarten wäre. Vom Gähnen bei Menschen ist bekannt, dass es umso ansteckender wirkt, je näher sich zwei Personen stehen. Die Wahrscheinlichkeit, angesteckt zu werden, ist also größer, wenn man seine Tochter oder seinen Sohn gähnen sieht, als etwa einen Arbeitskollegen. Diesen Effekt gebe es beim sozialen Pinkeln nicht, schreiben die Forschenden in ihrer Studie.

Dafür spiele die Hierarchie eine wichtige Rolle: „Individuen von niederem Rang schließen sich dem Gepiesel von anderen am häufigsten an“, sagt Onishi.

Welche Funktion das gemeinsame Urinieren hat, haben die Forschenden noch nicht herausgefunden. Vom ansteckenden Gähnen weiß man, dass es zumindest bei Menschen – und wahrscheinlich auch bei Tieren – eine Form von Empathie ist. Denn bei derjenigen Person, die anfängt, ist das Gähnen oft mit einem Gefühl wie Stress, Angst oder einfach Müdigkeit verbunden. Deshalb gehen Sozialbiologen davon aus, dass gemeinsames Gähnen das Zusammengehörigkeitsgefühl stärkt.

Dass das gemeinsame Urinieren hierarchieabhängig sei, lasse Spielraum für mehrere Interpretationsmöglichkeiten, sagt Onishis Co-Autor Shinya Yamamoto der Presseerklärung zufolge: Es könnte dazu dienen, Gruppenaktivitäten zu synchronisieren, wie zum Beispiel einen gemeinsamen Aufbruch, oder es könnte soziale Bindungen innerhalb der Gruppe stärken. Vielleicht beruhe das Verhalten aber auch auf einem sogenannten attention bias. Darunter verstehen Psychologen das Phänomen, dass Lebewesen von allen Stimuli, die auf sie einströmen, bestimmte priorisieren. Rangniedere Schimpansen könnten demnach das Verhalten Ranghöherer besonders aufmerksam beobachten. Vielleicht dient das gemeinsame Urinieren aber auch schlicht der besonders gründlichen Markierung des Territoriums.

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