Warum fünf Studenten Weihnachten ohne die Familie verbringen | ABC-Z
Izaac Paulino, 26 Jahre, Hochschule Mainz, Internationales Bauingenieurwesen
„Ich mag diese Zeit, in der man zum Weihnachtsmarkt geht“, sagt Izaac Paulino. Gerade jetzt, wo es so kalt sei. Paulino lebt seit drei Jahren in Deutschland, aufgewachsen ist er in São Paulo. In Brasilien ist im Dezember Sommer. Paulino berichtet von Weihnachtsfesten am Pool, zusammen mit der Großfamilie, bei ihm kämen mit Cousins, Onkel und Tanten um die 30 Personen zusammen. An Weihnachten gibt es statt der Gans oft Truthahn, andere grillen. „Meine Familie ist es schon gewohnt, dass ich an Weihnachten weg bin“, sagt er. „Aber klar, sie würden mich gerne dahaben.“ Für eineinhalb Wochen lohne es sich aber nicht, nach Hause zu fliegen. Mit 18 zog Paulino für sein Studium nach Argentinien, sein Traum sei es aber immer schon gewesen, in Deutschland zu studieren. Hier fasziniert ihn vor allem die gute Infrastruktur. Schon als Kind hat er im Garten seiner Oma Straßen und Brücken gebaut. Jetzt versucht der angehende Ingenieur, alle zwei Jahre nach Hause zu fliegen. Heiligabend verbringt Paulino in diesem Jahr bei der Familie seines Freundes. In den frühen Morgenstunden wird er seine Eltern anrufen, die von Mitternacht an in São Paulo in den ersten Weihnachtstag hineinfeiern werden.
Ece, 28 Jahre, Universität Mainz, Turkologie
„Für mich ist Silvester wichtiger als Weihnachten“, sagt Ece. Dabei seien beide Feste in ihrem Heimatland, der Türkei, auf eine spezielle Weise verbunden: „Wenn jemand für seine Neujahrsfeier weihnachtlich dekoriert, zeigt er damit seine Offenheit für andere Kulturen.“ In Eces Heimatstadt Izmir kaufen Menschen Weihnachtsbäume für Silvester, in ihrer Schule haben Kinder Wichtelgeschenke ausgetauscht, als sie noch klein war, hat Ece am 31. Dezember Geschenke bekommen. Weder über Weihnachten noch über Silvester wird die Studentin in diesem Jahr in ihrer Heimat sein. „Die Flüge sind über die Weihnachtstage sehr teuer“, sagt sie. Stattdessen wird sie im Januar fliegen. Nicht nur die Reise sei dann deutlich günstiger, ihr Bruder feiere auch seine Verlobung. Ece ist beinahe drei Jahre in Deutschland, nach einem Auslandssemester in Gießen fasste sie den Entschluss, ihren Master in Mainz zu machen. Zwar seien die Winter immer noch ziemlich kalt, „aber in der Weihnachtszeit geht es hier auch darum, zusammenzukommen“. Sie mag die Weihnachtsfeiern, das Schenken und Beschenktwerden. Für Weihnachten in Deutschland hat Ece wenige Tage vor Heiligabend noch keinen konkreten Plan, für Silvester hingegen schon – nicht irgendwo drinnen feiern, sie will an den Rhein, das Feuerwerk sehen.
Finn, 26 Jahre, Universität Frankfurt, Rechtswissenschaft
„Ich fliege grundsätzlich nicht“, sagt Finn, „aus Klimagründen.“ Auch nicht an Weihnachten. Deshalb verbringt er die Feiertage dieses Jahr zum ersten Mal ohne seine Familie. Er stammt aus Schweden, lebt jedoch schon seit 15 Jahren in Deutschland. Vor ein paar Jahren sind seine Eltern zurück nach Schweden gezogen, besuchen wird er sie dieses Jahr an Weihnachten aber nicht. Mit dem Zug zu fahren sei zu teuer und unbequem. „Meine Mutter war sehr traurig, als ich ihr das erzählt habe“, sagt er. „Weil meine Oma in Schweden lebt, bleiben sie über die Feiertage dort.“ Weihnachten sei für ihn aber gar nicht so wichtig, sagt Finn. „Ich habe viel für die Uni zu tun. Wenn ich jetzt nach Hause fahre, kriege ich dort eh nichts auf die Reihe.“ Stattdessen verbringt er Heiligabend bei der Familie seiner Freundin in Frankfurt. Für nächstes Jahr hofft er, einen Kompromiss zu finden: „Man könnte sich ja auch in der Mitte treffen.“
Marianne Böse, 25 Jahre, Universität Mainz, Soziologie
Für Marianne Böse wird es das zweite Jahr in Folge sein, dass sie Heiligabend nicht zusammen mit ihrer Familie verbringt. „Es gibt generell sehr viel Streitpotential“, sagt sie. In der Vergangenheit habe sie deswegen in den „Comedian-Modus“ geschaltet und versucht, den Frieden aufrechtzuerhalten. Der Gedanke an Weihnachten habe sie schon vor den Feiertagen gestresst. Böse entschied sich vergangenen Dezember also dafür, in Mainz zu bleiben. Sie kochte Knödel, Rotkraut, veganes Schnitzel – „ein klassisches Weihnachtsessen eben“ –, ging spazieren, sah einen Film. „Das war richtig schön“, sagt sie. Dabei sei der Tag vor Heiligabend im vergangenen Jahr schlimm gewesen: Das Gefühl, sich gegen die Familie zu entscheiden, habe sie gequält. Dabei bedeute ihre Entscheidung ja nicht, dass sie ihre Familie nicht lieb habe. Sie hofft, dass es ihr irgendwann gelingt, ihre Familie streiten zu lassen – ohne das Gefühl zu haben, dass das etwas mit ihr zu tun habe. Unberührt davon bleibe die Frage, wer eigentlich sage, dass man Weihnachten mit der eigenen Familie feiern müsse. Die Studentin freut sich auf ihr zweites Fest in Mainz. „Ich habe gar nichts zu tun und kann das zelebrieren.“ Sie wird wieder für sich kochen und den ersten Weihnachtstag mit der Familie ihrer besten Freundin verbringen.
Maja, 27 Jahre, Universität Frankfurt, Philosophie
Auch Maja, die eigentlich anders heißt, feiert Weihnachten dieses Jahr ohne ihre Familie. Vor allem aus organisatorischen Gründen. Ihre Eltern leben im Süden Deutschlands. Ihr Bruder ist vor ein paar Wochen Vater geworden und bleibt deshalb mit seiner Freundin und dem Baby zu Hause. „Meine Eltern fahren über die Feiertage gerne nach Österreich, das machen sie manchmal.“ Auch wenn sie alle Maja eingeladen haben, wäre es für die Studentin zu viel Aufwand gewesen, dorthin zu fahren. Denn zwischen den Jahren müsse sie arbeiten. „Meine Mitbewohnerin bleibt auch hier in Frankfurt“, sagt sie. „Wir machen uns eine schöne Zeit.“ Ob sie es im Nachhinein bereuen wird, zum Beispiel nicht mit ihren Eltern nach Österreich gefahren zu sein, weiß sie noch nicht. „Ich finde, man sollte sich zu nichts zwingen, nur weil andere Menschen Zeit mit ihren Familien verbringen.“ Für ihre Mitbewohnerin und sich selbst möchte sie vielleicht Gulasch kochen. Und ganz viel Glühwein trinken.