Warum es jetzt auf die Briten ankommt | ABC-Z

Berlin. Der Westen zerbricht, die Europäer haken sich unter und stärken der Ukraine den Rücken. Schlägt jetzt die Stunde des Keir Starmer?
Größer könnte der Kontrast kaum sein: Am Freitag das entwürdigende Brüll-Duell zwischen US-Präsident Donald Trump und dem ukrainischen Staatschef Wolodymyr Selenskyj im Weißen Haus in Washington, gefolgt von einem eiskalten Rausschmiss des Gastes durch den Hausherrn. Am Tag darauf dann ein betont herzlicher Empfang auf der anderen Seite des Atlantiks, in der Downing Street Nummer 10 in London.
Herzlicher Empfang: Der britische Premier Keir Starmer (links) und der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj am Samstag vor Starmers Amtssitz in London.
© DPA Images | Kin Cheung
Der britische Premier Keir Starmer begrüßt Selensykj an seinem Amtssitz, nimmt ihn vor laufenden Kameras in den Arm und führt ihn ins Gebäude. Wenig später sagt er: „Wir stehen an Ihrer Seite und der der Ukraine so lange, wie es nötig ist.“ Selenskyj habe die „volle Unterstützung“ des gesamten Königreichs. Und das ist erst der Anfang des demonstrativen Unterhakens und In-die-Mitte-Nehmens.
Am Sonntag wird Selenskyj vom britischen König Charles III. empfangen. Dies ist eine besondere Geste und zugleich eine diplomatische Spitze: Die Briten wissen genau, wie sehr US-Präsident Trump das Königshaus mit all seinem Pomp und Glamour bewundert. Am Sonntagnachmittag dann nimmt der Ukrainer an dem Krisentreffen teil, zu dem Premier Starmer Staatslenker aus wichtigen europäischen Ländern zusammengetrommelt hat.
Bundeskanzler Olaf Scholz ist im Londoner Lancaster House dabei, Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron, Italiens Regierungschefin Giorgia Meloni, Polens Premier Donald Tusk, Spitzenvertreter von EU und Nato, auch Kanadas Premier Justin Trudeau, um nur einige zu nennen. „Unsere Zukunft sichern“, lautet das Motto des Treffens. Starmer sagt zum Auftakt, man erleben einen entscheidenden Moment für Europas Sicherheit, wie er nur „einmal in einer Generation“ vorkomme.
Trump dealt mit Putin: Die Europäer sind jetzt auf sich allein gestellt
Es geht bei dem Londoner Gipfel darum, die weitere Unterstützung der Ukraine zu organisieren. Doch nicht nur das: Nach den Vorfällen von Freitag in Washington stellt sich in Europa ganz akut die Frage, was der alte Kontinent eigentlich noch von seinem wichtigsten Verbündeten, den Vereinigten Staaten von Amerika, erwarten kann. US-Präsident Trump ist nicht einmal seit sechs Wochen im Amt. Aber er ist sichtlich dabei, die bisherige Weltordnung durcheinanderzuwirbeln, vermutlich sogar mit voller Absicht zu zertrümmern.
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Trump sucht die Annäherung an Russlands Gewaltherrscher Wladimir Putin, und zwar über die Köpfte der Ukrainer und der Europäer hinweg. An Sicherheitsgarantien für die Ukraine nach einem möglichen Friedensschluss wollen sich die USA nicht beteiligen. Trumps Vize JD Vance hielt vor zwei Wochen in München eine verstörende Rede, in der er die europäischen Staaten in die Nähe totalitärer Regime rückte und die extreme Rechte hochleben ließ. Trumps Berater Elon Musk empfiehlt den Austritt der USA aus Nato und Vereinten Nationen.
Trump-Eklat: London und Paris wollen neuen Friedensplan vorlegen
All das lässt nur einen Schluss zu: Der Westen, so wie er seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs bestand, befindet sich in rasanter Auflösung. Die Europäer können sich nicht mehr darauf verlassen, dass die USA weiterhin ihre Sicherheit garantieren. Sie müssen ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen. EU-Chefdiplomatin Kaja Kallas formulierte es am Freitag nach der Demütigung Selenskyjs durch Trump so: „Heute ist klar geworden, dass die freie Welt einen neuen Anführer braucht. Es liegt an uns Europäern, diese Herausforderung anzunehmen.“
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Alles muss sehr schnell gehen: Geld und Waffen für die Ukraine, eine Stärkung der europäischen Armeen inklusive der nuklearen Abschreckung, der Hochlauf der europäischen Rüstungsproduktion. Bei der Londoner Konferenz geht es aber auch darum, politisch überhaupt wieder ins Geschäft zu kommen: Frankreich und Großbritannien, die beiden europäischen Atommächte, haben bereits ihre Bereitschaft erklärt, Friedenstruppen in die Ukraine zu entsenden. Sie fordern aber eine Absicherung durch die USA.
Krisentreffen: Deutschland ist dabei – aber Kanzler Scholz spielt keine Hauptrolle mehr
Am Sonntag, kurz vor Beginn des Londoner Gipfeltreffens, teilt Starmer dann mit, dass London und Paris einen Plan für eine Waffenruhe vorlegen wollen. „Wir haben uns nun darauf geeinigt, dass das Vereinigte Königreich zusammen mit Frankreich und möglicherweise ein oder zwei weiteren Ländern mit der Ukraine an einem Plan zur Beendigung der Kämpfe arbeiten wird“, sagt der Premier. Danach solle der Plan mit der US-Regierung besprochen werden. Dies sei das Ergebnis von Gesprächen mit Selenskyj, Macron und Trump am Samstag, also dem Tag nach dem Eklat im Weißen Haus. Starmer sagt, er wolle eine „Koalition der Willigen“ für konkrete europäische Sicherheitsgarantien formen, ohne auf jedes einzelne Land in Europa warten zu müssen.
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Der britische Regierungschef war am vergangenen Donnerstag bei Trump in Washington, also vor Selenskyj. Dieses Treffen ging unfallfrei über die Bühne. Frankreichs Präsident wiederum hatte Trump bereits am Montag zuvor seine Aufwartung gemacht und diesen nach allen Regeln der Kunst umgarnt. Zusagen für US-Sicherheitsgarantien zugunsten der Ukraine und eine Beteiligung der Europäer an Friedensgesprächen erhielten sie nicht. Aber immerhin scheint Trump Starmer und Macron als Gesprächspartner zu akzeptieren. Deutschland mit Noch-Kanzler Olaf Scholz an der Spitze ist wegen der laufenden Regierungsbildung hierzulande derzeit nur eingeschränkt handlungsfähig.

Uns so kommt es jetzt in Europa erst einmal vor allem auf Frankreich und Großbritannien an. Macron ist gegenwärtig der starke Mann der Europäischen Union, auch wenn ihm innenpolitisch das Wasser bis zum Hals steht. Und Starmer ist zwar erst seit acht Monaten im Amt, sein Land ist überdies kein EU-Mitglied mehr. Aber er hofft, die historisch engen Beziehung Großbritanniens zu den Vereinigten Staaten nutzen zu können, um zwischen Europa und Amerika zu vermitteln.