Wirtschaft

Warum die Beschäftigung im Mittelstand schrumpft | ABC-Z

Beschäftigung rauf, Arbeitslosigkeit runter. Seit Jahren kam vom deutschen Arbeitsmarkt eine Rekordmeldung nach der anderen. Doch nun mehren sich angesichts der schwachen Wirtschaftslage die schlechten Nachrichten. Seit Monaten schon beherrschen Stellenabbauprogramme von Großunternehmen wie Bosch oder ZF die Schlagzeilen. Kurz vor Weihnachten kam noch die Einigung von Volkswagen hinzu, die den Wegfall von nicht weniger als 35.000 Arbeitsplätzen innerhalb von sechs Jahren vorsieht.

Doch während die meisten dieser Programme einen sozialverträglichen Abbau von Beschäftigung in der Zukunft regeln, hat der Abwärtstrend am Arbeitsmarkt in einem anderen Segment der Wirtschaft längst begonnen. Wissenschaftler schlagen deshalb jetzt Alarm. „Die Konzerne beherrschen die Schlagzeilen, aber im Mittelstand sinkt längst die Beschäftigung“, warnt Enzo Weber vom staatlichen Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) aus Nürnberg gegenüber der F.A.Z.

Die sozialversicherungspflichtige Beschäftigung in Deutschland hat in den vergangenen 20 Jahren einen kaum für möglich gehaltenen Höhenflug erlebt. Die Zahl der abhängig Beschäftigten stieg in diesem Zeitraum um rund 7,5 Millionen auf knapp 35 Millionen Personen. Der Aufbau ist jedoch im Laufe dieses Jahres zum Erliegen gekommen. Und wie Weber für einen Fachaufsatz nun herausgearbeitet hat, ist die Entwicklung sogar schon in die andere Richtung abgekippt. Es werde deutlich, dass sich die Beschäftigung im dritten Quartal 2024 auffallend schlecht entwickelt hat – „noch einmal um 76.000 Personen unter dem, was man aufgrund der schwachen Konjunkturentwicklung hätte erwarten können“, heißt es.

Kritische Lage der Industrie

Dass vor allem Klein- und Kleinstunternehmen betroffen seien, zeige ein Vergleich der Daten für Mai 2023 und Mai 2024. In diesem Zeitraum wuchs die Beschäftigung in Einheiten mit mehr als hundert Mitarbeitern noch um 1,2 Prozent. Dagegen sank der Wert in Betrieben mit weniger als hundert Mitarbeitern um 0,3 Prozent. Schaut man sich von diesen Betrieben speziell jene des Verarbeitenden Gewerbes an, gab die Beschäftigung sogar um 2,0 Prozent nach. Weber hält diesen Wert innerhalb von zwölf Monaten für beunruhigend. Das spiegele die kritische Lage der Industrie wider, und im Schlepptau auch der Zeitarbeit.

Zuvor hatte schon der Datev-Mittelstandsindex, über den die F.A.Z. vorab berichtet hatte, ergeben, dass der Umsatz der kleinen und mittleren Unternehmen im November verglichen mit dem entsprechenden Vorjahresmonat um 4,7 Prozent gesunken ist. Auch das Münchner Ifo-Institut hat vor Weihnachten gewarnt, dass die Personalplanung der Unternehmen restriktiver werde. Das Ifo-Beschäftigungsbarometer sank im Dezember auf 92,4 Punkte, nach 93,3 Punkten im November. „Immer weniger Unternehmen bauen Personal auf“, kommentierte Ifo-Forscher Klaus Wohlrabe den Trend. „Dafür steigt der Anteil der Betriebe, die Arbeitsplätze abbauen wollen.“

Insbesondere in der Industrie hinterlasse die wirtschaftliche Krise ihre Spuren in der Personalplanung. Nahezu alle Branchen zögen einen Arbeitsplatzabbau in Betracht. Am stärksten betroffen seien die Metallbranche sowie die Autohersteller und ihre Zulieferer. Auch der Handel plane eher Stellen zu reduzieren, als sie neu zu besetzen. Bei den Dienstleistern setze sich die negative Dynamik der vergangenen Monate fort.

Insolvenzen klettern nach oben

Der Beschäftigungsknick steht auch im Zusammenhang mit der steigenden Zahl von Geschäftsaufgaben. Im laufenden Jahr ist die Zahl der Insolvenzen deutlich nach oben gegangen. Nach vorläufigen Schätzungen der Bonitätsauskunft Creditreform sind 2024 etwa 22.400 Unternehmensinsolvenzen zu erwarten, das wäre ein sattes Viertel mehr als im Vorjahr.

Doch neben dem Verlust bestehender Arbeitsplätze hat IAB-Forschungsleiter Weber noch einen anderen Grund für die Entwicklung ausgemacht: „Deindustrialisierung geschieht vor allem über fehlende Erneuerung. Noch nie gab es in der Industrie so wenige Neugründungen“, sagt Weber mit Blick auf das maue Gründungsgeschehen.

Laut KfW-Gründungsmonitor 2024 fehlte der Gründungs­tätigkeit zuletzt der gesamtwirt­schaftliche Antrieb. Gründungen wüchsen in unsicheren Zeiten vor allem für Nebenjobs, aber nicht im Vollerwerb. Für Enzo Weber ergibt sich daraus ein politischer Handlungsauftrag: „Wirtschaftspolitik muss Unsicherheit reduzieren und die Entwicklung neuer Unternehmen und Geschäftsmodelle fördern.“

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