Warum das deutsche Traditionslabel Strenesse ausgerechnet jetzt ein Comeback wagt | ABC-Z

Wer dieser Tage am Berliner Kaufhaus KaDeWe vorbeispaziert, wird feststellen, dass es in einem neuen Look daherkommt – und der ist von Strenesse. Das große Comeback der deutschen Traditionsmarke nach fünf Jahren wird dort zwei Wochen lang gebührend nach außen getragen: ein XXL-Plakat direkt über dem Eingang sowie eine Ausstellung der neuen Kollektion in allen Schaufensterfronten. Und auch im Inneren des Luxuskaufhauses stand am Mittwochabend alles im Zeichen der Marke bei der offiziellen Relaunch-Party, die über 600 Gäste anzog.
Als langjähriger Partner von Strenesse stand es für CEO Noro Hoferer außer Frage, dass der Relaunch exklusiv im Kaufhaus des Westens begangen wird: „Es gibt nur eine ikonische Fassade in Deutschland – das KaDeWe.“ Am Mittwochabend zeigte sich Hoferer erleichtert, lange hatte er auf diesen Moment gewartet. Und im Vorhinein war nicht immer alles glatt gelaufen. Aufgrund von Markenangriffen hatte sich der Relaunch um ein Jahr verzögert: „Man wollte uns die Marke wegen Nichtnutzung löschen. Aber ich wusste: Ich habe bis zuletzt Ware verkauft. Es konnte nichts passieren.“ Die neue Kollektion beweist einmal mehr: Gelöscht wurde zum Glück gar nichts. Die „Klamotte“, wie Hoferer sagt, besticht durch zeitlose 90s-Eleganz, minimalistisches Design und eine pointierte Farbpalette, bestehend aus Weiß, Grau und Schwarz. Strenesse ist sich treu geblieben. Von Anfang an sei klar gewesen, so Hoferer, dass der Relaunch im Zeichen der 90er Jahre steht – das sei auch die beste Zeit der Marke gewesen.
Von der Glanzzeit zum Niedergang
In den Neunzigerjahren erlebte Strenesse seine goldene Ära. Das 1949 in Nördlingen gegründete Familienunternehmen machte zeitweise über 100 Millionen Euro Umsatz im Jahr und war auf Augenhöhe mit Jil Sander stilprägend für die deutsche Mode dieser Zeit: puristisch, edel und international wettbewerbsfähig. Auch der deutsche Fußball trug seinen Teil dazu bei: Als offizieller Ausstatter der Nationalmannschaft am Spielfeldrand zwischen 2006 und 2013 rückte Strenesse ins Rampenlicht.

Unvergessen ist der royalblaue Pullover aus Baby-Kaschmir mit V-Ausschnitt, den Bundestrainer Jogi Löw zu seinem unverwechselbaren Outfit am Spielfeldrand machte – bis heute ein Symbol für den Glanz jener Jahre, in denen deutsche Mode weltweit Beachtung fand. Doch dann folgte der Absturz.
Nach Jahren sinkender Umsätze meldete Strenesse 2014 Insolvenz in Eigenverwaltung an, fünf Jahre später folgte ein erneutes Verfahren. Ende 2020 stellte das Unternehmen den Betrieb endgültig ein. Erst 2023 kam die Wende, als die Brand House Production GmbH mit Hauptanteilseigner Marcus Fürst von Sayn-Wittgenstein sowie Mitgesellschafterin Mariella Baroness von Essen die Rechte übernahm. Gemeinsam mit Eric Teckemeyer und CEO Noro Hoferer soll der Wiederaufbau gelingen.

Neustart mit Nachhaltigkeit und Vision
Heute blickt Hoferer trotz schwieriger Rahmenbedingungen optimistisch nach vorn. „So schlecht wie heute war die Zeit für Mode wahrscheinlich nie“, räumt er ein. „Doch ich habe keine Angst vor der schlechten Zeit, denn auch in der schlechten Zeit ist Markt da für neue Dinge. Mit unserem Konzept – mit ausgewählten Händlern auf die Heritage der Marke zu setzen, mit der Zweitlinie Strenesse Blue demokratisch eine breitere Zielgruppe anzusprechen und auf Materialinnovationen zu setzen – ist das für mich kein großes Risiko. Ich glaube daran, dass der Markt das braucht.“

Ein besonderer Fokus liegt dabei auf nachhaltigen Innovationen. Strenesse hat eine biologisch abbaubare Faser entwickelt, die Mikroplastik vollständig ersetzen soll. Zwar sei das Material noch nicht Teil der aktuellen Kollektion, so Hoferer, doch habe man bewusst mit einer Decke begonnen, um auf die Problematik aufmerksam zu machen: „In Deutschland werden jedes Jahr Millionen von Decken aus Polyester genutzt, bei der ersten Wäsche gelangen hunderttausend Mikroplastikteile in den Wasserkreislauf.“ Erste Kleidungsstücke mit der neuen Faser sollen Ende des Jahres beziehungsweise Anfang 2026 auf den Markt kommen.
Dass Hoferer so zuversichtlich ist, liegt auch an einem entscheidenden Mitstreiter: Mirko Borsche, der das Design und Image von Strenesse verantwortet. Der Grafikdesigner prägt mit seinem Studio Bureau Borsche seit Jahren das Erscheinungsbild internationaler Marken wie Givenchy, Balenciaga, Rimowa oder Birkenstock. „Für mich war der Mirko Borsche klar“, sagt Hoferer. „Ich habe mit ihm schon früher bei Strenesse zusammengearbeitet, da hatte er mich schon begeistert, weil er die Dinge anders sieht als ein klassischer Modedesigner. Wir brauchen keinen, der sich am Ende selbst verwirklichen will, sondern jemanden, der Strenesse kulturell anders sieht. Für mich war er der ideale Sparringspartner.“
Borsche selbst sagt über seine Vision: „Qualität und Heritage – das ist die Nische, in die man gehen muss, und das ist gleichzeitig die Chance, die die Marke hat. Gerade jetzt, weil man in eine Zeit zurückblickt, in der noch alles gut war.“ Das neue Kapitel Strenesse hat gerade erst begonnen. Statt auf schnellen Onlineerfolg zu bauen, setzt das Unternehmen auf selektive Exklusivität: Der Start im KaDeWe bildet den Auftakt, es folgen Pop-ups in Kitzbühel und München sowie der Ausbau des Händlernetzes im deutschsprachigen Raum. Ende des Jahres will Strenesse international expandieren und die Zweitlinie Strenesse Blue auf den Markt bringen. Große Pläne, die für die deutsche Modeszene ein Gewinn wären. Sollte es Strenesse gelingen, den Spagat zwischen Tradition und Erneuerung zu meistern, könnte die Marke beweisen, dass deutsche Mode auch heute noch internationale Strahlkraft entwickeln kann.