Trump wollte „Höllenloch“ befrieden – und beißt auf Granit | ABC-Z

Jim Slivovsky, Immobilien-Makler mit slowakischen Wurzeln und einem sehr sympathischen Schalk im Gesicht, kommt seit drei Wochen jeden Nachmittag von vier bis sechs an die Ecke 1930 Beach Street im Chicagoer Vorort Broadview.
Vor dem mit Metall-Zäunen und Beton-Barrikaden abgeschirmten Internierungslager für Abschiebehäftlinge der US-Einwanderungspolizei ICE, das es durch Videos mit maskierten, prügelnden, Pfefferspray sprühenden und Pfeffer-Kugeln auf Demonstranten schießenden ICE-Agenten in die Weltnachrichten geschafft hat, steht der 62-Jährige am sonnig-klaren Donnerstagnachmittag mit seinem Lieblings-Plakat am Straßenrand. Aufschrift: „Das ist nicht normal.”
Jim Slivovsky (rechts) demonstriert mit Mitstreitern gegen die US-Einwanderungspolizei ICE.
© Dirk Hautkapp | Dirk Hautkapp
Slivovsky und seine beiden Mitstreiter ermuntern die vorbeifahrenden Autofahrer zum Hupen „pro Einwanderung und Rechtsstaatlichkeit”. Der Anhänger des früheren demokratischen Präsidentschaftskandidaten Bernie Sanders hält es für seine staatsbürgerliche Pflicht zu protestieren gegen den „Overkill” an Sicherheitsorganen, die sich seit Wochen in diesem gesichtslosen Industriegebiet gut eine Autostunde von der Glitzer-Architektur der Metropole am Lake Michigan entfernt gegenseitig auf den Füßen stehen – „weil Donald Trump es so will”.
Trump: Schlappe vor Gericht
Dass der Präsident „wie verrückt lügt”, wenn er behauptet, Chicago befinde sich im Würgegriff der Antifa, die mit Duldung der demokratischen Verantwortlichen in Stadt und Bundesstaat gegen Washington aufbegehre und nur durch die Nationalgarde gestoppt werden könne, treibt dem „grundsätzlich fröhlichen” Slivovsky im Gespräch mit dieser Zeitung kurz die Wutröte ins Gesicht. „Es gibt hier keine Rebellion und es gab nie eine, die den Einsatz der Militärs auf unseren Straßen rechtfertigen würde. Donald Trump missbraucht unsere Soldaten als politische Requisiten in seinem illegalen Bestreben, das Land gegen Andersdenkende zu militarisieren.“
„Keine Truppen in unseren Straßen“: Demonstranten protestieren gegen den Einsatz der Nationalgardisten.
© Dirk Hautkapp | Dirk Hautkapp
Kurz bevor die von Broadview-Bürgermeisterin Katrina Thompson verhängte Protest-Ausgangssperre um 18 Uhr einsetzt, darf sich Jim Slivovsky bestätigt fühlen. Per Eilmeldung trifft die Nachricht bei den gut drei Dutzend Demonstranten (bei fast ebenso vielen Fernsehteams) ein, dass Bezirksrichterin April Perry in ihrem Sinne entschieden und Präsident Donald Trump eine herbe Niederlage zugefügt hat.
Die Richterin entschied, dass die auf Drängen Trumps angeforderten 500 Nationalgardisten aus Illinois und Texas, die das ICE-Lager sichern und ICE-Agenten beim Aufgreifen illegaler Einwanderer Flankenschutz geben sollen, bis mindestens Ende Oktober die Füße stillhalten müssen.
Gericht stoppt ICE-Einsatz in Chicago: Keine „glaubwürdigen Beweise“ für eine Rebellion
Den von Anwälten des Justizministeriums vorgebrachten Befund, in Illinois gefährde ein Aufstand von Links den Staat, ließ sie nicht gelten. „Ich habe keine glaubwürdigen Beweise dafür gesehen, dass in Illinois die Gefahr einer Rebellion besteht. Ich bin der Meinung, dass die Entsendung der Nationalgarde zum Broadview-Zentrum oder an einen anderen Ort in Illinois nur Öl ins Feuer gießen würde.”
Es sollte an diesem Donnerstag nicht die einzige Schlappe für das Weiße Haus sein, das umgehend ankündigte in Berufung zu gehen. Andere Richter hatten verfügt, dass ICE-Agenten ab sofort in Chicago ihre Dienstmarken tragen und beim Einsatz gegen friedliche Demonstranten und Journalisten, die zuletzt mehrfach übel rangenommen worden waren, Gewaltverzicht üben müssen.
Demonstrierender Priester wurde im September mit Pfeffer-Kugeln beschossen
Das Urteil ist inspiriert auch durch den Fall des Priesters David Black, der im September friedlich vor dem ICE-Gebäude demonstrierte und von Agenten willkürlich mit Pfeffer-Kugeln beschossen wurde. Den danach errichteten 2,50 Meter hohen Metall-Zaun rund um das Internierungslager, von dem niemand öffentlich weiß, wie viele Menschen dort festgehalten werden und warum, muss die Einwanderungspolizei wieder abbauen.
Chris Klepper, 77, langjährige Aktivistin der Bürgerrechtsbewegung in den 60er Jahren, die ebenfalls seit Wochen in Broadview protestiert, bekam angesichts der „guten Nachrichten” fast feuchte Augen. Die „autoritäre Übernahme” der USA durch Trump „in nur neun Monaten” mache ihr schwer zu schaffen: „Ich erkenne mein Land nicht mehr wieder.”
Hauptstadt Inside von Jörg Quoos, Chefredakteur der FUNKE Zentralredaktion
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Sie berichtet, dass schon seit Donnerstagmorgen rund 50 der 200 auf Trumps Geheiß aus Texas ausgeliehenen Soldaten auf dem ICE-Gelände zu sehen waren, ein gedrungenes Gebäude mit einer amerikanischen Flagge davor. Die Fenster und Türen mit Brettern vernagelt. Niemand kann hineinsehen.
Mitglieder der texanischen Nationalgarde gehen vor dem ICE-Verarbeitungszentrum in Broadview in der Nähe von Chicago.
© Stacey Wescott/TNS via ZUMA Press Wire/dpa | Stacey Wescott
Trump wollte „Höllenloch Chicago“ befrieden
Dass Trump förmlich heiß darauf sei, die maskierten Beamten zur Bekämpfung „nicht existierender Aufstände” einzusetzen und so das „Höllenloch Chicago” zu befrieden, hält Klepper für eine „Versündigung an der Demokratie, gegen die wir aufstehen müssen.”
Ali Wiegand sieht das ganz anders. Die 45-Jährige ist vor der Sperrzone des ICE-Gebäudes eine Ausnahme-Erscheinung – und ein „enfant terrible”. Sie hält ein Schild hoch, auf dem „We love ICE“ zu lesen ist. Mit linken Gegendemonstranten, die auf ihren Papp-Plakaten „ICE gleich Gestapo” stehen haben, liefert sich Wiegand erbitterte Wortgefechte, die oft in Schreien ausarten. Ihr Tenor: Trump tut „das Richtige”. Amerika gehe sonst vor die Hunde.
Demonstrantin und Gegendemonstrantin: Auf dem einen Schild ist „ICE=Trump‘s Gestapo“ zu lesen, auf dem anderen „Wir lieben ICE“.
© Dirk Hautkapp | Dirk Hautkapp
„Wichtiges Signal der Hoffnung“: Chicagos Bürgermeister begrüßt Gerichtsbeschluss
Joe Amore, ein Veteran mit deutschen Wurzeln, muss an sich halten, wenn er Leute wie Wiegand vor der Nase hat. Er und andere, die regelmäßig in Broadview protestieren, berichten von Skandalen, die auf das von Trump angefeuerte „rücksichtslose Verhalten“ der Einwanderungspolizei zurückgingen. Drastisches Beispiel: 300 ICE-Beamte stürmten unlängst ein Wohnhaus an der South Shore in Chicago. Black Hawk-Hubschrauber kreisten über dem Schauplatz, aus dem sich Polizisten abseilen ließen. Später brachen Agenten in Militär-Kleidung in Wohnungen ein und fesselten Bewohner, Kinder wie Alte unabhängig von ihrer Staatsbürgerschaft mit Kabelbindern.
Illinois-Gouverneur JB Pritzker und Chicagos Bürgermeister Brandon Johnson, beides Demokraten, die Trump gerne ins Gefängnis gesteckt sehen möchte, weil sie sich ihm verweigern, begrüßten die Richter-Entscheidungen als „wichtiges Signal” der Hoffnung. Die von Trump betriebene Militarisierung einer ganzen Stadtgesellschaft – Chicago ist mit knapp 2,8 Millionen Einwohnern die drittgrößte Metropole in den Vereinigten Staaten – müsse ein Ende haben. Ebenso die Dreistigkeit, gegen den erklärten Willen des einen Bundesstaates (Illinois) Soldaten eines anderen Bundesstaates (Texas) anzuheuern. Dem schloss sich ausgerechnet der republikanische Gouverneur von Oklahoma, Kevin Stitt, uneingeschränkt an.
Während Jim Slivovsky mit einem breiten Lächeln und Siegerfaust den Protest-Nachmittag beschloss, zeigte sich Chris Klepper, die erfahrene Anti-ICE-Demonstrantin, vorsichtiger. Donald Trump werde die Niederlagen nicht geräuschlos akzeptieren, sagte sie. Sie und andere Demonstranten befürchten, dass der Präsident die Justiz übergehen und das Aufstands-Gesetz von 1807 („insurrection act”) aktivieren könnte, um die Nationalgarde doch noch auf die Straße zu bringen. „Dann könnte das Pulverfass, auf dem wir sitzen, explodieren.”
















