Warum an diesem Wochenende so viele Polizisten den Münchner Hauptbahnhof bevölkern – München | ABC-Z

Der Koffer und die schwarze Tasche stehen definitiv am falschen Platz. Am Ende von Bahnsteig 11 des Münchner Hauptbahnhofs, noch dazu scheinbar herrenlos. Hektik bricht aus. Bundespolizistinnen und -polizisten entrollen rot-weißes Flatterband und wickeln es gleich wieder zusammen, Kollegen sperren den benachbarten Südausgang des größten bayerischen Bahnhofs und schicken die ratlosen Reisenden durch den U-Bahn-Abgang, Durchsagen ertönen. Vorfälle wie dieser kommen im Hauptbahnhof, der seit Jahren wohl größten Baustelle der Münchner Innenstadt, häufig vor. Doch etwas ist anders an diesem Freitag. Viel mehr Polizei. Und viele Kameras, die auf die Szene draufhalten.
Denn nur wenige Stunden zuvor hat am Münchner Hauptbahnhof – und gleichzeitig in Nürnberg, Regensburg, Aschaffenburg und 37 weiteren Bahnhöfen im ganzen Bundesgebiet – etwas begonnen, was die für Bahnhöfe und Zugstrecken zuständige Bundespolizei mit den etwas sperrigen Begriffen „Schwerpunkteinsatz zur Gewaltprävention“ und „Allgemeinverfügung“ umschreibt.
Für Reisende heißt das: Sie müssen damit rechnen, von Einsatzkräften angehalten und kontrolliert zu werden. Im Mittelpunkt des Interesses der Beamtinnen und Beamten stehen gefährliche Gegenstände. „Die anhaltend hohe Anzahl von Gewaltdelikten“ zwinge dazu, ließ die Bundespolizei im Vorfeld verlauten. Im Jahr 2023 wurden im Münchner Hauptbahnhof 3540 Straftaten verübt – 732 mehr als im Jahr zuvor. Um mehr als ein Drittel gestiegen war dabei auch die Zahl der im Hauptbahnhof verübten Körperverletzungen. Die Bundespolizei registrierte vor zwei Jahren 370 Fälle, außerdem 14 Raubdelikte und 105 Widerstandshandlungen. Gewaltdelikte ereigneten sich häufig innerhalb von Gruppen, erläuterte die Bundespolizei vor einem Jahr auf Anfrage. Reisende würden „deutlich seltener als Angehörige vulnerabler Gruppen zu den Opfern von Gewalttaten“.
Bis Sonntagfrüh um 3 Uhr gilt am Münchner Hauptbahnhof das, was auch während des Oktoberfestes oder demnächst wieder in der Adventszeit zum Schutz der Weihnachtsmärkte in Kraft ist: das Verbot, Schuss- und Stichwaffen sowie pyrotechnische oder andere gefährliche Gegenstände dabei zu haben. In der Verfügung werden auch eher außergewöhnliche Reiseartikel aufgezählt wie Kriegswaffen und deren Imitate, Armbrüste, Säbel und Baseballschläger, aber auch Spielzeugpistolen, Tierabwehrsprays und alle Arten von Messern. Wie die Beamten erkennen, wer so etwas im Gepäck hat, bleibt auch auf Nachfrage bei mehreren Pressesprechern etwas nebulös. „Polizeiliches Bauchgefühl“ sei das, heißt es.
:Münchens Hauptbahnhof – ein Hort des Verbrechens?
Mehr Körperverletzungen, Sexualdelikte und Sachbeschädigungen: Am Hauptbahnhof steigt die Kriminalität stark an. Wer besonders gefährdet ist – und was der Alte Botanische Garten damit zu tun hat.
Dieses Bauchgefühl schlägt am Freitagabend erkennbar öfter an. Immer wieder scharen sich Gruppen von Bundespolizistinnen und -polizisten um eine Kontrollperson. Nicht selten finden sie etwas. Die Liste in der Allgemeinverfügung ist schließlich lang. Manche Ertappte kommen mit belehrenden Worten davon, andere kriegen ein Bußgeld aufgebrummt. „Es ist halt ein Unterschied, ob jemand eine Nagelfeile griffbereit in der Tasche hat oder eine Machete im Gepäck“, heißt es zur Erklärung. Das leuchtet ein.
Der Fund eines Einhandmessers vertreibt den Wartenden, unter ihnen viele Journalisten, die Zeit. Und die Durchsagen eines Bahnhofsprechers, den irgendwer oder irgendetwas so in Heiterkeit versetzt hat, dass er den eigentlich bedauerlichen Umstand einer Streckensperrung in Richtung Rosenheim – nur unter hörbaren Mühen schallendes Gelächter vermeidend – ins Mikrofon haucht. Man wartet also. Denn der Minister hat sich angesagt. Alexander Dobrindt, oberster Dienstherr der Bundespolizei, will sich ein Bild vom Einsatz machen. Und zwar ausgerechnet dort, wo kurzfristig der besitzerlose Koffer steht. Der CSU-Politiker trifft mit einiger Verspätung ein, obwohl er nicht mit der Bahn gefahren sei, wie es hinter vorgehaltener Hand heißt.

Dafür nimmt sich der Peißenberger dann jede Menge Zeit, um mit den eingesetzten Beamtinnen und Beamten ausführlich über deren Arbeit zu reden. Auch bei einer Gruppe von Bahn-Sicherheitsleuten bleibt der Bundesinnenminister stehen. Seine Entourage wird unruhig. Schließlich ist am Ende noch ein Statement angekündigt, in dem Dobrindt erklären will, warum Einsätze wie an diesem Wochenende nötig sind.
„Die steigende Gewaltkriminalität ist ungebrochen“, sagt Dobrindt später am Holzkirchner Flügelbahnhof, schiebt aber gleich nach, dass es sich beim Münchner Hauptbahnhof um den „sichersten Bahnhof Europas“ handle. Laut Medienberichten wurden in den ersten fünf Monaten des laufenden Jahres 165 Körperverletzungsdelikte am Münchner Hauptbahnhof registriert – ungefähr so viele wie im Vergleichszeitraum des Vorjahres. Hinter Köln, Hamburg, Frankfurt am Main, Leipzig, Dortmund und Hannover soll der Münchner Hauptbahnhof damit auf Platz sieben der bundesweit gefährlichsten Bahnhöfe rangieren. In ganz München ist die Zahl der Gewalttaten in den vergangenen zehn Jahren um 22 Prozent gestiegen.
Dobrindts Fazit: „Es gibt kein Zuviel an Prävention.“ Vor allem, weil das dem Sicherheitsempfinden der Bevölkerung dienlich sei. Der Vizepräsident der Bundespolizeidirektion München, Franz-Xaver Vogl, stimmt seinem Dienstherrn zu und verweist darauf, wie gut man mit der Bahn-Sicherheit und dem Polizeipräsidium München zusammenarbeite.
Dessen Präsidenten Thomas Hampel bleibt es vorbehalten, wohl dosiert etwas Wasser in den Wein zu gießen. Das Sicherheitsempfinden hänge auch von dem Zustand ab, in dem der Bahnhof und dessen gesamtes Umfeld sich befänden. Und da gebe es während der jahrelangen Bauarbeiten schon noch Ecken, die verbesserungswürdig seien. Weswegen man mit der Bahn „im Gespräch“ sei. Thomas Hampel ist ein freundlicher Mann.
Wie die Münchner Polizei die Sicherheit im Bahnhofsumfeld verbessert, war am Donnerstag zu erleben. Mit Hilfe der „neuen hochmodernen und erst kürzlich aufgestellten Videotürme“ (O-Ton Präsidium) in der Schillerstraße/Adolf-Kolping-Straße im Südlichen Bahnhofsviertel sei es da gelungen, einen 18-Jährigen als Tatverdächtigen zu identifizieren. Der junge Mann hatte einen Kontrahenten mit einer Bierflasche niedergeschlagen und mit Tritten traktiert, ehe er Richtung Hauptbahnhof geflohen war.

Derart dramatische oder gar blutige Szenen bleiben dem Innenminister am Freitag erspart. Eine Meldung hatte es zwar geben, dass ein bewaffneter Mann durch den Bahnhof laufe. Die erwies sich jedoch als falsch, der vorgebliche Zeuge hatte möglicherweise zu tief ins Glas geschaut. Selbst einer der hochnotpeinlich befragten Passanten sagt nach der Kontrolle durch die Bundespolizisten, das sei doch eigentlich eine ganz spannende Aktion gewesen. Nein, kein Groll deswegen. Oft dienen die vielen Polizisten als Auskunftsstelle für Reisende, denen es pressiert: Wo denn, bitte, das nächste WC sei? Und der Koffer? Der ist ungefährlich und längst verräumt, als der Minister am Bahnsteig 11 eintrifft.





















