Warten auf Vance: Eine Konferenz an der „Vorstufe zum sicherheitspolitischen Super-GAU“ | ABC-Z

Die Sicherheitskonferenz in München sollte helfen, um die Beziehungen zwischen Europa und den verbündeten USA zu stabilisieren. Nun geht es wohl nur um Schadensbegrenzung. Wenn’s gut läuft.
Man wird sich wohl noch zurücksehnen nach der Sicherheitskonferenz im vergangenen Winter, als in München drei Tage lang tiefste Depression herrschte: Die Ukraine im Kampf ohne Munition, die Unterstützer mit leeren Waffendepots. Alle fühlten sich schrecklich, aber herrje, gemessen an der Weltlage im Februar 2025 erscheint tiefe Depression als ein erstrebenswerter Zustand.
Bei der heute beginnenden MSC könnte Depression der blanken Panik weichen. So sehr legen die USA als entscheidender Bündnispartner seit Tagen vor mit Statements und konkretem Handeln, das im Subtext stets eine Botschaft sendet, die ungefähr so klingt: Wir fühlen uns geopolitisch an nichts gebunden, außer an unseren eigenen Vorteil. Schon gar nicht an euch Europäer.
Ob US-Präsident Donald Trump am Telefon mit dem Kriegsverbrecher Wladimir Putin spricht und hinterher die vielen Gemeinsamkeiten lobt, ob sein Verteidigungsminister Pete Hegseth einen möglichen Nato-Beitritt der Ukraine unrealistisch nennt, oder Vizepräsident J.D. Vance im Wallstreet Journal (WSJ) ankündigt, er wolle den verbündeten europäischen Staatslenkern sagen, dass sie Redefreiheit und Demokratie unterdrücken, wenn sie nicht mit populistischen Parteien zusammenarbeiten. Eine Erschütterung löst die andere ab. Der Sicherheitsexperte Frank Sauer sieht Westeuropa seit der zuende gehenden Woche an der „Vorstufe zum sicherheitspolitischen Super-GAU.
Kommen weitere Zölle?
Mit Blick auf Deutschland wird Vance noch konkreter und will deutsche Politiker in München dazu drängen, mit allen Parteien zusammenzuarbeiten, auch mit der in Teilen rechtsextremen und einwanderungsfeindlichen AfD, so gibt das WSJ seine Position wieder. Unions-Kanzlerkandidat Friedrich Merz sah am Donnerstagabend im ZDF bereits voraus, dass die Rede von Vance im Bayerischen Hof „sehr konfrontativ“ werde. Er habe entsprechende Informationen.
Wer bisher dachte, dass es in München zuvorderst um Außenpolitik geht und darum, Gemeinsamkeiten zwischen Nationen zu finden, der muss, wenn er dem wichtigsten US-Vertreter auf der MSC heute Nachmittag zuhört, womöglich feststellen: Die neue US-Regierung sieht das sehr anders. Dann wird man Textarbeit betreiben: Welche Verben setzt Vance am Mikrofon ein? „Vorschlagen“, „anregen“ oder „plädieren“ ist etwas anderes als „drängen“.
Wer drängt, wie es der Artikel im Wallstreet Journal wiedergibt, lässt schon durchschimmern, dass er eine Verweigerung des Gegenübers eigentlich nicht für akzeptabel hält. Dazu passt die Befürchtung, die USA könnten in München weitere Zölle ankündigen. Wissend, welche Schlagkraft ein solches Instrument entfalten kann. Wenn Konzerne beginnen, im großen Stil zu entlassen und Menschen, die ihr Auskommen in Gefahr sehen, der eigenen Regierung auf’s Dach zu steigen.
Was wird Vance mit Blick auf die Nato sagen? Kollege Hegseth hat im Vorfeld des Ukraine-Unterstützer-Treffens in Brüssel schon mal ein paar Pflöcke eingehauen. Eine Friedenstruppe, die ukrainische Grenzen sichert, solle weder unter Nato-Mandat geführt, noch durch Artikel 5 abgesichert werden.
Wie viel Disruption passt in eine Stunde?
Bislang galt im Verteidigungsbündnis der Grundsatz „Einer für alle, alle für einen“. Im Falle des Angriffs gegen ein Nato-Mitglied würden die Verbündeten das wie einen Angriff gegen sich selbst werten. Wer jedoch, wie Hegseth am Mittwoch, freimütig Situationen herauslöst, in denen der zentrale Grundsatz des Bündnisses nicht gelten soll, stellt im nächsten Schritt womöglich noch weitere Grundsätze in Frage. Und im übernächsten den ganzen Verein.
Eine halbe Stunde ist für die Rede von J.D. Vance veranschlagt, von 14:30 Uhr bis 15:00 Uhr. Wie viel Disruption passt in eine halbe Stunde? Genauso ist drin, dass anwesende Entscheider in der einen oder anderen Thematik vorsichtig aufatmen. Mit Blick auf Waffenstillstandsverhandlungen mit Wladimir Putin schlug Vance im Vorfeld der MSC einen deutlich schärferen Ton an als sein Chef in der Bilanz seines Telefonats mit Moskau. Der Vize klang nicht so, als würde man Putin die besetzten Gebiete ohne Gegenleistungen für Kiew überlassen. Was letztlich gelten soll, vermag derzeit noch niemand vorherzusehen.
Nach 15 Uhr aber wissen all die Staats- und Regierungschefs, die sich in den folgenden 48 Stunden hinter das Mikrofon auf der Hauptbühne stellen und in Hinterzimmern im Bayerischen Hof vertrauliche Gespräche führen, wohl zumindest etwas besser, mit wem sie es im Weißen Haus die nächsten vier Jahre zu tun haben werden.
Und von dem Grad an möglichen Schockwellen, die diese Rede auslösen könnte, wird es abhängen, ob die Konferenz überhaupt noch in der Lage sein wird, die vielen Problematiken zu verhandeln, die zurecht auch noch auf der Agenda stehen – die fragile Situation in Nahost, das Zerren um Einfluss in Afrika, Sicherheitsbedrohung durch Klimawandel. Mag die Sicherheitskonferenz 2025 weitgehend davon beherrscht werden, wie die USA ihre Rolle in der Welt neu definieren – keines der anderen drängenden Themen verschwindet dadurch.