Warenexporte für Milliarden: Usbekistans kritische Rohstoffe ziehen nicht nur Scholz an | ABC-Z
Seit dem Tod des Langzeitherrschers Islam Karimov 2016 hat Usbekistan den Weg der Öffnung und Liberalisierung eingeschlagen. Mit Erfolg. Vor allem deutsche Investoren lockt das zentralasiatische Land an. Sogar Bundeskanzler Scholz gerät bei einem Besuch ins Schwärmen.
Usbekistan hat sich in den letzten Jahren den Ruf als aufstrebender Standort erarbeitet. Im September besuchte Bundeskanzler Olaf Scholz mit einer großen Wirtschaftsdelegation das zentralasiatische Land. “Usbekistan ist ein ganz wichtiger Partner, auch für die nächste Zeit”, betonte Scholz bei der Ankunft in Samarkand. Die Stadt habe in Deutschland einen fast magischen Klang: “Man denkt an die historische Seidenstraße, an Handelskarawanen, an blaue Moscheen und goldglitzernde Plätze und Paläste”. Heute sei Samarkand aber auch “eine Boomtown”. “Man spürt die Dynamik, und davon profitieren auch unsere bilateralen Wirtschaftsbeziehungen”, so der Bundeskanzler beim Wirtschaftsforum mit dem usbekischen Präsidenten Shavkat Mirziyoyev, an dem auch der Ost-Ausschuss der Deutschen Wirtschaft teilnahm.
Mit fast 40 Millionen Einwohnern ist Usbekistan das bevölkerungsreichste Land der Region und flächenmäßig ähnlich groß wie Schweden. Seit dem Tod des Langzeitherrschers Islam Karimov 2016 durchläuft das Land einen tiefgreifenden Wandel. Präsident Mirziyoyev setzt auf liberale Reformen, Modernisierung und Öffnung – eine “usbekische Zeitenwende”. Die regionale Zusammenarbeit hat auch an Bedeutung gewonnen. Die Staatschefs der fünf zentralasiatischen Republiken (Usbekistan, Kasachstan, Tadschikistan, Kirgisistan und Turkmenistan) treffen sich regelmäßig als C5. Es gibt auch ein erweitertes C5+1-Format, etwa mit Deutschland oder den USA.
Die Reformen tragen Früchte: Die usbekische Wirtschaft wuchs 2023 um fast sechs Prozent. Die Prognosen sind ähnlich. Wachstumstreiber sind Dienstleistungen, verarbeitendes Gewerbe, Exporte – darunter IKT durch zugezogene russische IT-Fachkräfte seit dem Ukrainekrieg – und steigender privater Konsum. Bei ausländischen Investitionen und Krediten erwartet die deutsche Außenwirtschaftsagentur GTAI 2024 einen Zuwachs von 20 bis 25 Prozent. Usbekistan ist darauf angewiesen: Der Modernisierungsbedarf ist nach Jahren der Isolation unter Karimov enorm. Die Staatsführung wirbt intensiv um Investitionen. Das Tashkent International Investment Forum (TIIF) im Mai mit über 2500 Teilnehmern aus 93 Ländern war ein sichtbares Zeichen für diesen Ehrgeiz.
250 Großunternehmen und Banken sollen privatisiert werden
“Usbekistan hat den Weg einer offenen Volkswirtschaft gewählt”, erklärt Laziz Kudratov, Minister für Investitionen, Industrie und Handel, gegenüber ntv.de. Im Einklang mit der Entwicklungsstrategie “Usbekistan 2030” arbeite die Regierung ständig an der Verbesserung des Geschäftsklimas. Das Investitionsgesetz werde nach WTO-Vorgaben novelliert, die maximale Bodenpachtdauer für Ausländer auf 49 Jahre erhöht. Man habe eine Verwaltungsreform durchgeführt, die Bürokratie gestrafft und das Steuerwesen modernisiert, so Kudratov. Die Mehrwertsteuer liege bei nur 12 Prozent. Der beim Präsidenten angesiedelte Rat ausländischer Investoren (RAI) ermögliche es, Anliegen direkt zu adressieren. Ein weiterer Schwerpunkt ist die Privatisierung: Fast 1000 Immobilien sowie Staatsanteile an 250 Großunternehmen und Banken sollen privatisiert werden, kündigte Präsident Mirziyoyev beim TIIF an.
Das Interesse deutscher Unternehmen an Usbekistan bleibt seit Jahren ungebrochen. Laut Ost-Ausschuss wurden 2023 Waren im Wert von über einer Milliarde Euro nach Usbekistan ausgeführt, vor allem Maschinen und Anlagen, Fahrzeuge und chemische Erzeugnisse. Usbekistan lieferte nach Deutschland Nahrungsmittel, Textilien und Metalle. Laut Firmenvertretern sprechen für den Standort die Marktgröße und das Humankapital. Das Land verfüge über wertvolle Rohstoffe, biete ideale Bedingungen für erneuerbare Energien und bilde junge, motivierte Fachkräfte, erklärt Christian Bruch, stellvertretender Vorsitzende des Ost-Ausschusses. Allerdings mangelt es an konsequenter Anwendung rechtlicher Regelungen. Auch Korruption bleibt präsent: Im Korruptionswahrnehmungsindex 2023 belegt Usbekistan trotz einiger Fortschritte Platz 121 von 180 Ländern.
Usbekistans Vorkommen an kritischen Rohstoffen, darunter Uran, Gold, Kupfer, Wolfram und seltenen Erden wie Lithium, Magnesium, Molybdän, Germanium und Vanadium, gehören zu den größten in Zentralasien. Diese Ressourcen werden bislang im Land kaum industriell genutzt. Für die deutsche Automobil- und Chemieindustrie sowie im Kontext der Energiewende sind sie dagegen essenziell. “Zum Wohl der Volkswirtschaften beider Länder” wolle man diese Möglichkeiten nutzen, betonte Scholz in Samarkand, wo eine Absichtserklärung zu kritischen Rohstoffen unterzeichnet wurde.
EU konkurriert mit USA um Nutzung von Rohstoffen
Präsident Mirziyoyev ermunterte deutsche Investoren, sich an Bergbauprojekten zu beteiligen, um “veredelte Produkte mit hohem Mehrwert” für den Export nach Europa herzustellen. Dabei verwies er auf eine ähnliche Partnerschaft mit der EU im April. Die Vereinbarung reiht sich in die Global-Gateway-Strategie und den EU-Aktionsplan 2020 zu kritischen Rohstoffen ein. Die EU-Kommission bezeichnet sie als “entscheidenden Schritt” zur diversifizierten und nachhaltigen Versorgung für den grünen und digitalen Wandel. Es bleibt abzuwarten, wie der operative Fahrplan und die Usbekistan versprochene technische Hilfe, etwa bei der Kartierung und Klassifizierung der Rohstoffvorkommen, konkret aussehen werden.
Brüssel und Berlin stehen mit ihrem Wunsch nach Diversifizierung der Rohstofflieferanten nicht allein. Die USA betrachten den Zugang zu Mineralien wie Nickel, Kobalt, Palladium und seltenen Erden als eine Frage der wirtschaftlichen und nationalen Sicherheit; für Hightech-Industrien und Verteidigungssysteme sind sie unverzichtbar. Nach dem C5+1-Treffen von Präsident Joe Biden mit zentralasiatischen Staatschefs 2023 in New York wurde der Critical Minerals Dialogue (CMD) initiiert – auch um Chinas Dominanz in diesem Bereich entgegenzuwirken. Mitte September, vor der MINExpo INTERNATIONAL, der weltweit größten Bergbaumesse in Las Vegas, wurde die amerikanisch-usbekische Rohstoffpartnerschaft offiziell besiegelt. Angesichts dieser Entwicklungen sollten deutsche und europäische Unternehmen nicht zu lange warten, in Usbekistans Bergbau einzusteigen, um nicht von amerikanischen Wettbewerbern überholt zu werden.
Das Thema Migration beherrschte ebenfalls die Gespräche. Deutschland leidet nämlich akut unter Fachkräftemangel. Laut Institut der deutschen Wirtschaft (IW) fehlen hierzulande mehr als 530.000 qualifizierte Arbeitskräfte – insbesondere in Gesundheits- und Sozialberufen sowie im Handwerk. Ein Migrations- und Mobilitätsabkommen, das Bundesinnenministerin Nancy Faeser mit Usbekistans Außenminister Bakhtiyor Saidov unterzeichnete, soll diesen Mangel lindern. Es eröffnet jungen Usbeken, die in ihrer Heimat kaum Perspektiven haben, Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt. “Wir ermöglichen die notwendige Zuwanderung von Arbeitskräften mit großen Talenten, die wir in Deutschland brauchen”, erklärte Scholz. Damit würden nun duale Ausbildungsmodelle und Weiterbildungsaufenthalte einfacher. Die Universitätsklinik Freiburg und die deutsch-usbekische Medizingesellschaft Koch-Avicenna (DUMGKA) praktizieren bereits solche Programme für usbekische Ärzte und Pflegekräfte.
EU investiert Milliarden in Transkaspischen Korridor
Das Abkommen beinhaltet auch Regelungen zur illegalen Migration, was für Usbekistan derzeit kaum relevant ist: Von 13.702 usbekischen Staatsbürgern in Deutschland sind lediglich 203 ausreisepflichtig. Wünschenswert aus deutscher Sicht wäre wohl Usbekistans Unterstützung bei der Abschiebung abgelehnter afghanischer Asylsuchender – eine Option, über die im Vorfeld der Kanzlerreise berichtet wurde. Ob dabei Fortschritte erzielt wurden, blieb unklar. Auf der Pressekonferenz erklärte Scholz lediglich, das Abkommen sei “nicht der Vertrag, der eine große Veränderung mit sich bringen wird”. Ansonsten gebe es “vertrauliche Gespräche” über weitere Kooperationen.
Afghanistan ist aufgrund der Beteiligung der Bundeswehr an der ISAF-Mission ein besonderer Fall. Nach dem Truppenabzug 2021 ist die Lage instabil. Ein verstärktes Engagement durch humanitäre Hilfe oder die Freigabe eingefrorener afghanischer Vermögenswerte für soziale Projekte, wofür Usbekistan plädiert, ist moralisch geboten – und sicherheitspolitisch notwendig angesichts im Land aktiver IS-Zellen. Hier könnte Taschkent eine wichtige Rolle spielen, weil es im Gegensatz zu vielen westlichen Staaten die Verbindung zum Taliban-Regime aufrechterhält, um terroristische Bedrohungen abzuwenden. Die Gefahr ist real: Die afghanische IS-Gruppe “Khorasan” (IS-K) verübte im März einen Anschlag auf die Crocus City Hall in Moskau und könnte laut Experten auch größere Anschläge in Europa durchführen. Der vereitelte Anschlag auf den Kölner Dom Ende 2023 ist ein Beispiel dafür.
Deutschland hat in Usbekistan die Chance auf eine strategische Partnerschaft, die über wirtschaftliche Vorteile hinausgehen kann. Die aktuellen globalen Verwerfungen bergen nicht nur Risiken. Sie lassen sich, strategische Weitsicht vorausgesetzt, in geopolitische Einflussmöglichkeiten umkehren. Das gilt zum Beispiel für die regionale Konnektivität. Erschwerte Transportwege durch Russland aufgrund des Ukrainekriegs und EU-Sanktionen machen den Ausbau des Transkaspischen Korridors – einer Route, die Asien über das Kaspische Meer mit Europa verbindet – zu einer attraktiven Alternative. Die EU hat diese Transportroute kürzlich zum Leuchtturmprojekt ihrer Global-Gateway-Strategie erklärt und plant, sie mit 10 Milliarden Euro zu unterstützen. Es bleibt zu hoffen, dass entsprechende Initiativen mit Usbekistan und den zentralasiatischen Partnerländern diesmal zügig umgesetzt werden.