Politik

War nicht alles schlecht, oder?: Kreuzberger Zäune sind uncool, tralala. Kreuzberger Zäune sind uncool, tralala. | ABC-Z

Die Welt verändert sich rasend schnell. Kaum auszuhalten, dieser Transformationsstress überall. Berlin-Kreuzberg hingegen ist herrlich beständig. Keine Macht für niemand. Das gilt noch immer. Auch wenn dafür gerade mal wieder eine Schlacht geschlagen wird.

Berlin kämpft gerade wieder seinen ewigen Kulturkampf, aktuell tobt eine Schlacht rund um den Görlitzer Park. Der gehört für erlebnisorientierte Berlin-Touris zu den Topptipps – noch vorm Berghain, dem Fernsehturm und der Mauer, die es ja praktisch nicht mehr gibt. Im Görli gibt es dafür einfach alles. Alles, was dröhnt und süchtig macht. Seit Jahr und Tag wird hier gedealt, gespritzt, gekifft, gesoffen, geklaut und geraubt. Soweit so Berlin. Als aber die Dinge mehr und mehr aus dem Ruder liefen, hat der frisch ins Amt gewählte CDU-geführte Senat die Spaßbremse gezogen: Der Park kriegt einen Zaun und nachts sperren wir zu. Das klingt nach deutlich mehr Basta als das Kreuzberger Milieu erträgt.

Für die Bezirksbürgermeisterin des Tralala-Bezirks kam diese Ansage wie Kai aus der Kiste. Sie war, ist, wird immer sein, selbstverständlich gegen den Görli-Zaun und die damit verbundene Senats-Willkür. Clara Hermanns Parteizugehörigkeit bedarf keiner Erwähnung; wir reden hier schließlich von Friedrichshain-Kreuzberg. Die Anwohner, Verzeihung, in diesem Umfeld selbstredend: die Anwohnenden fühlen sich von Hermann sehr gut vertreten – oder gar nicht. Über Letztere wird wenig berichtet – oder gar nicht. Sie sind medial unauffällig: gehen arbeiten, betreiben einen Laden, zahlen Steuern, kiffen nur gelegentlich. Langweiler eben.

“Der Görli bleibt auf. Ganz Berlin hasst die CDU”

Die sich gut vertreten fühlen, sind bereit zum Kampf: “Das Einzige, was hilft, ist Widerstand und darin ist Kreuzberg gut”, propagiert die Initiative “Görli zaunfrei”. Grundsätzlich treffen die Aktivist*innen einen Punkt. Ihre Logik ist so schlicht wie ergreifend: In mehreren Instanzen haben Gerichte alle Klagen gegen den Zaunbau abgewiesen. Versagt der Rechtsstaat in solch eklatanter Weise, ist Widerstand erste Bürger*innenpflicht. Schon am Zaunbau-Vorbereitungstag haben Pflichtbewusste am (noch geöffneten) Eingang zum Park ein Protestfrühstück veranstaltet. Es gab Fladenbrot, Karotten mit Humus und selbstgebackenen Kuchen. Das ist jetzt keine satirische Klischeeübertreibung; die taz hat es so berichtet – und die kennt sich dort unbestritten aus.

Was beim Regierenden Bürgermeister wahrscheinlich so nicht ganz zutrifft. Kai Wegner plant, die verheerende Drogenkriminalität im Görli per Zaun einzudämmen. So etwas habe auch im New Yorker Central Park funktioniert. Ja, darunter machen es die Berliner nie. An dieser Stelle muss man den Regierenden allerdings an die alte Weisheit erinnern: Nicht alles, was hinkt, ist ein Vergleich. Nicht nur, weil der Central Park ummauert ist und nicht umzäunt. Geschenkt. Nicht nur wegen der schieren Größe: Der Görli passt 25 Mal rein in den Central Park, weshalb sich der dort legale Grasgeruch erfreulich verteilt. Sondern wegen der paar Hundert Dollar, die allein fürs Müllen fällig werden und wegen der drastischen Strafen für illegalen Drogenhandel, die in New York drohen und, Achtung: auch vollzogen werden. In Berlin unvorstellbar, schreckt aber ab. Soweit der Vergleich zwischen der grünen, frischen Lunge von Manhattan zur grünen, kriminellen Brache von Kreuzberg.

Achtung: verstörende Inhalte, die vielleicht ungewünschte Narrative bedienen

Der Zaun bringt überhaupt nichts, argumentieren die Gegner. Das Drogengeschäft wird nicht gelöst, nur verdrängt. Da haben sie objektiv recht, weil ein Zaun allein keine Kriminalität bekämpfen kann. Dealer, Fixer, Obdachlose und Gestrandete ziehen lediglich in die umliegenden Straßen. Dort gehen die Geduldeten aus West-Afrika ihren Handelsgeschäften weiter tüchtig nach. Mit erweitertem “Portfolio”, wie es die Drogenberatungsstelle genannt hat. Gut sortiert und organisiert. Echte Profis eben. Prima. Unterdessen pinkeln ihre Kunden in die Treppenhäuser, verteilen ihre Spritzen vor den Haustüren, vermüllen die Gehwege, kotzen auf geparkte Lastenfahrräder. Nicht schön.

Die Protestierenden wollen den Protest nicht abreißen lassen. Bis zum Sieg übers System. Statt Millionen für den Zaun soll der Senat Millionen für Drogenkonsumräume und Sozialarbeiter springen lassen. Da findet sich doch sicher eine NGO, die ein Pilotprojekt entwickelt. Und eine zweite fürs Monitoring? Die Bezirksbürgermeisterin kennt da vielleicht geeignete Ansprechpartner*innen? Bis das in trockenen Tüten ist, sieht der Senat den Stinkefinger. Schon bei der ersten Demo haben über 1000 mit Kochtöpfen gegen die “Scheiß-CDU” getrommelt und skandiert: Den Zaun sabotieren, Wegner wird verlieren, Tralala (Tralala ist eine Ergänzung des Autors). Ja, manche fragen sich, ob die noch alle Latten – aber das führt jetzt auch zu nichts. Vielleicht wäre es konsequenter, einen größeren Zaun zu bauen. Einen sehr viel größeren. Komplett drumherum.

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