Stil

Wandern wo Goethe ins Schwärmen kam: Rochuskapelle in Bingen | ABC-Z

Lange – volle 17 Jahre – musste er warten. Erst als die Franzosengefahr gebannt schien, konnte sich Johann Wolfgang von Goethe 1814 seinen sehnlichen Wunsch nach Wiedersehen mit der alten Heimat erfüllen. Über Frankfurt ging es zur Kur gen Wiesbaden und von dort für Besuche, etwa bei den Brentanos, in den Rheingau. Hochgestimmt wandte sich der Musensohn mehreren unvollendeten Werken zu und schenkte der Region mit dem „Sankt-Rochus-Fest zu Bingen“ eine seiner schönsten literarischen Miniaturen.

Goethe ließ es sich nicht nehmen, am 16. August die seit dem Pestgelübde von 1666 bis heute begangene Rochuswallfahrt – nur jetzt acht Tage statt damals einen – nach zwanzigjähriger Unterbrechung zu begleiten. Fast hätte er freilich über geologische Studien den Anmarsch verpasst. „Der Naturforscher wird von dem heiligen Pfade zurückgehalten“, überlieferte er. Ob es allerdings der Quarzit des heute als „Goethestein“ ausgewiesenen Felsens war, darf offenbleiben. Da nur „Bröckchen“ abfielen, konnte sich Goethe endlich der „frommen und frohen Angelegenheit“ der Wallfahrer zuwenden und in ihrer Mitte den beschwerlichen Pfad zum Rochusberg hinaufsteigen.

Viele drängten zur Kirche, dann jedoch kommt mit Ankunft der nach Dörfern geschiedenen Gruppen Ordnung ins Geschehen: „Sie zogen mit Angesang und Antwort; Fahnen flatterten, Standarten schwankten, eine große und größere Kerze erhob sich Zug für Zug.“ Unter freiem Himmel wurde Gottesdienst gefeiert, aber weniger andächtig ging es wohl zwischen Essständen und Andenkenbuden zu; sie fehlen auch heute nicht. „Hauptgegenstand allen Gesprächs“ war, wen wundert’s, die „Weinlust“. Bereits am Vormittag kam Krüglein um Krüglein auf den Tisch, die, wie Goethe anmerkt, den Namen des doch allem „irdisch Gut entsagenden Rochus“ trugen.

Der Rebensaft konnte das „kunstgeübte Auge“ allerdings nicht trüben. Falsch angelegt erschien Goethe die Terrasse des noch unvollendeten Neubaus nach den Verwüstungen 1794. Ob das jetzige, hochaufragende Gotteshaus vor ihm bestanden hätte? Eher an eine Kirche erinnernd, wurde es 1895 im neugotischen Stil anstelle der durch Blitzschlag zerstörten Kapelle errichtet.

Damals wie bis vor wenigen Jahren verdeckte kein wild wachsender Wald die Aussicht einer der „schönsten Örtlichkeiten der Welt“. Was hätte Goethe erst geschrieben, wenn er die späteren Anziehungspunkte gekannt hätte: Niederwalddenkmal und die doppeltürmige Klosterkirche Eibingen auf der rechten Rheinseite, den neugotischen Mäuseturm oder die historistische Burg Klopp inmitten von Bingen?

Nicht zu übersehen ist nun auch ein grünes Band am Ufer – das nachgelassene Erbe der Landesgartenschau 2008. Wo ehemals Industriebrachen vorherrschten, verstand es die Stadt, über den Tag hinaus das Gelände in einen Park umzuwandeln, der gleichermaßen Naturschutz, (Garten-)Kunst, Einkehr und Freizeitaktivitäten dient. Jetzt „Kulturufer“ genannt.

Wegbeschreibung

Infrastrukturell ist das frühere Areal der Landesgartenschau gut angebunden: Von zwei Bahnhöfen hat man direkten Zugang, und im Bereich der Hindenburganlage oder neben der Nahemündung sind zahlreiche Parkplätze ausgewiesen (von Samstagmittag an und sonntags gebührenfrei, ansonsten günstige Tagespauschalen).

Der per Steg über die Bahnsteige erreichbare „Park am Mäuseturm“ ist Kulturpflanzen sowie Lehrreichem zu Flora und Fauna gewidmet. Im vormaligen „Stellwerk“ gibt es ein ergänzendes Infozentrum. Zur Erinnerung an das Rangiergelände blieb es ebenso erhalten wie die „Wagenausbesserungshalle“. Der kleine Abstecher lohnt schon für den Blick zum Mäuseturm. Zurück – die Schleife lässt sich, gleich rechts, auch auslassen – gelangen wir über die Nahe zu ihrem Mündungsbereich.

Damit wenden wir uns rheinaufwärts, entweder am Ufer oder durch die Grünanlagen, unter anderen mit einem Rosarium und dem Hildegarten für Heil- und Nutzpflanzen im Geiste Hildegards von Bingen. Er ergänzt das 1998 zum 900. Geburtstag der Heiligen eröffnete „Museum am Strom“, das sich neben ihrem Wirken der Rheinromantik und römischen Hinterlassenschaften wie einem vollständigen Arztbesteck widmet. Die größten „Exponate“ stehen im Freien – der ans Ufer rückversetzte, zu besichtigende Alte Kran aus dem späten 18. Jahrhundert und ein mächtiger, auf Schienen laufender Industriekran.

Sie gleicht eher einer Kirche, die „Rochuskapelle“ auf dem Rochusberg über Bingen. Nachdem der Vorgängerbau durch Blitzschlag zerstört worden war, wurde die Wallfahrtskirche 1895 größer und in gotischer Formgebung wieder aufgebaut. Bis heute begeht man das von Goethe 1814 beschriebene „Sankt-Rochusfest“ zu Ehren des Heiligen. Er soll 1666 die Pest von der Stadt am Rhein abgewendet haben.Thomas Klein

Statt Lastkähnen legen heute die Autofähre nach Rüdesheim und Fahrgastschiffe an, wie zu sehen, wenn man den Weg am Parkausgang durch die leichte Rechtskurve und dann neben dem Winterhafen fortsetzt; an der Gabelung links. Über sein Ende hinaus halten wir gut 150 Meter die Richtung bei, bevor spitzwinklig rechts die Gleise überbrückt werden. Drüben folgt man links der Mainzer Straße zum Abzweig gen Goethestein – genau besehen sind es mehrere Quarzitfelsen von überschaubarer Größe.

Aus der Linkskurve dahinter zielt man rechts in das unscheinbare Pfädchen für den kräftigen Anstieg auf den Rochusberg. Weiter oben teilt sich der Weg; beide Varianten finden hinauf. Allerdings hatte das feuchtwarme Wetter die Bodenvegetation zu kräftigem Wachstum angeregt. Sie sollte in dieser Woche zurückgeschnitten werden, teilte die Stadt mit. Bequemer ist die Variante über die Zufahrt eines ehemaligen Steinbruchs außen herum. So oder so, man kommt unmittelbar an der Rochuskapelle heraus.

Das seit der rheinland-pfälzischen Landesgartenschau 2008 geöffnete Rheinufer von Bingen lässt die rechte Flussseite nun wie ein Panorama vorüberziehen. Hinter dem berühmten, 1855 neugotisch wiederaufgebauten Mäuseturm erhebt sich die Burgruine Ehrenfels und darüber die „Rossel“ des Landschaftsparks Niederwald.Thomas Klein

Weiter rechts unter Kastanien trifft man auf das Hildegard-Forum der Kreuzschwestern, die neben geistiger Einkehr mit täglich wechselndem Buffet auch der kulinarischen verpflichtet sind. Ihr Kloster liegt vor der nahen Zufahrt. Sie wird überschritten, dann wird weiterhin geradeaus gegangen. Bald umfangen den Wanderer Hainbuchen und Eichen, derart dicht mit Efeu und Waldreben verwoben, dass sie nur selten Blicke ins Rheintal freigeben.

Von erhöhter Warte wie dem 1888 erbauten Kaiser-Friedrich-Turm sieht das besser aus. Er lenkt die Blicke auf das Stromknie am Durchbruch ins Rheinische Schiefergebirge und unterhalb zur sechsbogigen Drususbrücke über die Nahe. Sie stammt aus dem 11. Jahrhundert und gilt als älteste Steinbrücke Deutschlands. Weiter geht es knapp unter Bäumen durch leichte Kurven zur rondellartigen Aussichtskanzel am Scharlachkopf.

Im Rahmen der Landesgartenschau 2008 wurde der lange zuvor abgebaute, aber bewahrte „Alte Kran“ von 1787 an das Rheinufer rückversetzt. Öffentlich zugänglich, ist zu ersehen, wie er per Laufräder angetrieben wurde. Primär kamen Weinfässer an den Haken.Thomas Klein

Ihn verlässt man nach rechts ebenen Weges in den Steilhang, den knorrige Eichen am Abrutschen zu hindern scheinen. Wenn der begleitende Naturlehrpfad nach etwa 500 Metern an einer Bank auf die frühere Übernutzung der Wälder hinweist, biegt man links auf den kastaniengesäumten Treppenabgang; unten rechts der Mauer entgegen.

Die gibt sich als Umwehrung eines wie verwunschen unter dichter Efeu­decke liegenden jüdischen Friedhofs zu erkennen. Bis ins 16. Jahrhundert reichen die gut 1000 erhaltenen Grabsteine. Kurz dahinter biegt man spitzwinklig links ab – und damit zwischen jüdischem und kommunalem Friedhof hinaus in einen Weinberg. Nach 200 Metern heißt es scharf rechts eine Etage tiefer weiter, bis die Rebzeilen nahtlos in die Bebauung übergeben. Vor der Schule links wird durch Morschfeldweg, rechts In der Eisel, Schlossberg- und Mariahilfstraße die ortsbeherrschende Burg Klopp angesteuert (mit Restaurant und besteigbarem Turm).

Unterhalb führt ein kurvenreicher Treppenweg ins verkehrsberuhigte Zen­trum; hier links über den Bürgermeister-Franz-Neff-Platz zur Zehnmorgenstraße, an deren Ende die spätgotische St.-Martins-Basilika steht; davor rechts am Ufer der Nahe zum Ausgangspunkt.

Sehenswert

Goethe machte die ­Rochuskapelle berühmt. Es war aber nicht jene, die heute auf dem Rochusberg steht. Sie entstand 1895 in neugotischer Formgebung vom Netzgewölbe bis zum Kapellenkranz. Die Gotik wurde 1855 auch beim berühmten Mäuseturm im Rhein zitiert, einer früheren Zollstätte, während die Basilika St. Martin ins 15. Jahrhundert reicht.

In der Ortsmitte erwuchs die Burg Klopp als Fantasiebau auf mittelalterlichem Fundament mit zugänglichem Turm (heute Rathaus). Zur Grün- und Kulturmeile wurde das Areal der Landesgartenschau, dort auch das „Museum am Strom“.

Anfahrt

Bingen liegt linksrheinisch nahe der von Mainz kommenden A 60.

Via Mainz (ICE und S 8) gibt es ­alle halbe Stunde eine Verbindung mit Bingen, Hauptbahnhof.

Daten

Länge: 13 (12) km
Höhenmeter: 220
Karte: Oberes Mittelrheintal, Maßstab 1:25.000, Landesamt für Vermessung, Rheinland-Pfalz

Einkehren

Hildegard-Forum auf dem ­Rochusberg, montags Ruhetag, sonst von 11.30 bis 18 Uhr

Restaurant Burg Klopp, montags und dienstags Ruhetag, sonst 12 bis 14:30 Uhr und von 18 Uhr an.

Öffnungszeiten

Museum am Strom, täglich außer montags von 10 bis 17 Uhr; Programm der Wallfahrtswoche vom 18. bis 25. August unter: www.rochusfest.de.
Das traditionelle Winzerfest wird vom 30. August bis zum 9. September in der Innenstadt gefeiert.

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