Wahllose Gewalt: Schweden versinkt im Krieg der Drogenbanden | ABC-Z
Drogenkriminalität, Schießereien und tödliche Angriffe auf Unbeteiligte: Schwedens rechte Regierung trat mit dem Versprechen an, die migrantisch geprägten Bandenkriege im Land zu beenden. Stattdessen ufern sie weiter aus. Einen gefährlichen Haken haben die neu ausgerufenen „Sicherheitszonen“.
Ein ganz in schwarz gekleideter Täter warf am 22. Juli eine Handgranate in ein Geschäft in Geneta, einem Problemviertel der Stadt Södertälje nahe Stockholm. Mehrere Passanten wurden verletzt, eine Frau musste mit dem Hubschrauber ins Krankenhaus gebracht werden.
Nur einen Tag später wurde ein Mann auf einer nahe gelegenen Straße angeschossen und verletzt. Diese neuen Fälle von Bandenkriminalität sind Teil eines gewalttätigen Sommers. Er bringt die schwedische Regierung in Bedrängnis.
Ministerpräsident Ulf Kristersson hatte vor zwei Jahren die Wahl gewonnen, mit dem Versprechen ein Jahrzehnt eskalierender Drogenkriminalität zu beenden. Der Konservative (Moderata samlingspartiet) schmiedete eine Mitte-Rechts-Allianz, in die auch die rechtsnationalen Schwedendemokraten eingebunden sind.
Kristersson sagte in seiner Rede zur Lage der Nation im vergangenen Jahr: „Eine verantwortungslose Einwanderungspolitik und eine gescheiterte Integration haben uns hierhergeführt.“ Ausgrenzung und Parallelgesellschaften böten den Nährboden für kriminelle Banden. „Dort können sie rücksichtslos Kinder anwerben und künftige Mörder ausbilden“, sagte der Regierungschef.
Die Banden entstehen in Schweden vor allem in den Vororten mit hohem Migrantenanteil und gescheiterter Integrationspolitik. Schweden hatte bis 2015 eine der liberalsten Einwanderungsregelungen ganz Europas.
Aber trotz Kristerssons Klartext liest sich die Kriminalitätsstatistik nach wie vor erschreckend in dem Land mit seinen 10,5 Millionen Einwohnern, dessen internationales Image es ist, eine friedliche, erfolgreiche Nation zu sein, mit einer wettbewerbsfähigen Wirtschaft und einem starken Sozialsystem.
Nach der Hälfte der Amtszeit ist klar, dass Kristerssons Regierung noch viel zu tun hat. In diesem Jahr gab es in Schweden bisher schon 148 Schießereien, bei denen 20 Menschen getötet und 26 verletzt wurden. Im Jahr 2023 gab es insgesamt 53 Todesfälle durch Schusswaffen. Im Vorjahr waren es 62.
Schweden ist zum abschreckenden Beispiel geworden
„So kann es nicht weitergehen“, sagt Tony Aoun, ein 17-jähriger Schüler, der in Geneta einkaufen geht. „Hier hatten wir immer eine starke Gemeinschaft, zu der man gehören konnte, aber diese Gewalt muss aufhören.“ Schweden ist zum abschreckenden Beispiel geworden für ein europäisches Land, das die Bedrohung durch international vernetzte Drogenbanden nicht erkannt hat.
Nun versucht es verzweifelt, auf die Eskalation der Gewalt zu reagieren, während sich diese Banden gegenseitig bekriegen, um die Kontrolle über die lukrativen lokalen Drogenmärkte zu erlangen. Das nordische Land hat eine der höchsten Raten an Schusswaffentoten in Europa, und in den letzten Jahren sind zahlreiche schwedische Bandenmitglieder ums Leben gekommen.
Da die Gewalt immer wahlloser wird, werden immer mehr Unbeteiligte durch Querschläger und Bombenanschläge getötet und verletzt. Die Regierung Kristersson verfolgt einen Kurs des harten Durchgreifens, zu der die Verlängerung der Haftstrafen für Schusswaffendelikte und die Herabsetzung des Strafmündigkeitsalters von Kindern gehören.
Die auffälligste politische Initiative aber war die Einführung sogenannter Sicherheitszonen. Ein neues Gesetz, das seit April in Kraft ist, erlaubt es der Polizei, jedes Gebiet, in dem sie Gewalt für unmittelbar bevorstehend hält, als Sicherheitszone auszuweisen. Die Polizei kann dann jeden Bürger innerhalb dieses Areals stoppen und durchsuchen, was sie normalerweise nicht darf, es sei denn, sie verdächtigt ihn eines Verbrechens.
Die erste Sicherheitszone in Schweden wurde nach einem Doppelmord im Juni in der Stadt Norrköping eingerichtet, die zweite Anfang Juli nach einem hinrichtungsähnlichen Mord in einem Treppenhaus in Geneta. Diese Sicherheitszone wurde am 6. Juli zwei Wochen lang um eine Reihe kleiner Geschäfte eingerichtet.
Damals war die Polizei sichtbar präsent, und Schilder wiesen auf den Einsatz von Überwachungsdrohnen hin. Die Polizei teilte außerdem mit, dass Beamte in Zivil in der Sicherheitszone unterwegs seien. Einige Käufer gaben an, dass sie die Polizeikontrollen mit Durchsuchungen und Personenkontrollen als aufdringlich empfanden und befürchteten, dass sie das Verhältnis zwischen den Behörden und der Öffentlichkeit belasten könnten.
Andere sagten, die neue Initiative sei hilfreich und sollten ausgeweitet und weitere repressive Maßnahmen verhängt werden. Sie befürchteten, die Gewalt würde zurückkehren, sobald die Polizei die Zone auflöste. Diese Befürchtungen erwiesen sich als begründet.
Nur zwei Tage nach dem Ende der Sicherheitszone kam es zu dem Granatenangriff auf das Geschäft. Die Polizei vermutete, dass es sich um einen Teil eines größeren Konflikts zwischen lokalen Banden handelte, und zwei Jugendliche wurden im Zusammenhang mit der Explosion festgenommen.
Als am nächsten Tag ein junger Mann in einer nahe gelegenen Straße erschossen wurde, wurden zwei weitere Jugendliche im Zusammenhang mit diesem Angriff festgenommen. Die Bürgermeisterin von Södertälje, Boel Godner, trat in den nationalen Abendnachrichten auf und sprach von der Angst, die ihre Stadt erfasst habe.
„Das ist eine ernste Situation“, sagte sie. „Die Menschen sind verärgert und wütend, wütend darüber, dass ihre Stadt mit diesen Kriminellen in Verbindung gebracht wird.“
Die Wähler werden die Regierung abstrafen
In weiten Teilen Europas ging Gewaltkriminalität in den vergangenen Jahren zurück – nur in Schweden zeigte der Trend durch den Anstieg der Bandenmorde in eine andere Richtung. Politische Beobachter in Schweden sagen, dass die Regierung vor den nächsten Wahlen im Jahr 2026 Fortschritte vorweisen muss, da Umfragen zeigen, dass dies für die Wähler weiterhin ein wichtiges Thema ist.
„Wenn die Verbrechensbekämpfung weiterhin ganz oben auf der politischen Agenda steht, werden die Wähler die Regierung wahrscheinlich dafür abstrafen, da die Verbrechensbekämpfung ein zentraler Punkt des politischen Programms war“, sagt Jonas Hinnfors, Politikwissenschaftler an der Universität Göteborg.
Meinungsumfragen zeigen derzeit, dass die sozialdemokratisch geführte Opposition rund sieben Prozentpunkte vor der Regierung und ihren Verbündeten liegt. Die sozialdemokratische Bürgermeisterin von Södertälje, Godner, sagte, dass keine politische Maßnahme ausreiche, um die Banden zu zerschlagen, die in Städten wie ihrer seit Jahren immer stärker würden.
Sie forderte eine stärkere nationale und internationale Koordination zwischen den Behörden, um die Bandenchefs und ihr Vermögen ins Visier zu nehmen, und zwar nicht nur mit der Polizei, sondern auch mit der Steuerbehörde, dem Zoll und dem Amt für Finanzkriminalität. „Wenn die Kriminalität national oder sogar international ist, muss auch die Antwort entsprechend sein“, sagt sie.
Aoun, der Schüler aus Geneta, stimmt zu, dass Initiativen wie die Sicherheitszone in seinem Viertel Teil eines größeren und nachhaltigeren Ansatzes sein sollten. „Das ist gut, aber nicht gut genug“, sagt er. „Die Kriminellen bringen ihre Sachen einfach in die umliegenden Straßen und kommen wieder, wenn die Polizei weg ist.“
Der Text erschien zunächst in der WELT-Partnerpublikation „Politico“. Übersetzt und bearbeitet von Klaus Geiger.