Wahlarena: Stellen Bürger bessere Fragen als Journalisten? | ABC-Z

Sind Bürger die besseren Journalisten? Diesen Eindruck konnte bekommen, wer in den vergangenen Tagen die TV-Formate zur Bundestagswahl verfolgte.
Da waren auf der einen Seite hochbezahlte Journalisten wie etwa Günther Jauch und Pinar Atalay zu sehen. Die fragten am Sonntag in ihrer begrenzten Sendezeit die Kanzlerkandidaten, ob sie Lust hätten, ins Dschungelcamp zu gehen. Die Klimakrise fiel dagegen aus dem Programm, sie ist für RTL wohl erst dann berichtenswert, wenn man aus ihr eine Dschungelprüfung machen kann. Und dann ging es wieder fast nur ums Abschieben und um Probleme beim Grenzschutz, also letztlich technische Fragen. So war es auch eine Woche zuvor im Öffentlich-Rechtlichen, beim Duell von ARD und ZDF. Humanistische Gegenpositionen oder Fragen, in denen das Asylrecht verteidigt wird, sind nicht erinnerlich.
Anders lief es bei der Wahlarena am Montag (ARD) und vergangene Woche bei Klartext (ZDF). Hier stellten die Bürger die Fragen. So fragte eine Frau Friedrich Merz nach der fehlenden psychosozialen Betreuung von Geflüchteten. Ein Pfarrer wies Alice Weidel darauf hin, dass in den Pflegeheimen ohne Migration nichts mehr ginge. Und eine georgische Pflegerin mit abgelehntem Asylantrag fragte, ob sie das Land verlassen müsse.
Woran liegt es, dass die klassische journalistische Befragung der Kandidaten oft schlechter und für den Zuschauer weniger gewinnbringend war?
Subjekt, Prädikat, Objekt
Es wäre zu billig, nun in Medienschelte zu verfallen. Denn auch das Bürger-fragt-Politiker-Format ist ein journalistisches Produkt. Die Teilnehmer sind nicht zufällig auf der Straße ausgewählt, sondern streng gecastet worden. Zweitens reden auch Kanzlerkandidaten anders, wenn sie auf Bürgerinnen statt auf Journalisten treffen. Dann wirft selbst der Bundeskanzler den inneren Sprechzettel mit den technokratischen Passivformulierungen weg und bildet aktive Sätze aus Subjekt, Prädikat und Objekt.
Drittens ist die unterdurchschnittliche Performance der Journalisten auch damit zu erklären, unter was für einem irren Druck sie stehen. Sie sollen in den mit Erwartungen überfrachteten Wahlsendungen Volkes Stimme repräsentieren, statt ihre Fragen nach unabhängigen, journalistischen Kriterien zu stellen. Das führt dazu, dass Jauch seine erste Frage damit einleitete, dass man in Gesprächen an „der Migration“ ja gerade nicht vorbeikomme. Wirklich nicht?
Anders als von der AfD und in Springers Ulfenbeinturm gern behauptet wird, leidet der Journalismus nicht darunter, dass seine Vertreter zu linksgrün seien. Im Gegenteil: Weil der Druck von rechts auf Medienvertreter stetig zunimmt, muss man sich für linke oder migrationsfreundliche Fragen und Positionen nicht nur in den Öffentlich-Rechtlichen rechtfertigen. Deshalb kommen diese in diesem Wahlkampf nur noch über Bande, von den Bürgern. Wenn eine Bürgerin, die selbst 45 Jahre als Pflegerin gearbeitet hat, den Kanzler fragt, warum ihre Rente so niedrig ist, wird das als erfrischend wahrgenommen. Weist ein Journalist auf die Vermögensverteilung hin, setzt er sich dem Verdacht aus, eine linke Agenda zu vertreten. Zugegeben: Diese Gefahr wäre bei Günther Jauch eher klein.
Bei aller berechtigten Kritik zum Schluss noch eine Liebeserklärung: Es wird im Wahlkampf ja gern über den Wahlkampf geflucht. Dabei gibt es nichts Schöneres als Politik zur besten Sendezeit. Und ein Besuch in der Wahlarena mit Fragen von Bürgern sollte für Spitzenpolitiker auch nach den Wahlen vierteljährlich verpflichtend sein. Wer das nicht sehen will, kann ja „Wer wird Millionär?“ gucken.