Geopolitik

Wahl in Hamburg: Schwarz-rote Gedankenspiele und die frühen Freudentränen einer Grünen-Chefin | ABC-Z

Bei der Bürgerschaftswahl in Hamburg wird die SPD mit Abstand stärkste Partei. Das freut nicht nur den Bundesvorsitzenden der Sozialdemokraten, sondern auch die CDU-Spitze. Bei den Grünen fließen die Tränen und die AfD ist auch mit wenig zufrieden.

Die Sozialdemokraten, das wird der nach der Bundestagswahl deutlich angeschlagenen Partei guttun, sind die Sieger der Hamburg-Wahl. Zwar hat die SPD auch an der Elbe Verluste erlitten, aber die hielten sich in Grenzen. Um die 34 Prozent sind mehr als ein Hoffnungsschimmer. Das Ergebnis belegt, dass die Partei aus der Regierung heraus Wahlen gewinnen kann. Und es zeigt, was für eine solche Bestätigung vor allem nötig ist: ein beliebter Spitzenkandidat, der gar kein Lautsprecher sein muss, und dazu ein einigermaßen geräuscharmer Regierungsapparat. Koalitionspartner, die miteinander etwas erreichen wollen und nicht ausschließlich auf den jeweils eigenen Erfolg schielen.

Die schlechte Nachricht für die Bundes-SPD ist: Das positive Wahlergebnis von Hamburg beruht auch auf maximaler Abgrenzung der Landespartei gegenüber dem Willy-Brandt-Haus. Auf aktive Berliner Spitzenpolitiker haben Hamburgs Sozialdemokraten in ihrer Kampagne offensiv verzichtet. Bei der Abschlusskundgebung in einem Reeperbahn-Club trat neben Peter Tschentscher einzig Malu Dreyer auf, die frühere rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin. Die Bundespolitik, spielte bei dieser Veranstaltung, trotz der brisanten aktuellen Lage, überhaupt keine Rolle.

Stattdessen lobte das Tandem Tschentscher/Dreyer die Stadt Hamburg, die Hamburger SPD und sich selbst über den roten Klee. Hamburg only – so lautete das Erfolgsrezept dieses Wahlkampfes. Olaf Scholz, immerhin noch Bundeskanzler und Tschentschers Vorgänger und Wegbereiter in Hamburg, wurde nicht einmal erwähnt. Das gilt auch für die Herren Pistorius und Klingbeil, also jene beiden Sozialdemokraten, die ihre Partei jetzt ins Kabinett von Friedrich Merz führen sollen.

Lars Klingbeil, Partei- und Fraktionsvorsitzender im Bund, war trotzdem glücklich am Ende dieses kurzen Wahlabends. „Natürlich tut ein solcher Abend gut“, sagte der SPD-Chef erleichtert. Er kann jetzt ein bisschen selbstbewusster in die für diesen Montag angesetzte zweite Runde der Sondierungsgespräche mit der Union gehen. Und erklärte Hamburgs rot-grünen Senat schon mal zum Vorbild für eine mögliche schwarz-rote Koalition im Bund: „Die Menschen erwarten, dass die Politik handelt, dass die Politik Dinge vorantreibt, dass die großen Fragen unseres Landes geklärt werden – und das am besten in einem Stil, wo man sich nicht jeden Tag auf offener Bühne kritisiert, wo man sich nicht streitet, sondern wo man gemeinsam die Dinge einfach voranbringt. Und da kann man von Hamburg einiges lernen.“

CDU: Bloß nicht den Wahlsieger vertauschen

Anders als die SPD würde die CDU gerne Berlin zum Vorbild für Hamburg erklären. Nicht Rot-Grün sei nach diesem Wahlergebnis an der Elbe gefragt, hieß es auf Seiten der Christdemokraten, sondern Rot-Schwarz. „Wir stehen für eine Senatsbeteiligung bereit“, warb der Vorsitzende der CDU-Landesgruppe im Bundestag Christoph Ploß schon kurz nach Schließung der Wahllokale. Die CDU steht wie keine andere Partei für mehr Investitionen in die Infrastruktur, Wissenschaft und Forschung, eine Gleichberechtigung aller Verkehrsteilnehmer und weniger Bürokratie.

Auch der Hamburger Unions-Spitzenkandidat, Dennis Thering, leitete aus den deutlichen Zugewinnen seiner Partei und das Vorrücken auf Platz zwei in der Wählergunst einen Wechselwillen der Hamburger ab. Bei Wahlsieger Peter Tschentscher konnte er damit allerdings zunächst nicht landen. „Meine erste Priorität ist es, Rot-Grün fortzuführen. Ich bin zuversichtlich, dass das gelingt“, so der klare Wahlsieger im ZDF. Man werde allerdings auch mit den Christdemokraten sondieren, ergänzte Tschentscher später in der ARD und verwies auf „neue Themen“ die man jetzt besprechen müsste. Ausgeschlossen ist ein Wechsel des Koalitionspartners für Tschentscher also nicht.

Argumente dafür könnte man finden. Angesichts der schwierigen politischen Lage im Bund würde jede Landesregierung, die den gleichen Farben angehört wie eine mögliche künftige Bundesregierung, die Arbeit des Berliner Kabinetts und die Zusammenarbeit zwischen Bundestag und Bundesrat erleichtern. Carsten Linnemann, der CDU-Generalsekretär, warb entsprechend für einen „Politikwechsel“ auch in Hamburg. Noch wichtiger war ihm allerdings, die SPD als potenziellen Regierungspartner im Bund nicht zu verärgern.

Bloß nicht drängeln, bloß keine weitere Verstimmung im Verhältnis zu den Sozialdemokraten riskieren. „Wir wollen jetzt nicht den Wahlsieger hier vertauschen“, korrigierte Linnemann eine etwas missverständliche Frage der ARD-Moderatorin, „herzlichen Glückwunsch an Peter Tschentscher und die SPD. Die SPD hat die Wahl gewonnen!“ Das klang nicht nur so, als sei Linnemann ganz froh darüber, dass die vom Bundestagswahlergebnis gebeutelte SPD in Hamburg nicht noch einen Nackenschlag bekommen hatte. Ein solcher hätte die Sondierungsgespräche in Berlin mit Sicherheit noch zusätzlich erschwert.

Grüne: Fegebanks Freudentränen

Anders als der Koalitionspartner SPD haben die Hamburger Grünen ihre Berliner Führungskräfte im Hamburger Wahlkampf bis zuletzt nicht versteckt. Im Gegenteil. Noch am Freitag versuchten Noch-Außenministerin Annalena Baerbock und Ex-Parteichefin Ricarda Lang die Hamburger Spitzenkandidatin Katharina Fegebank zu unterstützen. Eine Abschlusskundgebung, bei der deutlich zu spüren war, wie verunsichert die Partei nach der Wahlschlappe im Bund selbst in ihrer Hochburg Hamburg ist. Fegebank jedenfalls hatte spürbar Angst davor, dass ihre Partei auch in der Hansestadt abstürzen und aus dem Senat katapultiert werden könnte.

Insofern sind die Freudentränen verständlich, mit denen die Zweite Bürgermeisterin das zwar deutlich verschlechterte, aber zum Wieder-Mitregieren immer noch ausreichende Wahlergebnis ihrer Partei quittierte. „Es war so brutal, gerade in den letzten zwei Wochen“, so die Grünen-Politikerin bei der Wahlparty ihrer Partei. Sie sieht wie auch die Bundesvorsitzende der Grünen, Franziska Brantner, im Wahlergebnis einen „klaren Regierungsauftrag für Rot-Grün“. Davor allerdings, so viel steht fest, dürften die Sozialdemokraten Fegebank und Co einige „Kröten“ servieren. Schon vor dem Wahlabend hatte Peter Tschentscher durchblicken lassen, dass er den Grünen bei einer neuerlichen Senatsbildung statt vier nur noch drei Ressorts anbieten werde.

Die Grünen, daran kann auch das am Ende noch einigermaßen ordentliche Wahlergebnis von Hamburg nichts ändern, stehen vor ausgesprochenen unbequemen Zeiten.

Die Linke: Genosse Trend lebt auch in Hamburg

Am Hamburger Wahlergebnis lässt sich vielleicht noch deutlicher als aus den Bundeszahlen ablesen, wie stark der Erfolgsfaktor „Trend“ in der Politik ist – und wie wenig es um Sacharbeit gehen kann. Bis zum Januar musste die Partei – obwohl sie in der Bürgerschaft in der vergangenen Legislaturperiode eine ordentliche, sachorientierte Rolle gespielt hat – um ihre parlamentarische Existenz auch in Hamburg bangen. Dann kam Ende Januar die Debatte um die Migrationspolitik, die Brandmauer, dazu ein Video der Oldenburger Bundestagsabgeordneten Heidi Reichinnek – und schwupps, sprangen auch die Zahlen der Linkspartei in Hamburg in den zweistelligen Bereich.

Das Wahlergebnis vom Sonntag bestätigte diesen Trend – und machte natürlich auch den aus Hamburg stammenden Linkspartei-Chef Jan van Aken glücklich. „Alles hat geklappt“, jubelte van Aken und fragte fast schon ungläubig: „Wer hat denn irgendwann vor drei Monaten überhaupt noch an die Linke geglaubt?“. Niemand, hätte er sich in diesem Moment selbst antworten können, lobte aber stattdessen „die klare Ansprache der Linken und das Zuhören“ insbesondere in der Mietenpolitik. Im Hochgefühl des nächsten Wahlerfolgs diktierte van Aken einer nach Finanzierungsmöglichkeiten suchenden neuen Bundesregierung unter Friedrich Merz an diesem Hamburg-Wahlabend schon mal die Bedingungen für ein Mitwirken der Linken diktierte: „Schuldenbremse weg oder gar nix!“

AfD: Aus schwierigen Verhältnissen

Nach dem Wahlerfolg bei der Bundestagswahl hatte die Hamburger AfD ebenfalls auf einen Sprung in die Zweistelligkeit gehofft – was ausweislich der Hochrechnungen dieses Wahlabends nicht gelungen ist. Für Tino Chrupalla war es trotzdem ein gutes Ergebnis. „Ich bin zufrieden, dass wir zugelegt haben unter diesen schwierigen Verhältnissen.“ Die AfD habe es in der Hansestadt nicht leicht, so der AfD-Vorsitzende und frisch wiedergewählte Co-Fraktionsvorsitzende im Bundestag. Seine Partei werde eher in ländlichen Regionen gewählt. Richtig ist allerdings auch, dass die Hamburger schon mal ganz anders abgestimmt haben.

Hier wurde im Jahr 2001 die „Schill-Partei“ des Amtsrichters Ronald Schill mit damals sensationellen 19,4 Prozent aus dem Stand in die Bürgerschaft gewählt. Die rechte Neugründung stieg umgehend zur Regierungspartei auf – und scheiterte innerhalb weniger Jahre vollständig. Dirk Nockemann war in dieser Ära zunächst Büroleiter bei Schill, später auch dessen Nachfolger als Innensenator. Er ist inzwischen AfD-Landesvorsitzender in Hamburg und war Spitzenkandidat seiner Partei bei dieser Bürgerschaftswahl.

Schaltfläche "Zurück zum Anfang"