“Wahl” im Iran: Die Welt muss zuhören, wenn die Iraner schreien | ABC-Z
“Wahl” im Iran
Die Welt muss zuhören, wenn die Iraner schreien
27.06.2024, 14:28 Uhr
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Der Westen darf die Menschenrechtsverletzungen im Iran nicht aus den Augen verlieren, fordert der CDU-Politiker Martin Patzelt in einem Gastbeitrag für ntv.de. Die Revolutionsgarden müssten auf die Liste der Terrororganisationen gesetzt werden.
Am 28. Juni wird das iranische Regime einen neuen Präsidenten “wählen”. Diese unerwartete Handlung wurde nach dem Tod des iranischen Präsidenten Ebrahim Raisi, “des Schlächters von Teheran”, notwendig.
Gewiss wird es keine freie Wahl sein und wahrscheinlich werden die meisten Iraner der Aktion fernbleiben. Doch erweist die Sache sich als Gelegenheit, auf die Hinrichtungsserie im Iran zu blicken, die sich fortwährend verlängert, ohne dass die Welt besonders darauf achtet.
Laut Amnesty International ist die Zahl der Hinrichtungen in der Welt im Jahr 2023 auf ihren höchsten Wert seit 2015 gestiegen, und das lag vor allem am starken Anstieg der Todesstrafen im Iran mit 853 Hinrichtungen. Die Islamische Republik wies damit die höchste Hinrichtungsrate im Verhältnis zur Einwohnerzahl auf. Das war zu erwarten, denn am Anfang seiner Karriere saß Raisi als einer von vier Richtern in der “Todeskommission” Teherans, die das Massaker an politischen Gefangenen im Jahr 1988 im Wesentlichen geleitet hatte.
Die “Wahl” von Raisi im Jahr 2021 wurde wesentlich durch die persönliche Billigung des obersten iranischen Machthabers Ajatollah Ali Chamenei garantiert. Sein Tod war ein schwerer Schlag für Chamenei, der ihn über die Jahre zur Hauptkraft bei der Verfolgung seiner finsteren Ziele gemacht hatte. Doch egal, wer diese Rolle nun übernehmen wird, die unvermeidliche Folge der Besetzung wird es sein, dass die jetzige Hinrichtungswelle unvermindert weiter rollen wird.
Die Welt erinnert sich an den Aufstand von 2022 bis 2023 im Iran. Dass das Volk die theokratische Diktatur wie jede andere Form der Despotie ablehnt, wurde wieder in diesem Jahr deutlich, als die Menschen zum größten Teil die Parlamentswahlen im Lande boykottierten – und das, nachdem Chamenei und andere wiederholt um höhere Wahlbeteiligung geworben hatten. Der nächste Boykott wird für den 28. Juni erwartet.
Am 29. Juni, einen Tag nach der Wahl von Raisis Nachfolger, wird die Hauptopposition – der Nationale Widerstandsrat Iran – eine große Versammlung in Berlin abhalten, um die Welt auf die grassierenden Menschenrechtsverletzungen im Iran aufmerksam zu machen.
Der Westen darf diese Menschenrechtsverletzungen nicht aus den Augen verlieren. Die internationale Gemeinschaft muss hier eine Rolle übernehmen und den Iranern bei der Erringung von Freiheit und Demokratie helfen. Diese Bemühung fängt mit der Bestätigung, dass die Iraner das Recht haben, gegen die Tyrannei zu kämpfen, an und endet damit, dass sie die Revolutionsgarden (IRGC), die für Hinrichtungen im Lande und Terrorismus im Ausland hauptverantwortlich ist, auf die Liste der Terrororganisationen setzen.
Das Wichtigste, das zurzeit jeder tun kann, ist dies: klarstellen, dass die Welt zuhört, wenn Iraner um Hilfe schreien.
Der Autor: Martin Patzelt, Oberbürgermeister a.D. der Stadt Frankfurt (Oder), war von 2013 bis 2021 Mitglied im Menschenrechtsausschuss des Deutschen Bundestags und dort unter anderem Berichterstatter für den Iran.