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Wahl des Ministerpräsidenten: Sachsen ist das neue Thüringen – Kretschmer zittert | ABC-Z

Die Landtagswahl in Sachsen gewannen Ministerpräsident Kretschmer und die CDU knapp vor der AfD. Damit war das wichtigste Ziel erreicht. Doch seitdem hakt es. Eine Koalition gibt es zwar mittlerweile, aber trotzdem stehen Neuwahlen im Raum. Was ist da los?

Wer gerade in Sachsen Politik macht, braucht gute Nerven – allen voran Ministerpräsident Michael Kretschmer. Kommenden Mittwoch möchte sich der CDU-Politiker zum dritten Mal zum Ministerpräsidenten wählen lassen. Doch anders als 2017 und 2019 hat er die notwendige Mehrheit dafür gar nicht. Der Gang in den Plenarsaal dürfte sich anfühlen wie erste Schritte auf einem zugefrorenem See – man weiß nicht, ob das Eis trägt.

Auf dem Papier ist alles ganz einfach. Kretschmer braucht 61 der 120 Stimmen, um im ersten Wahlgang die absolute Mehrheit zu erreichen. Schafft er das, ist er gewählt. Er hat aber nur 51. Den Großteil davon, 41, steuert die selbst bei. Weitere 10 trägt die SPD bei, mit der er vergangene Woche einen Koalitionsvertrag unterschrieb. Es fehlen ihm also zehn Stimmen. Ursprünglich sollten die vom Bündnis Sahra Wagenknecht kommen. Doch die Koalitionsverhandlungen mit dem BSW scheiterten. Kretschmer blieb nichts anderes übrig als das, was er eigentlich vermeiden wollte: eine Minderheitsregierung – mit der SPD. Koalitionen mit AfD, Linken und Grünen hatte er ausgeschlossen.

Das Eis ist aber nicht nur für Kretschmer dünn. Sondern für alle Parteien diesseits der AfD. Die Zeit läuft: Gelingt es nicht, bis zum 3. Februar einen Ministerpräsidenten zu wählen, muss neu gewählt werden. So sieht es die Verfassung vor – vier Monate nach der Landtagswahl muss ein neuer Regierungschef im Amt sein. Neuwahlen aber könnten dann zur kalten Dusche für die CDU und alle anderen Parteien außer der AfD werden. Denn der gesichert rechtsextreme Landesverband könnte ganz einfach sagen: Seht her, die Parteien sind gescheitert, wählt uns.

BSW war die einzige Option

Jetzt blüht der sächsischen CDU das, was ihr seit 1990 stets erspart blieb: eine Zitterpartie. Seit 1990 hat sie immer regiert, immer mit einer Mehrheit. Zuletzt in einer Kenia-Koalition mit SPD und Grünen. Doch im Wahlkampf zeigte Kretschmer konsequent mit dem Finger auf die Ökopartei und versprach: Mit denen mache ich es nicht nochmal.

Er hoffte wohl darauf, gemäßigte AfD-Wähler anzulocken. Denn die verabscheuen die Grünen regelrecht. Aber ebenso hoffte er auf Stimmen von Grünen-Sympathisanten. Nach der Logik vom kleineren Übel: lieber eine starke CDU als ein Wahlsieg der AfD. Im ntv.de-Interview hatte Kretschmer diese Gruppe direkt angesprochen. Die Rechnung ging nur so halb auf. Die CDU wurde zwar stärkste Kraft, aber eben nur knapp. Und er hatte so viele Koalitionen ausgeschlossen, dass er nun allein mit der SPD dasteht. Wobei, für Schwarz-Rot-Grün hätte es ohnehin nicht noch einmal gereicht.

Da blieb nur das BSW als Partner übrig. Doch die Wagenknecht-Partei zierte sich in den Sondierungen. Da war das Hickhack um die Friedenspräambel. Dann stimmten BSW-Abgeordnete gemeinsam mit der AfD für einen Corona-Untersuchungsausschuss. Schließlich brach BSW-Landeschefin Zimmermann die Verhandlungen ab. Und natürlich fragten sich alle, ob das nicht auf Befehl von Wagenknecht selbst geschah. Was Zimmermann aber zurückweist.

Und jetzt? Grundkenntnisse in Mathe reichen, um die Lage zu überblicken. Das BSW hat 15 Abgeordnete. Das würde also reichen, um Kretschmer über die Hürde von 61 Stimmen zu hieven. Aber werden die Wagenknecht-Jünger das tun? Immerhin: Ausgeschlossen haben sie es nicht. Aber wie Sachsens BSW-Vorsitzende Sabine Zimmermann es sagte: “Unsere Stimmen gibt es nicht umsonst”. Ihre Bedingung: Keine “Kürzungsorgien” in den Bereichen Soziales und Kultur.

Im zweiten Wahlgang wird es richtig spannend

Das müsste sich dann im neuen Haushalt wiederfinden. Nur, beschlossen wird der erst im nächsten Jahr. Wählt das BSW Kretschmer zum Ministerpräsidenten, wäre das ein Vertrauensvorschuss. Ist die Wagenknecht-Partei bereit dazu? Wie gesagt, das Eis ist dünn. Die Grünen werden Kretschmer jedenfalls nicht über die Ziellinie tragen. Das haben sie am Wochenende angekündigt.

Sollte kein Kandidat im ersten Wahlgang die absolute Mehrheit bekommen, gibt es einen zweiten Wahlgang. Dann wird es richtig spannend. Dann reicht die einfache Mehrheit der Stimmen zur Wahl. Auf den ersten Blick hat Kretschmer die besten Aussichten. Seine 51 Stimmen toppt niemand. Aber was ist, wenn verirrte BSW-Abgeordnete für den möglichen AfD-Kandidaten, Fraktionschef Jörg Urban, stimmen? Der schließt eine Kandidatur nicht aus. Wirkt weit hergeholt, klar. Aber ist es das wirklich? Die Unsicherheit ist groß.

Auch so etwas wie das Kemmerich-Szenario ist denkbar. Vor fünf Jahren wählte im benachbarten Thüringen die AfD den FDP-Kandidaten Thomas Kemmerich mit zum Ministerpräsidenten. Wenn der Begriff “politisches Erdbeben” einmal passte, dann damals. Möglich ist so etwas auch jetzt in Dresden. Jetzt stellt sich der einzige Abgeordnete der Freien Wähler, Matthias Berger, zur Wahl stellt. Was, wenn BSW und AfD ihn wählen? Dann wäre Kretschmer der Gelackmeierte. Ausgeschlossen ist da nichts.

Nach der Wahl geht es erst richtig los

Selbst wenn Kretschmer das alles übersteht, geht es danach erst richtig los. Dann beginnt seine Minderheitsregierung ja erst. Dann wird er für jedes Projekt Hilfe von einer Oppositionspartei brauchen. Dann muss er, der konservative Christdemokrat, BSW, Linke und Grüne bei Laune und zugleich die AfD in Schach halten. Politische Gelenkigkeit wäre da von Vorteil. Wenn es ihn nicht zerreißen soll.

Im Wahlkampf fand er solche Aussichten nicht besonders attraktiv. Bei ntv.de verwies er auf Thüringen, das gerade viereinhalb Jahre Minderheitsregierung hinter sich hat. “Das hat in unserem Nachbarland dazu geführt, dass die vergangenen fünf Jahre verlorene Jahre waren.” Unter seiner Führung soll das jetzt natürlich anders werden. Und doch ist Sachsen jetzt das neue Thüringen.

“Neu nachdenken, anders regieren”, so wolle er auf die Lage reagieren, sagte Kretschmer Ende November der “Süddeutschen Zeitung”. Er verglich die Situation mit der Kommunalpolitik, da sei es auch oft so. “Bei jedem konkreten politischen Projekt beginnt die Suche nach einer Mehrheit aufs Neue. Das verlangt viel mehr Abstimmung und Kommunikation. Es kann aber auch eine sehr bereichernde Erfahrung sein, weil man viel mehr Gedanken einbeziehen muss als sonst.” Klingt fast wie ein spannendes Abenteuer. Abenteuerlich ist die Lage ja ohnehin.

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