Geopolitik

Wahl des Bundesverfassungsgerichts: Ein Verfassungsrichter von linken Gnaden | ABC-Z

Der Unvereinbarkeitsbeschluss zur Linken? Gilt für die Union weiterhin, das betonte Bundeskanzler Friedrich Merz gerade nochmals im ZEIT-Interview. Und der neue CSU-Landesgruppenchef Alexander Hoffmann hat seine Ablehnung kürzlich sogar noch deutlicher formuliert – mit der Linkspartei sei “kein Staat zu machen”: “Die Linke ist antibürgerlich, antikapitalistisch und antisemitisch.”  

Auch deshalb ist es führenden Unionspolitikern reichlich unangenehm, dass ausgerechnet die Linke Merz nach der gescheiterten Kanzlerwahl aushalf und mit ihren Stimmen einen zweiten Wahlgang noch am selben Tag ermöglichte. Es habe sich lediglich um eine Kooperation in Verfahrensfragen gehandelt, heißt es nun unisono, man könne nicht von inhaltlicher Zusammenarbeit sprechen. 

Die Frage ist allerdings, wie lange die Union diese Linie durchhalten kann. Linke und AfD zusammen haben im neuen Bundestag eine sogenannte Sperrminorität, das heißt, ohne Stimmen aus einer der beiden Fraktionen kommt keine Zweidrittelmehrheit zustande. Karin Prien, stellvertretende CDU-Vorsitzende und neue Bundesbildungsministerin, richtete daher unlängst einen vorsichtigen Appell an ihre Partei: Wenn es um die Stabilität demokratischer Institutionen gehe, müsse sich die CDU von jedem Dogmatismus befreien, sagte Prien, die Linke sei nicht so gefährlich wie die AfD. Doch sie stieß parteiintern auf lauten Widerstand – noch. 

Denn natürlich wissen auch ihre männlichen Kollegen: Die Gretchenfrage “Wie hältst du’s mit der Linken?” wird sich schneller wieder stellen, als ihnen lieb ist. Zum Beispiel bei der bald anstehenden Wahl neuer Richter für das Bundesverfassungsgericht, dem höchsten deutschen Gericht.

Schon im alten Bundestag gab es keine Lösung

3 von 16 Richterposten in Karlsruhe müssen neu besetzt werden, und dafür braucht es zum Leidwesen der Union jeweils – genau: eine Zweidrittelmehrheit im Bundestag. Für zwei dieser Posten hat die SPD das Vorschlagsrecht, diese Posten werden im Juni und voraussichtlich im September frei. Für die aktuell drängendste Personalie aber zeichnet die Union verantwortlich: Verfassungsrichter Josef Christ hat eigentlich schon im vergangenen November die Altersgrenze erreicht. Er arbeitet weiter, weil sich schon der alte Bundestag nicht auf die Nachbesetzung seiner Stelle einigen konnte. Die CDU hatte den konservativen Richter am Bundesverwaltungsgericht, Robert Seegmüller, als Christs Nachfolger vorgeschlagen, doch die Grünen wollten diese Personalie nicht mittragen.

Seit der Bundestagswahl aber ist es noch komplizierter: Die Union müsste für eine Zweidrittelmehrheit für ihren Kandidaten nicht nur auf die Grünen, sondern auch auf die Linken zugehen – wenn sie nicht auf Stimmen der AfD angewiesen sein will. Ein Unionskandidat für das höchste Gericht, der auch den Segen der Linkspartei bekommt: Wäre das auch eine “Formalie” oder doch schon ziemlich nah an der tatsächlichen Zusammenarbeit? Immerhin müsste die Union dazu sicherlich Vorgespräche mit den Linken führen. Und sucht deshalb mit wachsender Verzweiflung nach Auswegen. 

Bloß nicht so enden wie der Supreme Court

Warum müssen Bundesverfassungsrichter überhaupt mit Zweidrittelmehrheit gewählt werden? Das Prinzip ist in Paragraf 6 Bundesverfassungsgerichtsgesetz verankert und ergibt durchaus Sinn: Schließlich sollten Verfassungsrichter nicht nur von einem bestimmten politischen Lager ins Amt gebracht werden, sondern möglichst parteiübergreifendes Vertrauen genießen. Was passiert, wenn das höchste Gericht als parteiisch und politisch instrumentalisiert wahrgenommen wird, kann man schon seit Längerem beim Supreme Court in den USA beobachten.  

Vorwürfe, das Bundesverfassungsgericht entscheide “politisch”, hat es auch in Deutschland immer wieder gegeben, doch wurden sie nie so laut wie in den USA. Traditionell genießt das Bundesverfassungsgericht in Deutschland großes Vertrauen in der Bevölkerung – gerade weil es als unabhängige Instanz wahrgenommen wird. Auch deshalb halten viele Experten das Prinzip der Zweidrittelmehrheit
bei der Wahl der vorgeschlagenen Kandidaten für wichtig, um deren Unabhängigkeit auch in persönlicher Hinsicht sicherzustellen. Mit Erfolg: In der Vergangenheit haben
Bundesverfassungsrichter immer wieder Urteile gefällt, die in der ihr
nahestehenden Partei sehr umstritten waren.

Um die Bedeutung der Zweidrittelmehrheit bei der Richterwahl ging es schon einmal im vergangenen Jahr, als die Ampel-Regierung gemeinsam mit der Union das Bundesverfassungsgericht resilienter gegen Demokratiefeinde machen wollte. Damals wurden etwa der Aufbau der beiden Senate, die Zahl der Richter und die rechtliche Bindungswirkung der Verfassungsgerichtsentscheidungen ins Grundgesetz geschrieben. All diese Punkte können künftig nur mit einer Zweidrittelmehrheit in Bundestag und Bundesrat wieder geändert werden. Das Prinzip der Zweidrittelmehrheit bei der Richterwahl blieb aber nach den Verhandlungen zwischen Ampel und Union im Bundesverfassungsgerichtsgesetz verankert, einem sogenannten “einfachen Gesetz”. Theoretisch ist es also möglich, dass die Regierung das nötige Quorum für die Richterwahl nochmal mit ihrer einfachen Mehrheit ändert.

Doch wie läuft das Prozedere bei der Richterwahl jetzt konkret ab, und wie will die Union die Linke außen vor lassen? Neue Verfassungsrichter werden abwechselnd vom Bundesrat oder dem Bundestag gewählt. Die drei bald vakanten Stellen gehören zu denen, die vom Bundestag gewählt werden. Dazu bildet das Parlament einen Wahlausschuss mit 12 Abgeordneten – dort stellen sich Kandidaten für das höchste Richteramt vor, und sie müssen in diesem Ausschuss mit Zweidrittelmehrheit gewählt werden. Der neue Wahlausschuss wird sich am Mittwoch konstituieren. Zumeist schicken die Fraktionen ihre profiliertesten Juristen in den Ausschuss. 

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