Wagenknechts Generalsekretär: „BSW wird kein Mehrheitsbeschaffer für Anti-AfD-Regierung sein“ | ABC-Z

Das BSW ist im Umbruch, und der könnte auch die Vorsitzende Sahra Wagenknecht treffen. Generalsekretär Christian Leye gilt als ihr wichtigster Mitstreiter. Im Interview sagt er, wie die Partei in ihre „neue Phase“ steuert – und wie sie in den Bundesländern mit der AfD umgeht.
Christian Leye, 44, ist Generalsekretär des Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW). Der frühere Linke-Bundestagsabgeordnete gehört dem engsten Zirkel des BSW seit der Parteientstehung an und gilt als Architekt der Partei.
WELT: Herr Leye, aus Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) soll auf Ihrem Parteitag im Dezember das Bündnis Soziale Gerechtigkeit und Wirtschaftliche Vernunft (auch BSW) werden. Bereiten Sie die Partei auf die Zeit ohne Sahra Wagenknecht vor?
Christian Leye: Wir hatten von Anfang an gesagt, dass sich der Name der Partei nach etwa zwei Jahren ändern wird. Aktuell bereiten wir die Partei auf eine neue Phase vor. Das laufende, zweite Jahr war geprägt vom Aufbau der Strukturen. Alle Landesverbände stehen, viele Kreisverbände sind gegründet, immer mehr Mitglieder werden aufgenommen. Jetzt muss die Partei politisch zu sich finden und ihr Profil schärfen.
WELT: Das klingt nach: Sahra Wagenknecht zieht sich zurück.
Leye: Nein, wie auch mehrfach öffentlich betont: Sie wird weiter in einer führenden Position für die Partei aktiv sein. Der Beitrag von Sahra Wagenknecht für die Erfolge des BSW kann gar nicht hoch genug geschätzt werden. Sie besitzt eine hohe Beliebtheit und Glaubwürdigkeit in der Bevölkerung. Unsere Analyse aber war von Anfang an: Das BSW schließt eine Leerstelle im Parteiensystem. Wir stehen für Frieden, soziale Gerechtigkeit aber auch wirtschaftliche Vernunft in Zeiten, in denen unsere Wirtschaft in der Krise steckt. Wir legen uns auch in den Schmerzpunkten wie Aufrüstung oder Meinungsfreiheit mit der etablierten Politik an und kämpfen damit auch als einzige Partei real um Wähler mit der AfD.
WELT: Es ist zu hören, dass Co-Parteichefin Amira Mohamed Ali und der BSW-Europaabgeordnete Fabio De Masi, beide frühere Linke, künftig das Vorsitzenden-Duo sein werden. Das soll Ihr engster Kreis so beschlossen haben.
Leye: Das Personaltableau werden wir am Montag verkünden.
WELT: Finden Sie gut, dass die beiden es machen?
Leye: Ich werde Spekulationen nicht weiter befeuern. Das Personaltableau wird am Montag vorgestellt.
WELT: Sie gelten als Architekt der Partei, haben die Organisation mitgeplant, gegründet und nun zwei Jahre aufgebaut. Machen Sie weiter?
Leye: Ich werde nicht wieder als Generalsekretär kandidieren, sondern als stellvertretender Parteivorsitzender. Ich habe die Partei vorbereitet, als sie für die meisten noch ein Gerücht auf der Straße war und dann zwei Jahre als Generalsekretär aufgebaut, hatte fast durchgehend 15-Stunden-Tage politische Handarbeit. Heute stehen die Partei und ihre Strukturen in ganz Deutschland.
In der nun beginnenden dritten Phase wird die Partei ihr politisches Profil schärfen müssen und damit stärker zu sich selbst finden. Das bedeutet ganz praktisch, dass es mehr politische Diskussionen in unserer jungen Partei geben wird. Daher möchte ich mich stärker der inhaltlichen Arbeit widmen. Da braucht mich die Partei jetzt, und dies ist mit den organisatorischen Aufgaben eines Generalsekretärs weniger gut vereinbar.
WELT: Sie haben über Mitgliederaufnahme entschieden, saßen stets im engsten Zirkel um Wagenknecht. Als der Streit zwischen der Thüringer Landeschefin und stellvertretender Ministerpräsidentin Katja Wolf und dem Bundesvorstand um Wagenknecht tobte, fuhren Sie häufig als Gesandter der Bundesspitze nach Erfurt. Stellvertretender Parteivorsitzender klingt nun nach einem Schritt in die zweite Reihe.
Leye: Das Zentrum des Geschehens wird morgen sein, das inhaltliche Profil des BSW zu schärfen. Daran möchte ich mich beteiligen.
WELT: Sind Sie enttäuscht, nicht mehr das Vertrauen zu bekommen, Generalsekretär zu bleiben?
Leye: Man macht Politik nicht für sein Ego, sondern für die Sache. Wer das nicht versteht, sollte besser etwas anderes machen. Alle wichtigen Entscheidungen der Anfangszeit und viele Entscheidungen der letzten zwei Jahre gingen auch über meinen Schreibtisch. Struktur und Organisation der Partei sowie die Disziplin des Parteikörpers zum Start der Partei hängen auch mit meiner Arbeit zusammen. Wir sind die erfolgreichste Parteineugründung der Bundesrepublik. Daran war ich zentral beteiligt.
WELT: Trotz des durchaus beachtlichen Starts: Ihre Partei hat es nicht in den Bundestag geschafft, in Ihrer Heimat Nordrhein-Westfalen haben Sie bei der Kommunalwahl nur 1,1 Prozent der Stimmen geholt. Warum?
Leye: Rückblickend würde ich zwei Sachen anders machen. Wir sind möglicherweise zu früh in Regierungsbeteiligung in Brandenburg und Thüringen gegangen, auch wenn es dort Erfolge gibt. Auch die Abstimmung mit Friedrich Merz (CDU) im Bundestag, bei der auch die AfD mitstimmte, hat mit Blick auf das Wahlergebnis definitiv nicht geholfen.
WELT: Ihre Partei wollte sich vom Links-rechts-Schema stets absetzen. Kürzlich schrieb Wagenknecht wiederum in WELT, das BSW müsse auch eine „konservative oder im Ursprungssinn ‚rechte‘ Agenda“ verfolgen. Mehrere Mitglieder forderten daraufhin im „Freitag“ vehement den Fokus auf linke Werte. Welche Partei soll das BSW nun sein?
Leye: Ein Problem ist, dass bei einem Teil der Bevölkerung, um deren Köpfe wir ringen, die Begriffe rechts und links heute anders besetzt sind als früher. Es ist daher richtig, diese Begriffe mit Leben zu füllen. In dem Artikel argumentiert Sahra Wagenknecht richtigerweise dafür, dass der bescheidene Wohlstand der arbeitenden Mitte geschützt werden muss. Das ist für mich im klassischen Sinne links, aber auch Konservative sollten daran ein lebhaftes Interesse haben. Fabio De Masi hat kürzlich gesagt, dass wir links und vernünftig sind, ich teile das. Gleichzeitig sind wir in einem Bündnis, das eine erfreuliche Breite der Bevölkerung in unserer Partei vereint.
Das linksliberale Establishment verteidigt aktuell den Status quo gegen eine zunehmend wütende Bevölkerung, die leider zu häufig aus Frust die AfD wählt. Wir nehmen die Wut der Menschen ernst, statt sie zu beschimpfen oder ihnen den Mund verbieten zu wollen. Wir kämpfen für Gerechtigkeit für die arbeitenden Bevölkerung und gegen einen wirtschaftlichen Niedergang, was ein Bündnis mit dem Mittelstand bedeutet. Dafür legen wir uns mit Milliardären, Banken und Rüstungskonzernen an.
WELT: Ihr hessischer Landeschef Oliver Jeschonnek trat kürzlich zurück, weil die Partei eine „Linke 2.0“ sei. Frühere Linke-Funktionäre wie Sie bekleiden zentrale Positionen in der Partei.
Leye: Ohne ehemalige Linke-Mitglieder hätte es diese Partei nie gegeben. Und ohne neue Leute, die dazugekommen sind, eben auch nicht. Ich glaube, eine Debatte um „Linke 2.0“ bringt uns hier nicht nach vorne, sondern gemeinsame politische Ziele.
WELT: Sollen Sie als Generalsekretär aufhören, weil Sie als Linker gelten?
Leye: Seit ich politisch denken kann, bin ich ein Linker. Das ist meine Überzeugung und die habe ich auch nie versteckt. Allerdings war ich dieser Mensch auch, als ich die Partei aufgebaut habe, und das war ja kein Problem. Ich kandidiere als stellvertretender Parteivorsitzender, weil mich die Partei dort morgen braucht.
WELT: Bei der Landtagswahl in Sachsen-Anhalt 2026 dürfte die AfD zur stärksten Kraft werden. Alle anderen Parteien – also CDU, Linke, SPD und BSW – müssten sich möglicherweise zusammenschließen, um eine AfD-Regierungsbeteiligung zu verhindern. Stünden Sie dafür bereit?
Leye: Das BSW wird kein Mehrheitsbeschaffer für eine Anti-AfD-Regierung sein. Irgendwann muss doch auch mal bei den etablierten Parteien der Groschen fallen, dass diese Strategie die AfD immer weiter stärkt. Mit der AfD werden wir aber auch nicht koalieren, das haben wir immer klar gesagt, die politischen Differenzen sind in zentralen Feldern zu groß. Wir treten mit glaubwürdigem Profil auch im Osten an, verbinden soziale Gerechtigkeit mit unerschütterlichem Einsatz für Frieden. Das vertritt keine andere Partei in dieser Konsequenz, auch nicht im Landtagswahlkampf in Sachsen-Anhalt.
Politikredakteur Kevin Culina berichtet für WELT über Gesundheitspolitik, die Linkspartei und das Bündnis Sahra Wagenknecht. Er berichtet zudem regelmäßig über Antisemitismus, Strafprozesse und Kriminalität.





















