Wagenknecht-Strategie: „Weichgespültes BSW braucht niemand“ – Wagenknechts neues Selbstbewusstsein | ABC-Z
Ohne Sahra Wagenknecht geht in Thüringen, Sachsen und Brandenburg nichts. Ihre Partei BSW könnte in drei Regierungen sitzen. Zügeln will die Parteichefin ihre teils drastische Rhetorik deswegen nicht. Denn ihr eigentliches Ziel ist größer.
Sahra Wagenknecht legt die Regeln fest. Die Chefin des Bündnisses Sahra Wagenknecht (BSW) steht am Dienstag im Bundestag, zwei Tage nachdem ihre Partei als drittstärkste Kraft in den Brandenburger Landtag eingezogen war. Grund genug, sich selbstbewusst an Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) zu wenden: „Was Herrn Woidke betrifft, gilt das Gleiche, wie es für Herrn Voigt und Herrn Kretschmer galt.“ Wie Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer und Thüringens Landeschef Mario Voigt (beide CDU) müsse auch der Brandenburger Wahlsieger zunächst bei ihr vorsprechen, bevor er mit dem BSW vor Ort in Potsdam eine Zusammenarbeit ausloten darf.
Woidke braucht die Wagenknecht-Partei um Landeschef Robert Crumbach, mit der CDU würde es nur für eine Minderheitsregierung reichen. Ohnehin haben die Christdemokraten nach einem ersten Gespräch abgewunken, Koalitionsgespräche werde man nicht führen. Entsprechend will Woidke nun mit Crumbach verhandeln. In Thüringen sondiert das BSW ab kommender Woche schon mit CDU und SPD, in Sachsen führt sie derzeit Vorgespräche mit den beiden Parteien. Ziel: Eine „Brombeer-Koalition“.
Nur neun Monate nach seiner Gründung spielt das BSW also oben mit. Schon im Wahlkampf trat Wagenknecht selbstbewusst auf und formulierte für etwaige Landesregierungen rote Linien in der Außenpolitik. Ihre Partei werde sich nur an einer Koalition beteiligen, wenn diese die Stationierung von US-Mittelstreckenraketen in Deutschland ablehne sowie Diplomatie-Initiativen im Ukraine-Krieg fordere. Das sei „nicht verhandelbar“, sagt Wagenknecht WELT AM SONNTAG. „Im Detail sind wir kompromissbereit – wenn sich auch CDU und SPD bewegen und zu echter Veränderung bereit sind. Sonst können wir es nicht machen.“
Das BSW wolle spürbare Veränderungen. Neben der „Friedenspolitik“ sei das die Aufarbeitung der Pandemie und ein Corona-Amnestiegesetz. In den Schulen müsse es um die „Kernfähigkeiten wie Lesen, Schreiben und Rechnen gehen“, so Wagenknecht. Zudem brauche es eine Wende in der Migrationspolitik: „Flüchtlinge sollten zu gemeinnütziger Arbeit herangezogen und – nach einer Anerkennung – schnellstmöglich in den Arbeitsmarkt integriert werden.“ Dass ihr die CDU dabei der genehmere Partner sein dürfte, ist deutlich. Bei der konstituierenden Sitzung des Thüringer Landtags am Donnerstag agierten BSW und CDU schon gemeinsam – und wollten der AfD das alleinige Vorschlagsrecht für den Landtagspräsidenten nehmen.
Beim ersten Kennenlernen habe man „Verletzungen“ bei SPD und BSW überwinden müssen, berichtet Steffen Schütz, der mit Katja Wolf für das BSW in Thüringen die Gespräche führt. „Nicht jeder Satz aus dem Wahlkampf kam beim Gegenüber gut an.“ Wagenknecht selbst wurde beim RND deutlicher: „In Sachsen und Thüringen kann man jetzt schon sagen, dass es mit der SPD vielfach nerviger ist als mit der CDU.“
Passt Dauerangriff zu Regierungsarbeit?
Der SPD falle etwa der geforderte Corona-Untersuchungsausschuss schwer, ist zu hören. Nach „Spiegel“-Informationen beantragt das BSW in Sachsen einen solchen Ausschuss schon kommende Woche – trotz laufender Gespräche. Charité-Virologe Christian Drosten und Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) sollen vorgeladen werden. Wagenknecht greift Lauterbach regelmäßig an, nennt die Ampel die „dümmste“ oder wahlweise „gefährlichste“ Regierung der Bundesrepublik, die „kriegsbesoffen“ sei. Passen solche populistischen Dauerangriffe zur konstruktiven Zusammenarbeit in den Ländern? „Ein weichgespültes BSW braucht niemand“, winkt Wagenknecht ab. „Wir werden auch gewählt, weil wir Probleme so pointiert ansprechen.“
Ob die Koalitionsverhandlungen in Erfurt, Dresden und möglicherweise Potsdam Erfolg haben, hängt auch davon ab, ob sich das BSW mit seiner Position zum Ukraine-Krieg und der Stationierung von Mittelstreckenraketen durchsetzen kann. Da die Bundesländer für Außenpolitik nicht zuständig sind, kann es dabei allerdings nur um warme Worte im Vorwort des Koalitionsvertrags gehen. Wagenknecht selbst spricht von einer „Friedenspräambel“ als deutliches Zeichen an die Bundesregierung. „Mehr als eine Fußnote muss es sein“, sagt BSW-Generalsekretär Christian Leye. Die CDU könnte hier mitziehen. Kretschmer und Voigt äußerten sich im Wahlkampf entsprechend offen.
Nur rund neun Monate nach der Gründung steht die junge Partei allerdings vor einer Grundsatzfrage: Will sie wirklich Verantwortung übernehmen? Für eine Koalition wird das BSW sich verändern müssen. Der Spagat zwischen radikaler Fundamentalopposition im Bund und pragmatischer, konstruktiver Koalitionsarbeit in den Ländern könnte Konflikte erzeugen. Schon im Wahlkampf wurde das deutlich: Wolf versuchte in Thüringen ihr Profil als zugewandte Problemlöserin zu unterstreichen. Als die BSW-Bundestagsabgeordneten die Rede des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj boykottierten, fand sie das falsch. Wolf wirkte getrieben von Wagenknechts Polemik. Oft musste sie sich für die Ansagen aus Berlin rechtfertigen.
Auch Crumbach tritt zurückhaltend auf: Änderungen könne man auch in der Opposition durchsetzen. „Eine Partei hat viele verschiedene Persönlichkeiten mit eigenem Stil“, beschwichtigt Generalsekretär Leye. „In den Grundsätzen sind wir uns alle einig.“
Wagenknecht, in der Linken einst stets gegen das Regieren, hat durchaus Respekt vor zu viel Verantwortung. „Unsere Fraktionen haben noch keine jahrelange parlamentarische Erfahrung“, sagte sie. Man gehe deshalb mit klaren Zielen in die Verhandlungen, koordiniere sich eng in der Partei. „Wir lassen uns nicht unterbuttern.“ Kompromisse könnten ihr BSW schwach aussehen lassen, am Glanz des Neuen kratzen. Ihrem eigentlichen Ziel, einem Erfolg bei der Bundestagswahl, könnte das schaden. Dort erwartet sie, dass sich „die Mehrheitsverhältnisse hoffentlich stark verschieben“.
Nach den Wahlen wird die Partei mit der Arbeit im Landtag beschäftigt sein. In Thüringen sitzen 15 von 70 Mitgliedern im Landtag, hinzu kommen Kommunalmandate. In Sachsen sind es 15 Mandate auf knapp 80 Mitglieder, in Brandenburg sogar 14 Mandate und nur 40 Mitglieder. Viele sind Parlamentsneulinge. Personal für Regierungsverantwortung könne auch von außen kommen, man habe genügend fähige Leute, ist zu hören. Konkreter wird es vorerst nicht. Leye sagt nur: „Unsere Netzwerke sind größer als die Partei.“ Der Parteiarchitekt sieht sich gut aufgestellt. „Aber wer hat uns vor einem Jahr zugetraut, dass wir in vier Parlamente einziehen und bald möglicherweise in Regierungen sitzen?“
Woidke sei am Donnerstag tatsächlich zu ihr nach Berlin gereist, berichtet Wagenknecht. „Es war ein konstruktives Gespräch.“
Politikredakteur Kevin Culina ist bei WELT zuständig für die Berichterstattung über das Bündnis Sahra Wagenknecht und die Linkspartei.