Wirtschaft

Waalkes-Doku „Mein Name ist Otto“ bei Amazon Prime Video | ABC-Z

Um es angemessen bescheiden zu sagen: Jedes Jahrtausend hat seinen Otto. Der erste, der Große, einte im 10. Jahrhundert die deutschen Stämme Bayern, Sachsen, Schwaben und Franken, die sich zuvor die Schädel eingeschlagen hatten. Der nächste, der Bepickelhaubte, brachte fast ein Jahrtausend später das Reich erneut zusammen. Und unser Otto, holladihiti? Wirkt der ebenfalls einigend? Allerdings. Otto Waalkes ist die eine Kultfigur, die vom Spalt zwischen den Generationen gar nichts bemerkt, weil sie ihn – von Harry Hirsch bis Faultier Sid – untertunnelt hat.

Die Generation Z erschaudert, nur bei Otto nicht

Dass man in den unbekümmerten Jahrzehnten Tränen lachte über (ja, doch: toxisch männliche) „Police Academy“-Witze („Zeigen Sie Ihre Schenkel“), dass uns bei Bud Spencer und Terence Hill in „Zwei Asse trumpfen auf“ die (ja, doch: rassistischen) Unter- und Obertöne in der Darstellung der Eingeborenen („Wir nicht schießen, wir keine Gewehre“) nicht die Bohne störten, dass wir uns mit Winnetou die Apachenehre aneigneten („Hugh!“), dass wir uns köstlich amüsierten über den (kritisch gemeinten, aber heute nicht mehr so „gelesenen“) „Mai Ling“-Sketch von Gerhard Polt – er präsentiert seine für 2785 Mark bestellte, nicht schmutzende Asiatin –, dass wir in benebelten Momenten sogar „Baywatch“ einschalteten (nicht trotz, sondern wegen der sexistischen Ästhetik) – all das lässt die polydirektional sensible Generation Z erschaudern.

Frühe Aufnahme: Otto Waalkes als kindlicher Puppenspieler.Amazon Prime

Umgekehrt können die Älteren sich kaum ein Lächeln verkneifen über die Inflation von inbrünstigen Denkmalstürzen und Triggerwarnungen. Nirgends klafft das Verständnis zwischen den Generationen so weit auseinander wie beim Humor. Wie unglaublich ist es da, dass Otto ganz ungebrochen von Jung wie Alt gefeiert wird. Seine Auftritte bei Festivals sind Großereignisse; bei Tiktok ist er eine Jugendikone; mit einem Trottel-Rapper nimmt er 2023 seine geniale Sting-Parodie „Friesenjung“ von 1993 als billige Après-Ski-Nummer neu auf und erobert die Sin­glecharts – und das alles, ohne anbiedernd zu wirken. Er ist, wer er immer war. Weil er nie jemand anderer sein wollte.

„I am hungry – Ich bin Ungar“

Dabei gibt es gar nicht nur harmlose Blödelwitze wie in Ottos mit der Zeit gehenden Englisch-Kursen: „I am hungry – ich bin Ungar“; „she wants to go online – sie möchte auf den Strich gehen“. Oft ist gar nicht richtig klar, was an Ottos Witzen anrüchig ist: „Ein Wohnwagen ist zum Wohnen, ein Schlafwagen ist zum Schlafen und ein Volkswagen ist zum Volksen – aber nicht dabei erwischen lassen.“ In seinem ersten Kinofilm „Otto – der Film“, mit 14 Millionen Zuschauern eine der meistgesehenen deutschen Produktionen, kommt sogar das N-Wort in frenetischer Übersteigerung vor. „Bimbo, das ist deine neue Herrin“, sagt Otto zum sonst stets als „Neger“ angesprochenen Schauspieler Günther Kaufmann, als er ihn als „Sklave“ an eine alleinstehende Dame verkauft. Geschrieben vom Dream-Team der Neuen Frankfurter Schule, Robert Gernhardt, Bernd Eilert, Pit Knorr, sollte solcher Radikalhumor zwar den inhärenten Rassismus der Deutschen aufspießen, aber das auf eine Weise, die heute unter moralischer Höchststrafe steht.

Otto Waalkes mit seinem Bruder Karl-Heinz.
Otto Waalkes mit seinem Bruder Karl-Heinz.Amazon Prime

Wirklich nachgetragen hat man Otto das nie. Auch die bei Amazon laufende Dokumentation über Ottos Leben und Wirken („Wahrscheinlichkeit dieser Karriere 0,000001 %“) tut das nicht. Christine Uschy Wernke greift aus Ottos erstem Film nur harmlose Szenen heraus wie die, in der Heinos „Haselnuss“-Schlager im Stil von Michael Jacksons „Thriller“-Video verulkt wird. Es kommentiert Bernd Eilert persönlich. Das ist überhaupt hervorzuheben: Wernke führt nicht Promis-loben-Promis-Interviews. Fast alle Beiträger, von Udo Lindenberg bis Hape Kerkeling, von Hans-Otto Mertens bis Michael Bully Herbig haben eine direkte (Arbeits-)Beziehung zu Otto Waalkes. Mit Lindenberg (und Marius Müller-Westernhagen) hat Otto in Hamburg in einer Künstler-WG gelebt, Hape Kerkeling wurde von Otto fast schon entdeckt, Ottos erster Manager Mertens entwickelte sich zum hauptamtlichen Otto-Produzenten, und für Bully Herbig, in Sachen Erfolg der große Rivale, hat er zuletzt in der „L.O.L.“-Show gesessen (und fast sofort losgelacht).

Er kann selbst lustig ernste Bücher schreiben

Es gab schon viele Würdigungen des Menschenfreunds Otto Waalkes, der alles kann, selbst lustig ernste Bücher schreiben wie seine „Ottobiografie“ im Jahr 2018. Zahlreiche Beiträge liefen erst im vergangenen Jahr aus Anlass des 75. Geburtstags des ewigen Kinds. Was „Mein Name ist Otto“ sehenswert macht, ist der Umstand, dass der wichtigste, ehrlichste und gewinnendste Kommentator dieses Lebens Otto selbst ist.

Die Filmemacherin begleitet ihn auf Tour, fährt mit ihm zu Bruder Karl-Heinz, besucht den Hinterhof des Elternhauses in Emden-Transvaal, wo alles begann (ganz ähnlich wie beim jungen Goethe mit dem Puppentheater). Dann geht es im Schweinsgalopp und mit vielen Ausschnitten durch diese Kalauerkarriere der Extraklasse: die auf Schallplatten vermarkteten Auftritte (die viele der heute Erwachsenen mehr oder weniger komplett auswendig kennen), die revolutionäre „Otto Show“ im Fernsehen, die herrlich doofen Kinofilme, die bereits eine neue Generation ansprechenden „7 Zwerge“-Ensemblefilme, die neueren Projekte.

Ottifanten sieht man zum Glück nur von fern, das Otto Huus in Emden auch. Ottos Perfektionismus – und dessen Notwendigkeit – kommt dafür gut zum Ausdruck. Privat wird es im genau richtigen Maße, immer dann nämlich, wenn das Private Auswirkungen auf den Beruf hatte wie die Trennung der Ehefrau Manou in den frühen Neunzigern, die den Komiker taumeln ließ: „Das hab ich nicht kommen sehen (…) Ich hab nur geheult.“

Abgesehen davon, dass man die befreiende Bedeutung von Otto Waalkes für den deutschen Humor in anderthalb Stunden nie zu fassen bekommen wird, ist dieser Film die vermutlich bislang beste Annäherung an die Emdener Lach- und Krachtigall. Und dass die einzige wirkliche Neuigkeit in der vermutlich erfundenen Story von Udo Lindenberg darin besteht, aus seinem leckenden Wasserbett in der Edel-WG am Hamburger Rondeelteich habe es dem unter ihm wohnenden Otto ständig auf den Kopf getropft (kommunizierende Kreativität), ist nicht schlimm. Weil das Beste an Otto ist, dass wir alles an ihm und alles von ihm kennen – und trotzdem jedes Mal am Boden liegen, wenn er nur Holladihiti sagt.

Mein Name ist Otto ist auf Amazon Prime Video abrufbar.

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