Wirtschaft

VW: „Ein Auto, das sich normale Menschen leisten können“. Da wird es laut am Hochhaus | ABC-Z

Großer Radau brandet auf als Daniela Cavallo zu ihrer Rede anhebt. Mit Trillerpfeifen, Trommeln, Rasseln, Hupen machen sich Zehntausende VW-Mitarbeiter vor der Bühne bemerkbar. Offensichtlich wollen sie ihrer Betriebsratschefin den Rücken stärken. Es ist der lauteste Protest an diesem Vormittag auf dem Gelände des VW-Stammwerks am Mittellandkanal. Und es ist eine Machtdemonstration.

Um 10.30 Uhr haben sie die Arbeit niedergelegt und sich auf den Weg vor das sogenannte Markenhochhaus gemacht, am östlichen Ende des Werksgeländes. Dort stehen sie, die meisten in dunklen Jacken, viele mit IG-Metall-Mützen und roten Schals. Oder mit der dezenteren Variante in Schwarz, mit weißem IG-Metall-Logo. Einige tragen dünne rote Plastik-Westen mit „Warnstreik“ in großen weißen Lettern.

Der Krach der Menge richtet sich gegen den Vorstand des Konzerns, dessen Büros im obersten Stockwerk des Hochhauses liegen. Direkt davor steht die Bühne, daneben Boxen-Türme wie auf einem Rockkonzert.

Es ist der vierte Verhandlungstag um den Haustarifvertrag bei VW. Cavallo und die IG Metall haben die Mitarbeiter zu Warnstreiks aufgerufen, jede Schicht macht vier Stunden früher Schluss. „Bundesweit – streikbereit“, skandieren die Werker immer wieder in Richtung Hochhaus.

Auf der aufgeweichten Wiese links von der Bühne trägt die Mehrheit Jeans, dazwischen viele die graue VW-Arbeitshose und die schwarzen Sicherheitsschuhe, an der man die Arbeiter aus der Fabrik erkennt. Im „direkten Bereich“ – am Band – arbeiten inzwischen weniger Leute als in den Büros.

Die Einsparungen, mit denen das Management droht, betreffen die Angestellten in der Entwicklung, im Vertrieb oder der Verwaltung noch stärker als ihre Kollegen in der Fabrik. Deswegen sind sie alle da.

Zu Beginn der Kundgebung öffnet sich im obersten Stockwerk ganz links eines der bodentiefen Fenster. Ein dunkel gekleideter Mann tritt heraus an das Geländer, zu erkennen ist er von unten nicht. Auf der Bühne hat gerade Christiane Benner zu sprechen begonnen, die Vorsitzende der IG Metall. Sie heizt den VW-Arbeitern richtig ein.

Die Probleme der Autoindustrie seien „krass“, sagt Benner und zählt den Einbruch des chinesischen Markts auf, die Vorteile chinesischer Autohersteller und den „Riesenfehler der Politik“, die E-Auto-Prämie zu streichen.

„Diese Probleme lösen wir nicht mit der Schließung von Werken. Diese Probleme löst VW nicht mit der Kündigung von Beschäftigungssicherung“, ruft sie den Mitarbeitern entgegen. Tosender Applaus, Fahnenschwenken, Tröten aus allen Richtungen. Ein Intercity, der auf der anderen Seite des Kanals vorbeirauscht, ist in dem Protestlärm nicht zu hören.

„Ein Auto, das sich normale Menschen leisten können“

Dann fordert Benner von den Vorständen einen Gehaltsverzicht von zehn Prozent und „endlich wieder einen Volkswagen. Ein Auto, das sich normale Menschen leisten können.“ Auch danach wird es sehr laut vor dem Hochhaus.

Die IG-Metall-Chefin nutzt den Auftritt auch für scharfe Vorwürfe an die Politik. Die Schuldenbremse müsse weg, fordert sie, Deutschland müsse Industriepolitik machen. Auch dafür erntet sie Zustimmung. Dabei ist vielen Mitarbeitern nicht nach großer Politik zumute. Sie haben schlicht Angst um den eigenen Job.

Katrin Mehr beispielsweise, seit 28 Jahren bei VW, steht nach der Kundgebung vor der Volkswagenarena, wo an diesem Tag die Tarifverhandlungen in einem Konferenzraum stattfinden.

„Mein Bereich ist selbst betroffen, die ganze Abteilung wird zugemacht“, sagt die Fachmechanikerin. Die Stimmung unter den Kollegen sei grottenschlecht, es herrschten Ängste um die eigene Zukunft. In ihrer Familie gebe es keine anderen VW-Beschäftigten, sondern Handwerker, Köche, sagt Mehr. „Ich habe das Glückslos gezogen, eine Beschäftigungssicherung zu haben.“

Cavallo bekräftigt ihre roten Linien

Nun hat das Unternehmen diese Jobgarantie gekündigt, ab Juli wären Entlassungen möglich. „Der Vorstand hat das Vertrauen der Mitarbeiter massiv enttäuscht“, sagt Axel Wiedemann dazu, seit 2003 im Vertriebsbereich von VW.

Es herrsche große Verunsicherung in der Belegschaft. Wiedemann bekommt das hautnah mit, denn der 57-Jährige zählt zu den Vertrauensleuten der Gewerkschaft im Betrieb. Über dieses Netzwerk hat die IG Metall einen direkteren Draht zu den Mitarbeitern als das Management.

Cavallo kann sich bei ihren Forderungen daher ziemlich sicher sein, dass sie die Kollegen hinter sich hat. Auf der Kundgebung bekräftigt sie nochmals ihre roten Linien: keine Werkschließungen, keine Massenentlassungen, keine harten Einschritte im Haustarif.

Im Hochhaus hinter ihr haben diese Forderungen von Anfang an Kopfschütteln ausgelöst. Wie, fragen sich viele, sollen die Einsparziele des Konzerns auf diesem Weg zu schaffen sein? Das Angebot der Arbeitnehmer, die Auszahlung einer Tariferhöhung aufzuschieben und die Arbeitszeiten flexibler zu gestalten, reicht aus Sicht der Manager bei Weitem nicht aus.

Was auf dem Spiel steht, deutete der Verhandlungsführer des Unternehmens, Arne Meiswinkel, vor Beginn der Tarifgespräche an: Man müsse heute weitere Sparpotenziale finden, sagte er. „Denn nur so können wir unsere Investitionen für ein zukunftsgerichtetes Produktportfolio bis in die 2030 Jahre finanzieren.“

Das bedeutet, nur wenn die Kosten sinken, kann sich VW die Entwicklung aller geplanten Modelle für die kommenden Jahre leisten. Zu diesen Autos zählt auch der „Volkswagen“ ID.1, der um die 20.000 Euro kosten soll.

Offiziell geht es in den Gesprächen im Fußballstadion nur um die Gehälter. Doch es spielt alles mit hinein. Die Arbeitnehmer fordern vom Unternehmen ein Entgegenkommen, das Unternehmen umgekehrt auch. Noch hoffen beide Seite auf eine Einigung in den Verhandlungen vor Weihnachten, auf Frieden unter dem Christbaum.

Falls nicht, „folgt auf das Silvesterfeuerwerk eine Eskalation, die dieses Unternehmen noch nicht erlebt hat“, ruft am Vormittag Thorsten Gröger, der Verhandlungsführer der IG Metall den Mitarbeitern zu.

Gröger ist der letzte Redner auf der Kundgebung im nasskalten Wolfsburg. Viele Mitarbeiter gehen schon in Richtung der Werkstore, raus aus der Kälte. Die Verbliebenen machen aber ordentlich Krach. Diesmal haben sie ihre Schichten nur um vier Stunden verkürzt. Ab Januar drohen massive Streiks.

Daniel Zwick ist Wirtschaftsredakteur und berichtet für WELT über alle Themen aus der Autoindustrie.

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