Vuelta-Proteste mit Palästina-Flaggen: Sport im Schaltwerk des Kriegs | ABC-Z

„Was wollen sie von uns Radfahrern?“, fragte der Däne Jonas Vingegaard am Mittwoch. Er ist der schnellste Radfahrer der Spanienrundfahrt, Führender der Gesamtwertung. Am Mittwoch musste Vingegaard das Tempo rausnehmen. In Bilbao waren Demonstranten mit palästinensischen Flaggen in den Zielbereich vorgedrungen, drei Kilometer vor dem Ziel wurde die elfte Etappe neutralisiert.
Auf der fünften Etappe, einem Mannschaftszeitfahren, hatten Demonstranten sich den Fahrern des Teams Israel Premier Tech in den Weg gestellt. Auf der zehnten Etappe hatte der Protest einen Sturz verursacht. Die Antwort auf Vingegaards Frage: Die Demonstranten wollen, dass die Fahrer nicht fahren.
„Wir oder sie“-Logik erreicht Sport
Wie weit sie dabei gehen, wie gefährlich es wird bei dieser Vuelta a España? Der Sportdirektor des Teams berichtet von Morddrohungen. Der Protest ist – in Teilen – eine Gefahr für Leib und Leben. In Spanien hat die „Wir oder sie“-Logik den Sport erreicht. Wieder einmal.
Es ist die Denkweise, die das Morden, den nicht endenden Kreislauf des Todes in Israel und Palästina in Schwung hält. In München 1972 starben bei den Olympischen Spielen israelische Sportler und deutsche Polizisten. Am 7. Oktober 2023 starben Festivalgänger, Kibbuzbewohner, am Strand campende Teenager. Seither sterben jeden Tag Menschen, hungern Kinder, leiden Geiseln in Gaza – weil mächtige Männer sich nicht aus diesem Denken lösen wollen.
Und so richtig, so wichtig es ist, dagegen zu protestieren, dass Menschen sterben, Kinder hungern, Geiseln leiden, so falsch ist es, im Geist ebendieses Denkens den eigenen Protest über die Gesundheit anderer stellen zu wollen. Protest dieser Art fällt den Demonstranten auf die Füße, diese Erkenntnis kommt nicht nur Jonas Vingegaard.
Israel Premier Tech wird unterhalten von Sylvan Adams. Er bezeichnet sich als Philanthrop – und als „selbsternannten Sonderbotschafter für den Staat Israel“. Die „Jerusalem Post“ schrieb 2019, den Titel habe sich Adams auf Visitenkarten drucken lassen. Adams, dessen rumänischer Vater von den Verbündeten der Nationalsozialisten als Zwangsarbeiter ausgebeutet worden, geflüchtet und nach Québec emigriert war, habe entschieden, sein Leben der Promotion Israels zu widmen.
Zehn Jahre später führte die politische Lage, zu der das Handeln der Regierung des Staates Israel wesentlich beiträgt, schon während der Tour de France dazu, dass diese Promotion teils inkognito erfolgte. Das Wort Israel war während der Frankreich-Rundfahrt auf den Mannschaftsbussen abgeklebt, die Fahrer instruiert, sich nicht zur Lage in Nahost zu äußern.
Die Organisatoren im Radsport, an ihrer Spitze die Union Cycliste Internationales, der internationale Verband, werden nicht müde, ein Phantasma zu behaupten: Der Sport, heißt es in einer Mitteilung der UCI vom Mittwoch, „transzendiert Streit und Spaltung“. Wer hätte anderes erwartet vom Verband, der demnächst seine Weltmeisterschaft beim notorischen Sportwäscher Paul Kagame in Ruanda austragen lässt?
Israel Premier Tech hat in einer Stellungnahme das Recht der Demonstranten auf friedlichen und sicheren Protest betont. Ein ermutigendes Zeichen, aber angesichts des Leids der Opfer des Kriegs, angesichts der Verantwortung, die neben der Hamas die Regierung Netanjahu trägt, ist der selbst ernannte Sonderbotschafter gefordert.
Er müsste erklären, was die UCI behauptet. Müsste sich lösen von den für das Leid Verantwortlichen. Am Mittwoch vergangener Woche hatte Sylvan Adams sich zum Krieg geäußert: „Wir haben im physischen Krieg Wunder vollbracht, versagen aber schrecklich im Kommunikationskrieg gegen Qatar.“ Er klingt wie Benjamin Netanjahu.