Rudi-Völler-Dokumentation bei Sky: Bedeutung für deutschen Fußball | ABC-Z

Schon der erste Satz setzt einen wohlig klingenden Ton: „Alle schreien Rudi, Rudi, Rudi – jeder liebt Rudi Völler.“ Julian Nagelsmann, der diesen Satz sagt, schließt sich nicht aus, im Gegenteil. Nicht zum ersten Mal schwärmt der Bundestrainer zu Beginn der Dokumentation „Rudi Völler – Es gibt nur einen“ von seinem Direktor bei der deutschen Fußball-Nationalmannschaft. Aber es fällt auf, wie Nagelsmanns Augen leuchten, als er später im Film, der von diesem Freitag an bei Sky zu sehen ist, über Völler und dessen Wirkung auf Mensch und Mannschaft spricht. Bei der Premiere in Frankfurt hebt er die besonders gute Beziehung noch einmal hervor und nennt Völler eine „Vaterfigur“.
Die Rolle, die Völler für Nagelsmann Nationalmannschaft spielt, spielt die Nationalmannschaft für Völler. Er kann irgendwie nicht ohne sie, sie offenbar aber auch nicht ohne ihn. Noch nicht. Dass Völler, 65 Jahre alt, nach wie vor gefragt ist beim Deutschen Fußball-Bund (DFB) liegt auch an einem Satz von Hans-Joachim Watzke: „Rudi, das wär’ doch eigentlich was für dich.“ Deutschland hatte die Qatar-WM in den Sand gesetzt und suchte Oliver Bierhoffs Nachfolger. Eine Männerrunde namens „Task Force“ verwarf Name um Name, ehe Watzke einen aussprach, auf den sich schon immer viele einigen können. Einen, der gerne in der Not gefragt wird. Und einen, der, wenn es um die Nationalelf geht, selten nein sagt.
Die Art der Entscheidungsfindung mutete wie aus der Zeit gefallen an. Der Film, der Nostalgiker beglückt, weil er eine Bilderreise durch fünf Jahrzehnte Fußballgeschichte mit dem ergrauenden Lockenkopf aus Hanau ist, bestätigt diesen Verdacht. Nach dem EM-Debakel 2000 musste ein Bundestrainer her. Christoph Daum sollte es werden, doch Reiner Calmund ließ ihn vorerst nicht aus Leverkusen ziehen. Aus dem damaligen Männerbund kam der Vorschlag, den Watzke später paraphrasierte, von DFB-Präsident Gerhard Mayer-Vorfelder: „Rudi, mach du es doch.“ Eine Haarprobe und ein WM-Finale später sang Fußball-Deutschland „Es gibt nur ein’ Rudi Völler“.
Generationen verbinden Erinnerungen an die Nationalmannschaft mit Völler. Keiner stand über einen solchen Zeitraum immer wieder im Mittelpunkt der wichtigsten deutschen Fußballauswahl. Keinem wurde so gern verziehen, wenn er über das Ziel hinausschoss. Und das tat er nicht nur einmal. „Der liebe Rudi, der immer so winkt und lächelt, den gibt es – aber nur 30 Prozent. Der kann schon beißen“, sagt seine italienische Frau Sabrina, die viel über den Menschen Rudi Völler verrät. „Wenn es zu Wut und Ungerechtigkeit kommt, gibt es keine Grenzen.“
Sie lernte ihren Rudolf – „Das kann nicht wahr sein, dass ein Mensch Rudi heißt. Für mich ist das ein Name für einen Hund“ – in Rom kennen, während seines ersten DFB-Kapitels als Spieler. 1979 kam er als Teenager zur U 21, machte später 90 Länderspiele für die Nationalmannschaft, verlor 1986 und gewann 1990 das WM-Finale – in Rom und frisch verliebt. Doch die Zeit als Nationalspieler (WM-Aus im Viertelfinale gegen Bulgarien 1994) und auch die als Teamchef (EM-Aus nach der Vorrunde 2004), das gehört ebenso zu Völlers DFB-Geschichte, endete jeweils enttäuschend. Und die als Direktor?

Mit der WM 2026 steht wieder ein Turnier in den USA an. Das Renteneintrittsalter für Menschen des Jahrgangs 1960 erreicht er nach dem Turnier. Ein Schlusspunkt soll es für den, der eigentlich nur bis Ende der EM 2024 aushelfen wollte, dennoch nicht sein. Der DFB sei das Zuhause ihres Mannes, sagt Sabrina Völler. „Für ihn ist die deutsche Nationalmannschaft das Größte, was er erreicht hat.“ In Düsseldorf, neben Rom der Lebensmittelpunkt der Familie, zu der fünf Kinder aus zwei Ehen gehören, werden sie Rudi Völler vorerst nicht allzu häufig sehen.
„Die Gabe, totale Ruhe zu vermitteln“
Im April verlängerte er seinen DFB-Vertrag bis Mitte 2028. „Das habe ich nur für dich gemacht“, ruft Völler Nagelsmann bei der Premiere zu. Es sind zwei, die sich gefunden haben, auch wenn sie sich nicht gesucht hatten – bis zum bleiernen DFB-Herbst 2023. Hansi Flick musste gehen, Völler übernahm kurzerhand und wählte Nagelsmann, der beim FC Bayern freigestellt worden war. Der ließ zunächst keinerlei Zweifel daran, dass seine Mission auf die Heim-EM begrenzt sei, und er sowieso sehr viel lieber Vereinscoach.
Dass sich das änderte, hat auch mit Völler zu tun. Im April 2024 verlängerte er seinen Vertrag, elf Tage später folgte Nagelsmann, der ein Grund ist, dass Völler erst 2028 in Rente gehen will. „Die Zusammenarbeit mit Julian Nagelsmann und den anderen Verantwortlichen ist einfach toll und wunderbar“, sagt Völler, der erstaunlicherweise auf seine alten Tage wieder den Zeitgeist rund um die Nationalmannschaft verkörpert: ein paar mehr „deutsche Tugenden“, etwas weniger Fußball-Moderne.

In drei Jahren soll aber wirklich Schluss sein, auch seiner Frau zuliebe. „Die“, erzählt Nagelsmann, „sagt mir immer: Bitte bettel’ nicht weiter.“ Ob er sich eine Zeit ohne Völler vorstellen kann? „Mein Vertrag hängt nicht von Rudi Völler ab“, sagt Nagelsmann. „Ich sah es bei der letzten Verlängerung nicht als Grundvoraussetzung an, dass er auch verlängert. Aber klar war es ein Wunsch, weil wir menschlich und inhaltlich ein gutes Verhältnis haben.“
Bei aller Harmonie steht die Nationalelf vor einem schwierigen Herbst. Die WM-Qualifikation ist kniffliger geworden nach der Niederlage in der Slowakei. Nagelsmann sieht eine „sehr instabile Situation“, eine, in der auch wertkonservative Sichtweisen von Ratgeber Rudi und Vaterfigur Völler helfen sollen. „Er hat die gute Gabe, totale Ruhe zu vermitteln“, sagt Nagelsmann, der bei der Kadernominierung an diesem Donnerstag für die Spiele gegen Luxemburg am 10. Oktober und in Nordirland drei Tage später keine Überraschungen plant: „Die Spieler, die dabei waren, sollen die Chance bekommen, es besser zu machen als zuletzt.“
Nur dann kann Völlers Ziel, eine „Top-WM“ zu spielen, angegangen werden. „Ich bin überzeugt, dass wir richtig gute Turniere spielen können“, sagt er im Film zu seinem – Stand jetzt – finalen DFB-Kapitel. Völler, der mit der Nationalmannschaft den Gipfel der Fußballwelt, aber auch „Tiefpunkte“ erreichte, möchte noch einmal hoch hinaus.