Vorwürfe gegen Brosius-Gersdorf: Wer ist der „Plagiatsjäger“? | ABC-Z

Berlin. Der Blogger Stefan Weber mischt sich in die Wahl zur Verfassungsrichterin ein. Union greift Vorwürfe gern auf. Weber selbst ist umstritten.
Es gibt einen neuen Blogeintrag auf der Seite „Plagiatsjäger“. Und das bleibt selten unbemerkt. Vor allem diesmal nicht, denn die Vorwürfe richten sich gegen Frauke Brosius-Gersdorf und ihren Ehemann Hubertus Gersdorf. Vor allem ist der Beitrag brisant, denn Stefan Weber veröffentlicht ihn wenige Stunden vor der Wahl im Bundestag für das Bundesverfassungsgericht. Eine der SPD-Kandidatinnen ist: Frauke Brosius-Gersdorf.
Weber ist Medien- und Kommunikationswissenschaftler. Vor allem aber hat er sich einen Namen als selbsternannter „Plagiatsjäger“ gemacht, darüber sogar ein Buch geschrieben. Immer wieder sorgen seine Recherchen für Schlagzeilen. Nicht immer sind seine Veröffentlichungen unumstritten.
SPD-Parteitag fordert Vorbereitung von AfD-Verbotsverfahren
Plagiatsvorwürfe gegen Brosius-Gersdorf: Was hat Jens Spahn damit zu tun?
Zum aktuellen Fall: Die Juristin Frauke Brosius-Gersdorf, heute 54 Jahre alt, arbeitete nach der Jahrtausendwende einige Jahre als Anwältin. Sie gab juristische Zeitschriften mit heraus und war zwei Jahre lang Mitglied der Zentralen Ethikkommission der Bundesärztekammer. Heute hat die gebürtige Hamburgerin an der Universität Potsdam den Lehrstuhl für Öffentliches Recht, insbesondere Verfassungsrecht und Sozialrecht.
Brosius-Gersdorf ist Kandidatin der SPD für das Bundesverfassungsgericht, einer der höchsten Posten, die ein Jurist erreichen kann. Gewählt werden muss Brosius-Gersdorf wie die anderen Kandidaten mit einer Mehrheit von zwei Dritteln der abgegebenen Stimmen, mindestens die Mehrheit der Stimmen der Mitglieder des Bundestages.
Frauke Brosius-Gersdorf ist eine der von der SPD vorgeschlagenen Richter-Kandidatinnen. Doch die Union macht ihr schwere Vorwürfe.
© dpa | Britta Pedersen
Doch Brosius-Gersdorf ist bei CDU und CSU umstritten. Sie setzte sich in der Corona-Pandemie für Impfpflicht ein, der Union gefällt aber auch ihre Haltung beim Thema Abtreibung nicht.
Am Morgen der Abstimmung im Bundestag macht die „Bild-Zeitung“ eine große Überschrift: „SPD-Frau soll bei Doktorarbeit geschummelt haben“, titelt die Webseite. Die Union soll nach Informationen unserer Redaktion die Vorwürfe in den eigenen Reihen verbreitet haben, offenbar gefundenes Futter in der Debatte um die Kandidatin. Vor allem Fraktionschef Jens Spahn erscheint als Treiber der Gerüchte um die Dissertation von Brosius-Gersdorf.
„Wir erheben aber keine Plagiatsvorwürfe gegen eine der beiden Personen“
Worum geht es konkret? Webers Team hat die Dissertation von Brosius-Gersdorf nach eigenen Angaben mit Hilfe der Software „WCopyfind“ mit der Habilitationsschrift von Hubertus Gersdorf verglichen. Weber gibt im Telefonat mit unserer Redaktion an, dass ein Kollege und er derzeit auf 17 Prozent Übereinstimmung zwischen den beiden Arbeiten kommen würden. Dabei gehe es um wörtliche Übernahmen, aber auch um identische Fehler bei der Zitierweise. 17 Prozent, das sei „eine Hausnummer“, die er weiter abklären wolle.
Weber macht die Vorwürfe öffentlich auf seiner Webseite „Plagiatsgutachten“, gleichzeitig sagt er aber, dass er keine Plagiatsvorwürfe gegen eine der beiden Personen erhebe. Ob dort eine Person von der anderen abgeschrieben habe, oder ob es sich um eine gemeinsame Arbeit an den Texten handele, könne er derzeit nicht sagen. Trotzdem würden die Übereinstimmungen Fragen an die Einhaltung der wissenschaftlichen Standards aufwerfen, so Weber. Das müsse geklärt werden.
Weber gibt an, er habe die Arbeit „aus eigener Initiative“ überprüft. Seit zwei Tagen sitze sein Team an dem Thema. Auch einen Auftrag für die Überprüfung der Arbeit von Brosius-Gersdorf habe es nicht gegeben, auch nicht von CDU-Politikern. Er nehme grundsätzlich keine Aufträge von Parteien an, so Weber gegenüber unserer Redaktion.
Unabhängig überprüfen lassen sich die Vorwürfe gegen Brosius-Gersdorf und ihren Mann derzeit nicht. Hinzukommt: Die Arbeiten von Brosius-Gersdorf und ihrem Ehemann sind etwa in der gleichen Zeit verfasst worden – allerdings wurde die Dissertation der heutigen Professorin ein Jahr vor der Habilitation ihres Mannes publiziert.
Die Unionsfraktion ließ eine Anfrage zu den Hintergründen der Vorwürfe gegen die Professorin bisher unbeantwortet. Die Universität Hamburg, wo sie ihre Dissertation veröffentlicht hat, reagierte bisher ebenfalls nicht auf eine Anfrage. Auch Brosius-Gersdorf selbst möchte aktuell kein Interview geben, erklärte sie auf Nachfrage unserer Redaktion.
Baerbock, Habeck, Förderl-Schmidt – viele Vorwürfe, nicht immer wurden sie durch Hochschulen bestätigt
„Plagiatsjäger“ Stefan Weber macht mit seinen Veröffentlichungen nicht das erste Mal Schlagzeilen – immer wieder fallen seine Vorwürfe in Wahlkämpfe oder politisch brisante Debatten. Bereits im Bundestagswahlkampf 2021 verschaffte Stefan Weber den Gegnern der Grünen jede Menge Futter. Er uns sein Team durchkämmten ein Sachbuch der damaligen Grünen-Spitzenkandidatin Annalena Baerbock – und wurden fündig. Baerbock hatte stellenweise von anderen abgeschrieben. Das Buch zog sie nach anhaltender Kritik zurück, in Umfragen verlor sie an Zustimmung.
Vier Jahre später, im nächsten Wahlkampf, ist Grünen-Kanzlerkandidat Robert Habeck dran. Weber warf Habeck vor, in seiner Doktorarbeit getäuscht zu haben. Die Anschuldigungen wurden auf dem rechtspopulistischen Portal Nius veröffentlicht. Habeck selbst veröffentlichte bereits vorab ein Statement und entkräftete die Vorwürfe. Der Grünen-Chef hatte seine Arbeit im Vorfeld von der Universität Hamburg unabhängig prüfen lassen. Die kommt zu dem Schluss: Habeck hat nicht plagiiert.
Auch interessant

Auftraggeber von Weber bleiben häufig anonym
Stefan Weber sah das damals anders, er hält an seiner Darstellung fest. Wie hartnäckig er mitunter vorgeht, hat auch der Fall Baerbock gezeigt. Weber hatte damals Scheibchenweise nachgelegt, bis selbst Politiker anderer Parteien eine Kampagne gegen Baerbock vermuteten. Was auch immer wieder für Kritik sorgt: Weber hat die Jagd zum Beruf gemacht.
Wenn er Doktorarbeiten oder Lebensläufe nach Urheberrechtsverletzungen durchsucht, dann nimmt er in einigen Fällen Geld von Auftraggebern. Manchmal sind das Kanzleien, manchmal auch Privatpersonen. Zum Beispiel: Ein Arzt pfuscht bei einer Operation, die Patientin will wissen, ob er wirklich einen Doktortitel hat. Oder aber jemand will einem anderen politisch schaden und dessen Glaubwürdigkeit in Zweifel ziehen.

Stefan Weber wollte offenbar selbst Professor werden
Umstritten war in diesem Zusammenhang auch das Vorgehen gegen die damalige stellvertretende Chefredakteurin der „Süddeutschen Zeitung“, Alexandra Föderl-Schmid. Diesmal beauftragte das Rechtsaußen-Portal Nius Weber mit einem Gutachten. Weber erhob schließlich schwere Vorwürfe gegen die Journalistin, Nius berichtete vorverurteilend über sie.
Föderl-Schmid zog sich daraufhin aus der Chefredaktion und dem Tagesgeschäft der SZ zurück. Vorübergehend wurde sie vermisst, ein Abschiedsbrief wurde gefunden. Tage später fand man sie jedoch lebend. Und schließlich gab die Universität Salzburg nach mehrmonatiger Prüfung bekannt, dass in Föderl-Schmids Doktorarbeit „kein relevantes wissenschaftliches Fehlverhalten“ festzustellen sei. Der Schaden war da bereits angerichtet.
Auch interessant

Was sind die Motive des Stefan Weber?
Auch in anderen Fällen erhob Weber Vorwürfe, die die betroffenen Universitäten nicht bestätigten. In Österreich beschuldigte er zwei Ministerinnen, beide blieben im Amt. Die Universitäten prüften die Arbeiten und stellten die Verfahren schließlich ein. Gestürzt hat Webers Arbeit 2021 die damalige österreichische Arbeitsministerin Christine Aschbacher.
Hauptstadt Inside von Jörg Quoos, Chefredakteur der FUNKE Zentralredaktion
Hinter den Kulissen der Politik – meinungsstark, exklusiv, relevant.
Mit meiner Anmeldung zum Newsletter stimme ich der
Werbevereinbarung
zu.
Wie Recherchen des Spiegel nahelegen, wird Weber allerdings nicht nur von Geld getrieben. Weber soll sich jahrelang an Hochschulen auf Professuren beworben haben – ohne Erfolg. Das soll ihn, so legen es die Recherchen nahe, dazu getrieben haben, auch die wissenschaftliche Kompetenz und Arbeiten von Mitbewerbern und Professoren anzugreifen, die seinen akademischen Aufstieg verhinderten.