Stil

Von Nickel bis Zeman, von Dries Van Noten bis Yohji Yamamoto | ABC-Z


Mode und Literatur

Aufsatz zum Anzug

Fotos von IGA DROBISZ (Berlin) und MAFALDA RAKOŠ (Wien)



16. Oktober 2024 · Mode in der Literatur – und Literatur in der Mode. Wir haben Textstellen aus neun literarischen Werken ausgewählt. Und die Autorinnen und Autoren dazu in aktueller Männermode fotografiert. Von Nickel bis Zeman, von Dries Van Noten bis Yohji Yamamoto.






// Nimm den Grubenhelm ab Junge
wenn man mit dir reden tut
Nimm die Münzen von der Zunge
Tu sie dir auf deinen Hut
Nehmt das Papstgewand ab Kinder
legt es in den Haselstrauch
Stellt euch glänzende Zylinder
statt der Kreuze auf den Bauch //

Clemens J. Setz, „Das All im eignen Fell“, Suhrkamp Insel


Clemens J. Setz, fotografiert am 13. September in Wien, trägt Jacke und Hose von Petar Petrov.






Clemens J. Setz ist wohl einer der umtriebigsten Schriftsteller in der an umtriebigen Schriftstellern nicht armen Gegenwartsliteratur. In seinem neuen Buch „Das All im eignen Fell“ fragt er: „Hatte jemals irgendein einzelner Mensch eine größere zerstörerische Wirkung auf die deutschsprachige Lyrik als Elon Musk?“ Mit Barbara Zeman moderiert er den Podcast „Erster Österreichischer Sachbuchpreis“. Wir wollten ihn unbedingt in einem Anzug von Petar Petrov sehen.










// Sie hatte sich aus ihrem riesigen Fundus aus Kleidern eine schicke Kombination zusammengestellt, die nie jemand an ihr gesehen hatte, die aber jetzt wieder en vogue war. Eine Nappalederhose mit hohem Bund, eine stahlblaue Seidenbluse mit Schulterpolstern und Schluppe, eine taillierte Fuchspelzjacke, einen Stetson aus weißem Filz, weiße Stiefeletten mit kubanischen Absätzen, dazu eine verspiegelte RayBan-Pilotenbrille, die sie auf makabre Weise so cool aussehen ließ, dass Cyrus sie fotografieren musste, was sie gern geschehen ließ. //

Jackie Thomae, „Glück“, Claasen


Jackie Thomae, fotografiert am 5. September in Berlin, trägt einen Poncho von Brunello Cucinelli, Jacke und Hose von Akris, Schuhe von Loro Piana.






Jackie Thomae war für uns die Fixstarterin der Strecke, schließlich sind die Protagonistinnen ihrer Romane meist genauso modeaffin wie sie selbst. In ihrem neuen Buch „Glück“ geht es um Marie-Claire, die mit knapp 40 bedauert, keine Kinder bekommen zu haben: „Und jetzt ist es zu spät oder so gut wie. Die wichtigste Deadline des Lebens: verpasst. Den im Grunde einzigen Daseinszweck: verfehlt.“ Thomaes Protagonistin fragt sich: Was wäre, wenn sich diese Phase künstlich verlängern ließe? Und wenn Frauen, wie Männer, einfach mehr Zeit hätten?






// Für das Treffen im Apfelweinlokal Zur Sonne in Bornheim wählte Jerome die Kleidung mit den gedecktesten Farben aus, die er aus seinen Neuerwerbungen der Jahre 2017 und 2018 zusammenstellen konnte. Wegen Marlenes Trenchcoat vom Samstagabend und wegen ihres klassischen Jobs in einer Unternehmensberatung ging er davon aus, dass sie einen eher zeitlosen Stil bevorzugte. Doch nun trug Marlene plötzlich ein weißes Top und darüber eine weit geschnittene gelbe Daunenjacke, obwohl es für Daunen eigentlich noch deutlich zu warm war. Für einen Augenblick ärgerte sich Jerome, dass er sich bei Marlene durch seine Kleidung hatte anbiedern wollen, er hätte ebenso gut auf auffällige Farben setzen können, so wie es ihm eigentlich gerade entsprach, und dann wäre ein verbindender Eindruck von Partnerlook entstanden. Momente später wurde ihm aber bewusst, dass sich Marlene auch ihm hatte anpassen wollen, basierend auf seinem hellroten Outfit vom Samstagabend. Marlene sagte „schönes Hemd“ und Jerome antwortete „coole Jacke“, und eine knappe Stunde später, als sie bereits einen Fünfer-Bembel Apfelwein leer getrunken hatten, sprach Jerome seine Reflexion zu ihrer beider Outfitwahl allen Ernstes aus: „Zwischen Samstag und Dienstag haben wir jetzt Cross-Partnerlook gemacht.“ Der Irrsinn war, dass Marlene sofort verstand, was er meinte. //

Leif Randt, „Allegro Pastell“, Kiepenheuer & Witsch


Leif Randt, fotografiert am 5. September in Berlin, trägt eine Jacke von Dries Van Noten, Sweater von Brioni, Hose von Kolor, Schuhe von Zegna, Mütze von Iris von Arnim.






Simply Leif Randt. Seine Romane: ein Referenzfeuerwerk, sein Gespür für Stil: unvergleichbar, seine Jacke: Dries Van Noten






// Ich halt den Mantel fest am Kragen. Ein Geburtstagsgeschenk meiner Tante, war auch ihr liebster Mantel, solang sie ihn noch trug; sie hat ihn in den späten Achtzigern in Nanterre gekauft. Beinahe Paris, aber nicht Paris, Vorort am westlichen Ufer der Seine. Citroën, Fiat. Schokolade. War immer kommunistisch regiert, Ausnahme: unter den Nazis nicht. In einem Kaufhaus, x-beliebig, so hat sie es bestimmt hundertmal beschrieben, da hat sie diesen Mantel gesehen, und ich stelle mir vor, wie sie da ging, unter hohen Platanen, die Haare ein gutes Stück kürzer noch als jetzt, und sie duftete nach Pour Monsieur von Chanel, wie immer, die Teleskoptasche hatte sie über der Schulter und in der Hand bestimmt keine Zigarette, weil sie raucht auch heute noch ausschließlich mit übereinandergeschlagenen Beinen im Sitzen. //

Barbara Zeman, „Beteigeuze“, dtv


Barbara Zeman, fotografiert am 13. September in Wien, trägt Jacke, Bluse und Hose von Petar Petrov.






Barbara Zeman ist nicht nur eine phantastische Schriftstellerin (ihr Roman „Beteigeuze“ ist ebenso grandios, närrisch und liebenswert wie der Titel), sondern auch eine gute Stylistin. Sie hat den Wiener Designer Petar Petrov in seinem Studio besucht – und sowohl ihren Fit als auch jenen ihres Kollegen Clemens J. Setz ausgewählt. Punktlandung! Mit Setz teilt sie auch die Liebe zu Sachbüchern: „Die sonderbarsten, die wir kennen“, werden regelmäßig in ihrem gemeinsamen Podcast „Erster Österreichischer Sachbuchpreis“ besprochen.






// Meikel drückte auf den Buzzer, vielleicht auch in der Hoffnung, sich verhört zu haben, öffnete die Tür und starrte ins Treppenhaus. Er hatte sich nicht verhört. In dieser ihm eigenen Mischung aus Müdigkeit und Enthusiasmus kam Eddi die Stufen raufgeschlendert, auf den ersten Blick unverändert, mit dem gewohnten drahtig-adrigem Körper und den kurz geschorenen Haaren. Genau wie früher trug er ein spruchbedrucktes T-Shirt. Dieses kannte Meikel nicht, es war ein schwarz-weiß gebatiktes Exemplar mit der Aufschrift: NEVER BAD VIBES //

Sven Pfizenmaier, „Schwätzer“, Kein & Aber


Sven Pfizenmaier, fotografiert am 6. September in Berlin, trägt eine Jacke von Bally, Sweater von Brioni, Hose von Tod’s.






Mit seinem Roman-Debüt „Draußen feiern die Leute“ ist uns Sven Pfizenmaier aufgefallen, und in diesem Jahr hat er nachgelegt: Der Roman „Schwätzer“ wandelt zwischen Realität und Phantasie und beschreibt klug die städtische Einsamkeit seiner Wahlheimat Berlin. Für den humorlosen Winter hier haben wir einen Sweater von Brioni und eine Jacke von Bally ausgesucht.






// Die Tasche, die ich über der Schulter trage, habe ich mir zwei Tage zuvor in einem der teuren Läden in der Fondaco dei Tedeschi gekauft, in den ich mich früher nie hineingetraut hätte, weil ich davon ausging, dass er nicht für Menschen wie mich bestimmt ist. Ich konnte sie mir eigentlich nicht leisten, hatte aber das Gefühl, etwas zu brauchen, an dem ich mich ein wenig festhalten kann, etwas, das mich durch die Auswirkungen des Arbeitspensums der vergangenen Monate trägt. Mein Vater hätte den Namen des Designerlabels nicht gekannt. Den Preis der Tasche hätte er als obszön empfunden und sich über meine Unvernunft geärgert. Er hätte den Kopf geschüttelt und sich an all die anderen in seinen Augen seltsamen Sachen erinnert, die ich in meinem Leben gemacht habe. An den Nasenring und die Tattoos, mein Leben in New York, die Idee, vom Schreiben zu leben. Als ich die Tasche kaufte, erinnerte sie mich kurioserweise an die Marx-Engels-Gesamtausgaben, die er besessen und akribisch durchgearbeitet hatte. Ihrer Farbgebung, ihrer Oberflächenbeschaffenheit, der beschichteten Leinwand ihrer Bucheinbände wegen, oder einfach weil mein Unbewusstes ein besonders passendes Bild für mein schlechtes Gewissen finden wollte. //

Daniel Schreiber, „Die Zeit der Verluste“, Hanser Berlin


Daniel Schreiber, fotografiert am 6. September in Berlin, trägt Jacke, Hose und Mütze von Auralee, Hemd von Officine Générale, Schuhe von Tod’s, Schal von Loro Piana.






Daniel Schreibers Essay „Die Zeit der Verluste“ ist schon vor einem Jahr erschienen, geht uns aber nicht aus dem Kopf: Wie lässt sich ein Leben in Zeiten um sich greifender Verluste führen? Berührend und analytisch beschreibt Schreiber das überfordernde Gefühl der Trauer – ausgehend vom Tod seines Vaters. Alles erinnert Schreiber an ihn, selbst die Tasche, die er an einem nebligen Tag in Venedig kauft, und die er braucht, um sich „an etwas festzuhalten“: Sein Vater hätte das Label nicht gekannt, schreibt er. Mode ist eben weit mehr als ein bloßes Kleidungsstück, als ein Accessoire; sie ist die Erinnerung an ein Gefühl.






// kaschmir
Von meinem ersten Gehalt kaufte ich mir einen dunkelblauen Rollkragenpullover, denn ich war jetzt erwachsen. Nach der ersten Wäsche schrumpfte er auf die Größe eines Schneidebretts. Ich hätte gerne weinend meine Mutter angerufen, aber das ging ja als Erwachsene jetzt leider nicht mehr. //

Ilona Hartmann, „klarkommen“, park x ullstein


Ilona Hartmann, fotografiert am 5. September in Berlin, trägt Jacke und Hose von Emporio Armani, Jacke um die Hüfte und Pullover von Boglioli, Schuhe von Bally, Mütze von Auralee.






Ilona Hartmann hat wieder etwas geschrieben, einen zweiten Roman, „Klarkommen“, über die Suche nach dem Platz in der Welt, im Großstadtleben. Drei Freunde ziehen nach dem Abitur vom Dorf dorthin – und merken, dass es erstmal viel weniger aufregend ist, als erwartet: „Niemand fickt, fast alle haben Angst vor Drogen, und cool sind immer nur die anderen.“ Und: „Ich wollte gerne meine Jugend verschwenden, aber doch nicht so.“ Ilona Hartmann selbst ist seit Jahren Berliner Zeitgeistgröße – wir haben sie in Emporio Armani und Boglioli gekleidet. Ob sie damit auf den Straßen der Stadt zu den Coolen zählt? Hoffentlich zu den anderen, die haben nämlich ohnehin viel mehr vom Leben.






// Der Mann kam aus wärmeren Gebieten und trug einen alten Pelzmantel aus grauschwarzem Wolfsfell. Er stand sehr still und scheinbar in Gedanken versunken, und wenn ein Soldat ihn von der Festung aus beobachtet hätte, wäre er in seinem langen Stehen und Starren auf den zufrierenden Strom einem kahlen Baum oder Baumstamm nicht unähnlich gewesen. //

Clemens Meyer, „Die Projektoren“, S. Fischer


Clemens Meyer, fotografiert am 5. September in Berlin, trägt einen Anzug von Yohji Yamamoto.






Der große Erzähler Clemens Meyer hat wohl eines der monumentalsten Werke des Jahres hingelegt: „Die Projektoren“, mehr als 1000 Seiten dick, von Leipzig bis Belgrad, von der DDR bis Jugoslawien; eine große Fahrt von einen zum anderen Ende einer nicht ganz auszumachenden Welt und Zeit. Genauso ausgefallen musste sein Fit sein: Head-to-toe-Yamamoto, mit ein paar ziemlich langen Fransen.






// Ich war es, die ihr meinen Parka draußen auf dem Parkplatz über die zitternden Schultern legte und ihr Zähneklappern hörte, das im Freien schlagartig einsetzte mit der Erkenntnis, etwas kolossal falsch gemacht zu haben. Ich war es, die ihr versicherte, dass alles wirklich nicht so schlimm sei, im Grunde gar nichts passiert und all die selbstmitleidige Reue völlig umsonst. Ich war es, die ihr in dieser Seitenlage des Lebens ihre Selbstzweifel ausredete und sie am nächsten Tag mit Coffee and TV wieder aufpäppelte. Und ausgerechnet dieser damals tragisch von Kirsten vollgeheulte, mit Lippenstift, Mascara und Make-up-Resten verschmierte waldgrüne Helmut-Lang-Parka mit den Gummilaschen am Ärmel ist es, der nun, weil ich ihn zufällig beim Vorstellungsgespräch anhabe, zum zentralen Bestandteil meines ersten improvisierten Bühnenlooks werden wird. //

Eckhart Nickel, „Punk“, Piper


Eckhart Nickel, ama 5. September in Berlin fotografiert, trägt einen Mantel von Brioni, Jacke von Zegna, Rollkragenpullover von Tod’s, Hose von Dries Van Noten.






Eckhart Nickel war schon immer da. Zumindest solange wir uns erinnern können: präzise Beobachtungen von unterwegs, Stilbeschreibungen, Zeitgeist-Analysen, Gegenwartsstakkato. Auch in seinem neuen Buch „Punk“ spricht er von Helmut-Lang-Parkas, somit ist alles wie immer: Mode- und Markenbeschreibungen als wichtigstes Stilmittel der Popliteratur, denn „Pop ist alles, was der Fall ist“, sagte er einmal, „und das ist für mich bis heute das Schönste, was ich künstlerisch erreichen kann.“ Hoch lebe der Punk, für immer lebe der Pop.


Fotos: Iga Drobisz und Mafalda Rakos
Mode und Konzept: Markus Ebner und Gabriel Proedl
Modeassistenz: Alex Rottenmanner
Stylingassistenz: Hannah Heitmüller
Fotoassistenz: Sara Malikova und Paola Lesslhumer
Haare und Make-Up: Noriko Takayama und Jana Kalgajeva






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