Von Lügen und Entlarvung: Der Riefenstahl-Film in Pöcking – Starnberg | ABC-Z
Nur 300 Meter Luftlinie vom Pöckinger Bürgerhaus Beccult entfernt befindet sich ihre alte Villa. In dem Anwesen hat Leni Riefenstahl 24 Jahre lang bis zu ihrem Tod 2003 gelebt. Die NS-Propagandafilmerin wurde 101 Jahre alt und vermachte ihren Nachlass der Stiftung Preußischer Kulturbesitz in Berlin.
Nachdem ihr Lebensgefährte, der sehr viel jüngere Kameramann Horst Kettner, Ende 2016 starb und das Haus zum Verkauf stand, ergriff die Journalistin und Talkshow-Moderatorin Sandra Maischberger die Chance: Sie und der Doku-Regisseur Andres Veiel bekamen Zugang zu 700 Kisten, in die Filme, Fotos, Manuskripte, Briefe sowie Kalender und Dokumente aus dem Riefenstahl-Archiv verpackt waren. Diesen großen Fundus hat Maischberger mit ihrem Team weitgehend ausgewertet und auf dieser Basis den viel beachteten Kinofilm „Riefenstahl“ produziert. Der Streifen wurde jetzt auch am Samstagabend im ausverkauften Beccult gezeigt – mit dabei: Produzentin Maischberger selbst.
Als einer der ersten Besucher betritt Frauke von der Haar das Beccult. Die Direktorin des Münchner Stadtmuseums erhofft sich, Hintergründe erfahren zu können über die umstrittene Filmemacherin Riefenstahl, die in „Triumph des Willens“ 1934 den NSDAP-Parteitag in Nürnberg und die Olympischen Spiele 1936 in Berlin mit innovativer Kamera- und Regietechnik dokumentiert und den Propagandafilm „Tiefland“ mit 50 Komparsen aus Konzentrationslagern gedreht hatte.
Auch der Schauspieler Felix Everding möchte mehr über das Leben und Wirken von Riefenstahl erfahren, die sich nach dem Zweiten Weltkrieg als unpolitische Künstlerin darstellte, die nur Aufträge erfüllt habe. In Interviews und in einer Talkshow wies sie stets selbstgerecht jede Mitschuld von sich und leugnete, von den Verbrechen der Nazis gewusst zu haben.
Gespannt auf den Film, in dem bisher unveröffentlichtes Material gezeigt wird, ist eine 59-jährige Münchnerin, die in der dritten Reihe sitzt. Sie möchte verstehen lernen, wie „filmische Ästhetik manipulative Kräfte entfaltet, täuscht und verführt“. Ihre Nachbarin dagegen ist sich nicht schlüssig gewesen, ob sie den Film anschauen will. Es sei doch problematisch, dieser Person abermals so viele Aufmerksamkeit zu schenken, sagt die Frau. Doch zwei Stunden später ist sie beeindruckt, wie in der Doku Riefenstahls Widersprüche und Lügen aufgedeckt und auch Wutausbrüche der Regisseurin gezeigt werden. Besonders entlarvend empfindet die Zuschauerin die Szene einer Reportage aus den Siebzigerjahren, in der Riefenstahl beim Nuba-Stamm im Sudan heranlaufenden Kindern von einem Pick-up aus Süßigkeiten zuwirft. „Das sieht aus wie eine Fütterung von Tieren. Ihr Gebaren ist menschenunwürdig und erinnert an schlimmste Kolonialzeiten“, sagt die Besucherin.
Beeindruckt von dem Kinofilm ist auch Ulf Steinborn aus Pöcking, denn er habe viele Neues erfahren. Jutta Götze, die auch in Pöcking wohnt, betont, dass dieser Film durchaus einen Bezug zur Gegenwart habe. Es ist einer der Aspekte, die kurz darauf auf dem Podium im Gespräch zwischen dem Kulturmanager Felix Mauser und Sandra Maischberger angerissen werden. Es seien in heutigen Aufnahmen – zum Beispiel bei Militärparaden auf dem Roten Platz in Moskau – viele Muster der „Opulenz und Perfektion“ der Riefenstahl-Kameraführung und deren Regie zu erkennen, sagt Maischberger. Ihr Team habe auch herausgefunden, dass Leni Riefenstahl bereits 1931 Hitlers „Mein Kampf“ gelesen hatte, der tödlichen NS-Ideologie angehangen habe und diese mit ihren Werken mit verbreitet habe. Riefenstahl habe zudem immer abgestritten, beim Feldzug der Wehrmacht in Polen durch eine Regieanweisung an einem Marktplatz ein Massaker an Juden ausgelöst zu haben.
Maischberger erläutert zudem, dass Riefenstahl ihren Nachlass „bearbeitet und gesäubert“ habe, um ihre ganz eigene Version der Geschichte der Nachwelt zu vermitteln. Die TV-Moderatorin hatte Riefenstahl ein Jahr vor deren Tod in deren Pöckinger Haus besucht, doch das Interview gelang nicht. „Denn ich bin gegen eine Wand und Fassade gelaufen“, räumt Maischbergkamer ein, deren Film und Bühnenauftritt beklatscht wurde. Die 58-Jährige erhielt Blumen und ein Buch über Pöcking im Nationalsozialismus, das Bürgermeister Rainer Schnitzler der sichtlich gerührten Produzentin überreichte.
Zu den Gästen des Abends gehört auch der Kabarettist Bruno Jonas. „Dies ist ein wichtiger Film, der zum Weiterdenken anregt, gerade in der gegenwärtigen Zeitenwende“, sagt Jonas. Er frage sich zwar schon, wie man selbst damals im Dritten Reich gehandelt hätte. Erschütternd sei es allerdings, wie Leni Riefenstahl die Wahrheit bis zum Lebensende verdrängt und geleugnet habe, so Jonas.
Riefenstahl hat sämtliche Telefonanrufe mitgeschnitten, bei denen ihr bewundernd Anerkennung zugesprochen wurde. „Sie hatte auch viele finanzielle Unterstützer“, weiß Maischberger. Und eines ist ebenso bekannt: Es sind noch nicht alle 700 Kisten von Hitlers Lieblingsfilmerin ausgepackt.