Von Body Positivity ist längst keine Rede mehr | ABC-Z

Dass Demi Moore bei der Met Gala Anfang Mai als übergroße Krawatte über den blauen Teppich lief, fiel vielen kaum auf. Auch dass der amerikanische Modemacher Thom Browne das schulterfreie schwarzweiße Kleid der Schauspielerin mit mehr als 1,4 Millionen Perlen und Pailletten besetzt hatte, nahmen viele erst auf den zweiten oder dritten Blick wahr. Die Augen klebten an Moores Schultern, an Schlüsselbein und Hals, die nichts als Haut, Knochen und Sehnen schienen. Der Skelettlook ließ die mit Diamanten behängten Ohren der Zweiundsechzigjährigen unnatürlich groß wirken, ihre aufgespritzten Apfelbäckchen unnatürlich prall.
Die mageren Arme der Schauspielerin hatten schon bei der Verleihung der Screen Actors Guild Awards Ende Februar Aufsehen erregt. In sozialen Medien debattierten viele Fans über einen möglichen Rückfall zu Essstörungen, dank Stress und Hollywoods überzogenen Erwartungen an Schauspielerinnen. Andere verwiesen auf Abnehmspritzen wie Ozempic, Mounjaro und Wegovy. „Es sollte eine Vorschrift geben, die es offensichtlich unterernährten und hungernden Celebritys verbietet, ihren Körper auf roten Teppichen auf diese Weise zur Schau zu stellen“, verlangte eine Nutzerin bei Reddit.
Magerarmen und Knochenschultern
Der Trend zum Magerlook hat sich weiter verschärft. Neben Moore fiel auch Nicole Kidman trotz ihrer Neuauflage einer Balenciaga-Kreation aus den Fünfzigern und Kurzhaarfrisur vor allem durch Schulterknochen und dünne Ärmchen auf. „Medikamente wie Ozempic in Kombination mit veränderten Essgewohnheiten und einem neuen Lebensstil haben hier eine Rolle gespielt“, sagte der amerikanische Schönheitschirurg Gaurav Bharti der „Daily Mail“ nach dem Auftritt der schon in der Vergangenheit chronisch schlanken Oscar-Preisträgerin. Wie Kidman, Priyanka Chopra und Vera Wang überraschte auch Nicole Scherzinger, in den Jahren als Frontfrau der Pussycat Dolls alles andere als moppelig, bei der Met Gala mit Magerarmen und Knochenschultern. „Nicole hat vor der Met Gala abgenommen. Wahrscheinlich mit der Hilfe von GLP-1“, verwies der New Yorker Mediziner Jimmy Sung auf die für Diabetiker entwickelten GLP-1-Analoga, die vor knapp zwei Jahren als Abnehmspritzen in Hollywood Einzug hielten.
Während sich damals meist rundere Prominente wie Kelly Clarkson, Oprah Winfrey und Amy Schumer jede Woche den sogenannten Pen setzten, greifen inzwischen auch Hollywoods dünne Stars zur Abnehmspritze. Der Wettstreit um möglichst viel Haut, Knochen und Brustbein lässt bei vielen Erinnerungen an den Trend zu Size Zero in den frühen Nullerjahren aufkommen, als Models wie Gisele Bündchen und Kate Moss auf dem Laufsteg für gefährliches Untergewicht gefeiert wurden. Ariana Grandes unverhältnismäßig großer Kopf über ihrem zerbrechlichen Torso, den sie Anfang des Jahres als Oscar-Kandidatin für den Musicalfilm „Wicked“ zur Schau trug, provozierte Vergleiche mit Nicole Richies Proportionen vor 15 Jahren. Der Beiname Lollipop, ein Hinweis auf ihren runden Kopf auf dünnem Körper, hängt Richie bis heute nach.
Mit Microdosing Depressionen in Schach halten
Hollywoods Bekenntnis der vergangenen Jahre, Bauch, Speckröllchen und Doppelkinn mit Selbstbewusstsein zu begegnen, ist ebenso aus der Mode wie Brazilian Butt Lifts à la Kim Kardashian und Iggy Azalea. Selbst Lizzo und Mindy Kaling, bis vor einigen Monaten noch Frontkämpferinnen der Body Positivity, tragen inzwischen schlank. Die bislang auf roten Teppichen üblichen Konfektionsgrößen 34 bis 38 sind auf 32 bis 34 geschrumpft. „Die Abnehmspritze hat das Narrativ der Unterhaltungsindustrie geändert“, sagte Charlotte Markey, Psychologin an der Rutgers University in New Jersey, der „New York Post“. Es werde mehr über Medikamente zur Gewichtsabnahme gesprochen und neue Trends, die mit ihnen verbunden sind, als über Selbstakzeptanz. „In Zukunft werden wir aber auch öfter über unerwünschte Nebenwirkungen der Abnehmspritzen hören“, warnte Markey.
Zu den Trends, die das vermeintliche Wundermittel aus Semaglutid und Tirzepatid laut der Psychologin mit sich bringt, gehört Microdosing. Die kleine Dosen von Ozempic, Mounjaro oder Wegovy sollen nicht nur helfen, ein paar Pfunde zu verlieren, um bei Castings oder Premierenfeiern eine gute Figur abzugeben. Viele Celebritys setzen auch auf Energieschübe und klare Gedanken, die gelegentliche kleine Portionen von GLP-1 angeblich fördern. „Patienten, die microdosen, berichten über bessere Stimmung und emotionales Gleichgewicht. GLP-1 hilft vielen, Depressionen in Schach zu halten“, sagte die New Yorker Dermatologin Anetta Reszko dem Branchenblatt „The Hollywood Reporter“.
Die geringen Dosen der Abnehmspritze unterdrücken bei vielen nicht nur den Appetit. Einige prominente Patienten sollen sich durch Microdosing auch von Alkohol, Zigaretten und Shoppingzwängen befreit haben. Dass die Folgen der geringen Dosen bislang nicht getestet wurden, schreckt Hollywood nicht ab. Nach SAG Awards, Oscars und Met Gala laufen Moore, Kidman und Grande vorerst weiter als Lollipop über den roten Teppich.