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Volksbegehren „Berlin werbefrei“: Hier könnte Ihre Werbung bald nicht mehr hängen | ABC-Z

Berlin taz | Dass Totgesagte länger leben, ist eine Binse, aber manchmal stimmt es tatsächlich. Wobei: Totgesagt war das Volksbegehren „Berlin werbefrei“ gar nicht, es war einfach von der Bildfläche verschwunden. Nur manchmal meldete sich eine vage Erinnerung zurück an die 2017 gestartete Kampagne mit ihren verdrießlichen Berliner Bären, die auf die Frage „Werbung?“ mit einem so einsilbigen wie kategorischen „Nö“ antworteten.

Seit letzter Woche ist „Berlin werbefrei“ zurück: Sieben Jahre nachdem die Initiative 32.456 gültige Unterschriften für ein Volksbegehren eingereicht hatte, gab der Senat grünes Licht und erklärte den Entwurf für ein „Gesetz zur Regulierung von Werbung im öffentlichen Raum“ für zulässig. Bis Dezember muss sich das Abgeordnetenhaus damit befassen. Wenn es den Entwurf ablehnt, könnte 2026 eine Entscheidung im Volksentscheid an den Urnen fallen (s. Kasten).

Zur Erinnerung: Das Werberegulierungsgesetz würde keineswegs jegliche Werbung verbieten, sondern diese nur in ihre Schranken weisen. Zulässig bliebe etwa das Meiste, was an Läden und Betrieben die dort angebotenen Waren oder Dienstleistungen anpreist. Auch Aufsteller oder Schilder könnten vor der „Stätte der Leistung“, wie es im JuristInnendeutsch heißt, stehen bleiben.

Ebenso könnte an Litfaßsäulen, Toiletten, Haltestellen oder Bauzäunen geworben werden – mit Einschränkungen: Plakate dürften nicht das „Bogenformat 4/1“ überschreiten, bekannt von den Seitenwänden der BVG-Bushaltestellen. Zudem müsste die Hälfte der Anzeigeflächen für Veranstaltungswerbung oder gemeinnützige Organisationen reserviert sein. An Bauzäunen wären nur Informationen über das Bauvorhaben sowie Werbung für dort bauende Unternehmen erlaubt.

„Störende Häufung“ verboten

Gänzlich tabu wären Großplakate, die Grünflächen oder die „architektonische Gliederung baulicher Anlagen“ verbergen, Werbung, die „die Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs gefährdet“, „in störender Häufung“ sowie beleuchtete und digitale Werbeanlagen. Krasse Auswüchse wie haushohe Smartphone-Anzeigen an Baugerüsten wären definitiv Geschichte.

Volksbegehren und Volksentscheid: So geht’s

Stufe 1 Der Weg zu einem Volksentscheid ist weit. Am Anfang steht der Antrag auf Einleitung eines Volksbegehrens. Hierfür braucht es mindestens 20.000 gültige Unterschriften, „Berlin werbefrei“ kam auf mehr als 32.000.

Stufe 2 Sollte das Parlament das Anliegen nicht übernehmen, beginnt das eigentliche Volksbegehren, ebenfalls eine Unterschriftensammlung. Für einen Erfolg müssen 175.000 Unterschriften zusammenkommen.

Stufe 3 Zuletzt kommt der Volksentscheid, ein Wahlvorgang. Nimmt mindestens ein Viertel der Wahlberechtigten teil und stimmt davon die Mehrheit mit Ja (aktuell rund 613.000 Stimmen), ist der Entscheid erfolgreich. (taz)

Wie Fadi El-Ghazi, Mitinitiator von „Berliner werbefrei“, der taz erklärt, war der Gesetzentwurf anfangs noch radikaler: Er sah etwa als Maximalgröße von Anzeigen das Format A0 (ein Viertel des 4/1-Formats) vor. Man habe sich aber vom Senat überzeugen lassen, dass das 4/1-Format als europaweiter Standard zulässig bleiben sollte: „Da sind wir der Werbewirtschaft ein Stück entgegengekommen.“

Auch Produktwerbung jenseits der „Stätten der Leistung“ war im ersten Entwurf nicht vorgesehen, und die Übergangsfrist zum Abbau bestehender Anlagen wurde von 2 auf 5 Jahre verlängert. Zudem sollen Werbe-Schriftzüge auf Hochhäusern nun bleiben können, wenn sie nicht beleuchtet werden.

Dass „Berlin werbefrei“ so lange in der Versenkung verschwand, hatte laut El-Ghazi mehrere Gründe, vor allem aber die Verschleppungstaktik des Senats, die das Momentum gleich zu Beginn abwürgte: Rund 500 Tage dauerte es nach Unterschriften-Abgabe, bis die Innenverwaltung im November 2019 verkündete, man habe die Prüfung der Rechtmäßigkeit abgeschlossen: „Nicht zulässig“, so das Diktum – weil der Entwurf auch einen Teil enthält, der Werbung in Schulen oder Unis einschränkt. Es dauerte ein Jahr, bis das Berliner Verfassungsgericht zumindest diese Argumentation abschmetterte. Im Grundsatz überzeugt war der Senat aber nicht.

Es mag ein wenig an Corona gelegen haben, dass es dann noch fast 5 Jahre dauerte, aber eben auch an der Untätigkeit der Verwaltung: Als die Initiative 2022 einen überarbeiteten Entwurf einreichte, hoffte sie, dass ein Volksentscheid gleichzeitig mit der Europawahl 2024 stattfinden könnte, denn das Quorum ist nur an Wahltagen sicher zu erreichen. Auch hier: Fehlanzeige – „obwohl“, so El-Ghazi, „wir immer wieder Stress gemacht und genervt haben“.

In Hamburg hat es nicht gereicht

Dann wollte der Senat abwarten, ob das Volksbegehren „Hamburg werbefrei“ vom dortigen Verfassungsgericht akzeptiert werden würde. Wurde es – allerdings verfehlte dann die Unterschriftensammlung die Zielmarke. Vielleicht auch, weil die Werbewirtschaft „zufällig“ gleichzeitig eine Kampagne fuhr, die zeigen sollte, wie sehr gemeinnützige Organisationen von ihr profitieren.

Irgendwann, räumt Fadi El-Ghazi ein, war auch „Berlin werbefrei“ daran gelegen, den Lauf der Dinge zu entschleunigen: „Da waren wir ein bisschen strategisch.“ Denn jetzt sieht der Zeitplan wie folgt aus: „Große“ Unterschriftensammlung ab Januar 2026, Einreichung Mitte Mai, Volksentscheid am 20. September, wenn das Abgeordnetenhaus gewählt wird.

Auch wenn die Initiative aktuell nur ein halbes Dutzend Aktive zählt, glaubt El-Ghazi an den Erfolg: „Am Tag, nachdem der Senat die Zulässigkeit erklärt hat, haben wir 15 Anmeldungen zum Unterschriftensammeln bekommen“, berichtet er. „Viele Leute sind von Werbung genervt, deshalb werden wir schnell wieder UnterstützerInnen gewinnen.“

Die große Unbekannte ist nun die Politik. Während in Hamburg Rot-Grün das Volksbegehren mit Verweis auf wirtschaftliche Folgen ablehnte, signalisieren die Berliner Grünen Zustimmung: „Die zunehmende Kommerzialisierung des öffentlichen Raums wird zu Recht kritisiert“, so Landeschef Philmon Ghirmai. Um sie einzudämmen, sei das Gesetz „gut geeignet“. Jetzt müssten alle Fraktionen „in konstruktive Gespräche mit der Initiative eintreten“. Die Linke gibt sich in Person von Landeschef Maximilian Schirmer sogar noch etwas radikaler: „Jeder Zentimeter der Stadt hängt inzwischen mit Werbung voll, die uns Produkte anbietet, die wir meistens gar nicht brauchen.“

Fadi El-Ghazi freut sich über den Rückhalt, gibt aber auch zu bedenken: „Rot-Rot-Grün hatte schon damals die Chance zu verhandeln – stattdessen haben sie uns zum Verfassungsgericht geschickt.“ Von jener Dreierkoalition ist nur noch die SPD an der Macht. Deren Fraktion teilte der taz auf Anfrage mit: „Die Positionierung zum Gesetzentwurf des Volksbegehrens ‚Berlin werbefrei‘ war bisher kein Thema. Die Fraktion kommt im September das nächste Mal zusammen.“

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