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Vielseitigkeitsreiten: Deutsche Mannschaft gewinnt in Blenheim EM-Gold – Sport | ABC-Z

„Je besser man trainiert, umso weniger Glück braucht man“, hatte die deutsche Equipe-Chefin Annette Wyrwoll gesagt, vor dem abschließenden Springen der Europameisterschaft im Vielseitigkeitsreiten in Blenheim Park unweit der englischen Universitätsstadt Oxford. „Wir hatten natürlich auch Glück“, stellte hingegen Michael Jung zum deutschen Mannschaftssieg fest, errungen mit unglaublichen 37 Punkten Vorsprung. Doch das war wohl eher eine Nettigkeit in Richtung der Gastgeber. Denn das Glück der Deutschen war in erster Linie das Pech der anderen gewesen, der tief enttäuschten Briten, die fest davon ausgegangen waren, hier im Park des Herzogs von Marlborough zu triumphieren. Ihre Medaille fiel buchstäblich ins Wasser, nachdem vier Reiterinnen unfreiwillig den Sattel verlassen hatten, davon zwei Mitglieder des britischen Teams. Die beiden verbliebenen Mannschaftsreiter Laura Collett und Tom McEwan konnten nun unbeschwert drauflosreiten, ihre Einzelmedaillen, Gold für Collett auf Landos und Bronze für McEwen auf Dublin, waren am Ende mehr als ein schwacher Trost. Dazwischen lag Jung, der im Einzel Silber gewann.

Auch eine Medaille verdient hätte der Kursdesigner Mark Phillips. Es war vielleicht der letzte Championatskurs, den der 77-jährige Mannschaftsolympiasieger von München 1972 entworfen hat. Er hatte es in der Hand, ob wirklich die Besten am Ende vorn liegen und trotzdem die schwächeren Reiter nicht untergehen – und das ist ihm perfekt gelungen.

Die direkten Wege waren schwer und technisch, das heißt, mit kniffligen Aufgaben wie schräg hintereinander aufgestellten Hindernissen, schwierigen Distanzen, Maximalhöhen versehen. Da brauchten Reiter und Pferde schon eine gehörige Portion Mut und Energie. Vorsichtige Reiter wählten längere Wege, brauchten dafür zwei Minuten mehr, bekamen zwar keine Medaille, aber hatten auch einen schönen Tag. Kein Reiter erreichte die Bestzeit. Mehr als die Hälfte der 55 Starter blieben ohne Hindernisfehler, 14 schieden aus oder gaben auf. Sechs Reiter fielen vom Pferd, aber nur ein Pferd stürzte – ohne sich zu verletzen. Beim letzten tierärztlichen Test kamen alle Pferde munter, manche übermütig daher, sodass keines aus dem Wettbewerb genommen werden musste – das sind die Daten, an denen ein Aufbauer gemessen wird und die letztlich das Bild prägen, das dieser in der Öffentlichkeit häufig kritisierte Sport abgibt.

Einen großen Anteil an diesem Bild hatte der perfekte Rasen im Schlosspark. Bettina Hoy, Europameisterin 1997 und in Blenheim als TV-Kommentatorin dabei, sagte: „Die Böden in diesen alten Parks, das, was die Engländer Old Turf nennen, sind die besten. Das kriegt man auch mit modernster Technologie nicht so hin.“ Leider dauert es ein paar hundert Jahre, bis der Boden so federnd und pferdefußfreundlich ist.

Phillips selbst sah am Ende seine Mission erfüllt: „Die besten Reiter mit den besttrainierten Pferden liegen vorne. So sollte es sein.“ Da würde ihm Annette Wyrwoll nicht widersprechen. „Wir waren bestens vorbereitet, unsere Pferde sind hervorragend ausgebildet. Das zahlt sich nicht nur in der Dressur aus, sondern auch im Gelände.“ Es spart Kraft, wenn der Reiter nicht lange mit seinem Pferd diskutieren muss, sondern es auf Zuruf, sprich auf ganz feine Kontakte reagiert, sich drehen und wenden, beschleunigen und zurücknehmen lässt. Rennfahrer würden sagen, wenn Bremse, Gaspedal und Lenkrad optimal funktionieren.

Jung ließ sein Pferd im Mittelteil ruhiger gehen – der Gedanke an Aachen ritt bereits mit

Bis die Zusammenarbeit so weit ist, kann es dauern, da liegen auch viele Stunden akribischen Trainings im Dressurviereck davor. Michael Jung, Erster nach der Dressur, sagte: „Chipmunk und ich lernen noch immer noch jeden Tag dazu.“ Einzelreiter Calvin Böckmann, 24, der mit Platz vier knapp an einer Einzelmedaille vorbeischrammte, musste am Anfang der Strecke mächtig in die Zügel greifen, bekam seinen stürmischen Fuchs The Phantom of the Opera aber von Sprung zu Sprung besser in den Griff und dafür allerhöchstes Lob von Bundestrainer Peter Thomsen: „Er hat sich jetzt mit seinem Pferd so gut eingefuchst, dass es auch bei höherem Tempo gut aussieht. Ich hätte ihm eine Medaille gegönnt, aber er ist noch jung, er wird noch viele Medaillen gewinnen.“

Wenigstens noch eine, besser zwei möchte Michael Jung mit Chipmunk bei der Weltmeisterschaft in Aachen im nächsten Jahr gewinnen. Dann ist der Hannoveraner 18 Jahre alt, nicht mehr jung, aber auch nicht zu alt. In Blenheim waren drei 18-jährige Pferde am Start, alle drei beendeten den Kurs. Ein Beweis, dass Spitzensport bei richtiger Pflege und vernünftigem Einsatz die Pferde lange gesund halten kann.

Chipmunk ist seit mehr als acht Jahren im Topsport unterwegs und hat entsprechend viele Kilometer in den Beinen. Wenn er mit weit ausholenden Galoppsprüngen durchs Gelände zieht, sieht man ihm sein Alter nicht an. Aber sein Reiter spürt natürlich, dass er nicht mehr auf einem Siebenjährigen sitzt. Deshalb ließ Jung im Mittelteil sein Pferd etwas ruhiger gehen, damit es wieder zu Atem kommt, deswegen ritt er nicht den letzten Tropfen Benzin aus dem Tank. Und das unterscheidet am Ende den ambitionierten vom klugen Reiter. Der Gedanke an Aachen ritt in Blenheim schon mit.

Bei der Weltmeisterschaft ist das Gelände flach und weniger kräftezehrend als im hügeligen Blenheim, aber dann sind die starken Reiter aus Australien, Neuseeland und USA dabei. Die deutschen Reiter, die sich jetzt bewährt haben, dürfen auf die WM hoffen. Aber dann wird die Auswahl schon dünn. „Das macht mir Sorgen“, sagte Annette Wyrwoll, „wir haben vielleicht 20 Reiter, die so ein Championat reiten können, die Briten mindestens 40.“ Aber sie kann sich trösten: Die Masse macht’s nicht, wie man sieht.

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