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Vertreibung aus Sudan: Zerrissen zwischen den Kriegen | ABC-Z

Beirut taz | Mit 14 Jahren sei er von Khartum, der Hauptstadt Sudans, nach Libanon gekommen, erzählt Mohammad Osman. Mittlerweile ist er 44 Jahre alt, und die langen Jahre der harten Arbeit haben Spuren in sein Gesicht gezeichnet.

Als Mohammad Mitte September in den südlichen Vorstädten der libanesischen Hauptstadt Beirut von seinem Leben erzählt, liegt die Eskalation des Krieges in Libanon am 23. September noch etwa zwei Wochen in der Zukunft. Seinen Alltag beherrscht damals nicht der bald eskalierende Krieg in Libanon, sondern der in seinem Heimatland Sudan: Einst ein Ort der Erinnerungen, ist er für Mohammad seit April 2023 zu einem Land der Albträume geworden.

Damals bricht infolge eines Machtkampfs zwischen zwei Militärführern – General Abdel Fattah al-Burhan von den Sudanesischen Streitkräften (SAF) und General Mohamed Hamdan Daglo, bekannt als „Hamedti“ von den Rapid Support Forces (RSF) – der Krieg aus. Er entzündet sich an der Frage, wie die RSF in die reguläre Armee, die SAF, integriert werden sollten. Der Konflikt zwischen den beiden ist ein Produkt der vorangegangenen Militärdiktatur unter Omar al-Bashir. Unter der Führung Burhans und Hamedtis stürzten SAF und RSF diesen in einem Coup.

„Zu Beginn des Sudankrieges verlor ich über drei Wochen lang den Kontakt zu meiner Familie“, sagt Mohammad mit zitternder Stimme. „Ich war überzeugt, dass sie getötet wurden.“ Die Kommunikation wurde danach noch schwieriger, als die wichtigsten Internetanbieter Sudans im Februar 2024 offline gingen. Ohne Internet- oder Telefonzugang waren über 30 Millionen Sudaner mehr als einen Monat lang von der Außenwelt abgeschnitten. Die Stille war auch für Mohammad quälend.

Sudan-Sonderseiten des taz-Panter-Workshops EU und Migration

Dieser Text stammt aus einer Sonderbeilage der taz Panter Stiftung zur Vertreibung aus dem Sudan. Sechs Jour­na­lis­t:in­nen aus Europa, Nordafrika und dem Nahen Osten hatte die Stiftung im Mai 2024 für einen Workshop nach Berlin eingeladen. Sie alle sind Ex­per­t:in­nen für das Thema, das die Wahlen in Europa bestimmt wie kein zweites: Migration und der Kampf gegen diese. Mit den Teil­neh­me­r:in­nen dieses Workshops und anderer Projekte der taz Panter Stiftung wurde die am 25. Oktober 2024 erschienene Sonderbeilage konzipiert. Sie soll ein Schlaglicht auf den vernachlässigten Sudankonflikt werfen – und zeigen, was er mit der Migrationspolitik Europas zu tun hat. Die Podiumsdiskussion der Work­sh­opteil­neh­me­r:in­nen Ende Mai in Berlin finden Sie hier, die im Rahmen des Workshops entstandenen Folgen des Panter-Podcasts „Freie Rede“ hier. Mit dem Workshop, der allein durch Spenden ermöglicht wurde, wollte die Stiftung Austausch und Vernetzung schaffen, um eine fundierte Berichterstattung über Migration zu stärken.

Vom Tellerwäscher zum Gemüseverkäufer

Fern ihrer Heimat und der Familie arbeiten nach Angaben der Internationalen Organisation für Migration in Libanon etwa 161.000 Menschen. Von ihnen stammen etwa 9 Prozent aus Sudan.

Mohammad hat viele Erinnerungen an sein Heimatland: „Ich lebte am Stadtrand von Khartum und verbrachte meine Kindheit mit meinen Cousins und Nachbarn damit, zwischen den Zuckerrohrfeldern Ball zu spielen und dabei den Bauern zu entkommen, die uns mit ihren Traktoren verjagen wollten.“

Doch seine Kindheit fand ein jähes Ende, als sein Vater beschloss, ihn mit seinem Onkel väterlicherseits nach Libanon zu schicken. Der hatte dort Arbeit als Hausmeister gefunden. Mohammads fünfköpfige Familie hatte bereits Schwierigkeiten, über die Runden zu kommen, und sah Arbeitsmigration als Chance. „Als ich mit 14 Jahren nach Libanon kam, endete meine Kindheit offiziell. Ich wurde ein Mann“, sagt Mohammad bedeutungsvoll.

Als ich mit 14 Jahren nach Libanon kam, endete meine Kindheit offiziell

Mohammad Osman

Nach seiner Ankunft vor vielen Jahren fand er sich erst als Tellerwäscher in einem geschäftigen Hotel in der Hamra Street wieder, einer der pulsierenden Hauptverkehrsadern der Stadt. Das Leben war auf einmal weit entfernt von den unbeschwerten Kindheitstagen in Khartum. Im Laufe der Jahre stieg Mohammad schließlich zum Leiter in einem großen Gemüseladen in den südlichen Vororten von Beirut auf. Libanesen, Syrer und Sudanesen arbeiten dort unter ihm. Ihr gemeinsames Ziel, so Mohammad: „Das beste Gemüse anzubieten.“

Sorge um die Familie im sudanesischen Darfur

Die südlichen Vorstädte Beiruts sind heute schwer vom Krieg mit Israel betroffen. Die meisten Menschen haben das Gebiet verlassen – wahrscheinlich auch Mohammad. Wie es ihm heute ergeht, ist nicht bekannt, der Kontakt mit ihm ist abgebrochen.

Als in Beirut noch alles halbwegs normal war, wurde Mohammads Alltag dennoch überschattet von den Unruhen in seiner Heimat. „Die Tage sind schwierig und voller Herausforderungen“, sagt er. Zwischen der Verfolgung der Kriegsereignisse in Sudan und der Sorge um seine Eltern und die Schwester, die in Darfur in Westsudan leben, sei es schwer, sich auf die Arbeit zu konzentrieren.

Mohammad standen seine Kollegen aus dem Gemüseladen bei, etwa Omar Farrouk Gassem. Auch er stammt aus Sudan. Und auch wie es ihm nach dem Ausbruch des Krieges in Beirut ergangen ist, ist nicht bekannt.

Damals, in dem Gemüseladen in Südbeirut, konnte Omar Mohammads Gefühle gut nachvollziehen: Auch die Kommunikation mit seiner Familie ist mit Herausforderungen verbunden. Seine Frau, seine beiden kleinen Töchter und seine Eltern haben Zuflucht in Renk in Südsudan gesucht. „Ich versuche, sie jeden Tag anzurufen“, sagte er, „aber aufgrund der Sicherheitslage und der politischen Unruhen ist der Empfang nicht immer gut.“

250 US-Dollar schickt Omar monatlich in den Sudan

Omars Glückstage sind die, an denen die Verbindung hält und er mit seinen Töchtern per Videoanruf sprechen kann. „Sie sagen mir, dass sie mich vermissen, aber sie haben keine Ahnung, wie sehr ich sie vermisse“, sagt er. „Neulich weinte meine fünfjährige Tochter Somaya und sagte, sie würde aufhören zu essen und zu trinken, bis ich nach Sudan zurückkäme. In dieser Nacht weinte ich mich in den Schlaf.“

Omar hat seine Familie seit vier Jahren nicht mehr gesehen. Die Distanz bestimmt sein Leben. Zu ihnen zurückzukehren würde aber bedeuten, seinen Job in Libanon aufzugeben – und in einem Flüchtlingslager in Sudan auf Hilfe angewiesen zu sein. „Ich schicke ihnen 250 Dollar im Monat und lebe selbst von 150 Dollar“, erklärt er.

Aber das reicht nicht aus. Seine Familie benötigt dennoch Hilfe von den Organisationen der Vereinten Nationen sowie von anderen Hilfsorganisationen, insbesondere für die Medikamente seiner Eltern. Das Gesundheitssystem in Sudan ist zusammengebrochen, laut dem International Rescue Committee sind mehr als 70 Prozent der Gesundheitseinrichtungen in Konfliktgebieten nicht funktionsfähig oder geschlossen, sodass Millionen Menschen keinen Zugang zu medizinischer Versorgung haben.

Omars Kinder haben immerhin das Glück, in der Nähe ihrer Unterkunft zur Schule gehen zu können – im Gegensatz zu vielen anderen sudanesischen Kindern. Die Vereinten Nationen schätzen, dass über 10.400 Schulen in von Konflikten betroffenen Gebieten geschlossen wurden, wodurch 19 Millionen Kinder derzeit keine Bildung erhalten und anfällig für Ausbeutung sind.

Der Libanon ist selbst ein Kriegsgebiet

Omar kam 2009 zum ersten Mal nach Libanon, damals war er 19 Jahre alt. In den vergangenen 15 Jahren trug er die Verantwortung für seine Eltern und bis zu ihrem Tod seine Großeltern mütterlicherseits. Viele Stunden lang sind seine Arbeitstage: Gemüse schälen, Produkte arrangieren.

Das Gehalt von Mohammad und Omar ist, wie bei vielen sudanesischen Arbeitern in Libanon, eine Lebensader für die Zurückgebliebenen. Sie tragen die Narben des Krieges an sich – sowohl aus der Ferne als auch in der Nähe. Und arbeiten dennoch unermüdlich weiter – in der Hoffnung, einmal in einen friedlichen Sudan zurückkehren zu können.

Dazu kommt noch die Ungewissheit des Lebens in Libanon, der selbst von Krisen und Kriegen gebeutelt ist. Mitte September steht Omar vor dem Gemüseladen, blickt auf die belebte Straße und murmelt: „Ich vermisse sie mehr, als Worte sagen können.“

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