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Verträge für den ÖRR: Abgeordnete wollen nicht nur Statisten sein | ABC-Z

Der Thüringer Landtag hat am 16. Mai dieses Jahres als erstes der 16 Landesparlamente dem Reformstaatsvertrag für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk zugestimmt. Die Koalitionsregierung aus CDU, SPD und BSW verfügt im Landtag nur über 44 von 88 Sitzen und damit über keine Mehrheit. Das Votum für den Medienstaatsvertrag erfolgte mit den Stimmen der Linken-Fraktion. „Ohne Ausschussberatung, ohne Anhörung, ohne ernsthafte Debatte hat der Landtag den Reformstaatsvertrag zum öffentlich-rechtlichen Rundfunk verabschiedet“, monierte dies Jens Cotta, der medienpolitische Sprecher der AfD-Fraktion im Thüringer Landtag.

Doch die Abgeordneten haben nichts falsch gemacht. Anders als in den meisten Landesparlamenten spulten sie nicht das Prozedere für Medienstaatsverträge ab, wie es seit Jahrzehnten üblich ist: Vorinformation des Parlaments, Überweisung an die Ausschüsse, Anhörung von Fachleuten, Diskussion, zweite Lesung im Plenum und schließlich Abstimmung. Nahezu alle Medienausschüsse führten Expertenanhörungen durch: In Bayern kamen zehn medienpolitische Autoritäten zu Wort, vierzehn waren es in Nordrhein-Westfalen, in Sachsen acht und in Hessen sechs. An die 50 Professoren, Intendanten, Juristen, Verbandsvertreter oder Gewerkschafter stellten ihre Ansichten zum öffentlich-rechtlichen Rundfunk vor. Einige der Ausführungen sind im Archiv der Landtage zu finden, andere per Video verfügbar. Die meisten allerdings hatten nur eine kurze Verweildauer.

Die Kritik lief ins Leere

Zu den Einsparmöglichkeiten wurde unter anderem die Kooperation der Anstalten untereinander sowie mit privaten Medien genannt. Wichtig seien mehr gemeinsame technische Lösungen, die Konzentration auf den Kern des Auftrags und Kontrolle, so die Experten. Doch nicht ein einziger Vorschlag oder eine Anregung findet sich im siebten Medienänderungsstaatsvertrag wieder. Die Kritik an unzureichenden Reformen, an mangelhaften Veränderungen oder Beschränkungen, an der Präzision des Auftrags, die Abgeordnete aller Fraktionen vortrugen und teilweise ihre Ablehnung des Staatsvertrags begründeten, lief ins Leere. Auf der Onlineseite der FDP Rheinland-Pfalz findet sich die optimistische Botschaft: „Nach der ersten Beratung im Landtag folgt nun die Beratung im zuständigen Fachausschuss. Dort wird der Gesetzentwurf detailliert diskutiert und gegebenenfalls angepasst.“ Doch das entspricht nicht der Realität: Die Abgeordneten können kritisieren, soviel sie wollen, sie können dem Gesetz nur zustimmen oder es ablehnen, „anpassen“ können sie nichts.

Beobachter bestätigen übereinstimmend, dass es sich bei den Debatten in den Medienausschüssen zumeist um sachliche und sachkundige Aussprachen handelte. Viele Sprecher forderten, dass die Reformen zu mehr Akzeptanz der öffentlich-rechtlichen Sender führen müssten und geplante Änderungen deshalb nicht weit genug gingen. Abgelehnt wurden unter anderem das Verbot der Presseähnlichkeit von öffentlich-rechtlichen Onlinetexten, die Reduzierung von Hörfunkangeboten, die Konzentration und Onlineverbreitung von Spartenkanälen oder auch Reduzierungen im Programm. Doch das war wie das Pfeifen im Walde.

Wie ein völkerrechtlicher Vertrag

Genau genommen haben weder das Thüringer Landesparlament noch alle anderen 15 Volksvertretungen über den Staatsvertrag selbst abgestimmt. Ihr Votum galt dem „Entwurf eines Gesetzes zur Zustimmung zum Reformstaatsvertrag“. Damit der Reformstaatsvertrag geltendes Recht wird, muss er so in Landesrecht umgesetzt werden. „Bei Staatsverträgen handelt es sich von der Rechtsnatur her um einen eigenen Typ des ‚Zwischen-Länder-Rechts‘“, sagt der Medienrechtler Dieter Dörr im Gespräch mit der F.A.Z. Die rechtsverbindliche Wirkung eines solchen Staatsvertrags lasse sich durchaus mit der eines völkerrechtlichen Vertrags vergleichen. Um den Inhalt des Staatsvertrags in Landesrecht umzusetzen, bedarf es der Transformation beziehungsweise eines Umsetzungsbefehls, den die jeweiligen Landesparlamente erteilen müssten. „Um ein Auseinanderfallen von geltendem Landesrecht und vertraglicher Bindung zu vermeiden, enthalten die Staatsverträge regelmäßig einen Ratifikationsvorbehalt. Daher hinterlegen die Länder jeweils ihre Ratifikationsurkunde erst dann, wenn das jeweilige Landesparlament zugestimmt hat. Zudem tritt der Staatsvertrag nur in Kraft, wenn alle Länder bis zu einem bestimmten Datum ihre Ratifikationsurkunden beim jeweiligen Vorsitzland hinterlegt haben“, sagt Dörr. Da es sich bei der Umsetzung des Staatsvertrags in Landesrecht um ein sogenanntes „Zustimmungsgesetz“ handelt, sind inhaltliche Veränderungen nach der Unterschrift durch alle Ministerpräsidenten, die im März erfolgte, nicht mehr möglich.

Für seine Koalition in Brandburg ging die Abstimmung über den Rundfunkstaatsvertrag gerade noch einmal gut: der brandenburgische Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD).dpa

Für Rainer Robra, seit 23 Jahren Chef der Staatskanzlei in Sachsen-Anhalt, ist die Zuständigkeit bei der Ausarbeitung von Staatsverträgen in der föderalen Ordnung klar und auf bewährte Weise verteilt. „Die Verhandlungen liegen bei den Landesregierungen, vertreten durch die Ministerpräsidenten, weil nur so einheitliche Texte und tragfähige Kompromisse zwischen allen 16 Ländern erreicht werden können. Die Landtage behalten dabei ihre zentrale Rolle: Sie kontrollieren die Regierung, entscheiden über die Zustimmung zu Staatsverträgen und setzen damit den entscheidenden politischen Schlusspunkt.“ ­Dieser „Schlusspunkt“, der den Reformstaatsvertrag zur Makulatur hätte werden lassen, wurde beinahe von den sächsischen Parlamentariern gesetzt. In seiner dramatischen Rede vor der Abstimmung im Landtag hatte Ministerpräsident Michael Kretsch­mer eingestanden, dass sich das bisherige Prozedere ändern müsse: „Wir sehen, dass das Prinzip, das uns seit Jahrzehnten gedient hat, an sein Ende kommt. Über Jahrzehnte war das Prinzip in der Bundesrepublik Deutschland, dass wir das Verbindende gesucht, uns gemeinsam auf den Weg gemacht haben, Dinge zu ermöglichen. Wenn dieses Prinzip endet, endet auch unser kooperativer Föderalismus. Ich bin mit vielen kritischen Punkten einverstanden, sage Ihnen zu und werde es auch garantieren, dass für alle künftigen Medienstaatsverträge das Prinzip gilt, das wir hier vereinbart haben: ein Konsultationsmechanismus.“ Alle Fraktionen seien eingeladen, ihre Überlegungen einzubringen, und das werde künftig die Grundlage für die Verhandlungen in der Rundfunkkommission sein, so Kretschmer.

Läuft das bisher etwa reibungslos?

Einen solchen „Konsultationsmechanismus“ hält Rainer Robra anscheinend nicht für erforderlich. Wie er der F.A.Z. sagt, seien die Abgeordneten bereits heute in den Verhandlungsprozess einbezogen. Beispielsweise habe er selbst über den Reformstaatsvertrag in vielen Sitzungen des für Medien zuständigen Ausschusses wie auch in der Enquete-Kommission des Landtags von Sachsen-Anhalt berichtet. Und dies machten auch viele Kolleginnen und Kollegen in anderen Ländern so. Wenn das bisherige Verfahren so reibungslos liefe, ist es verwunderlich, dass in vielen Landtagen Kritik am Inhalt des Reformstaatsvertrags geübt und die mangelnde Einbeziehung beklagt wird.

Dieter Dörr war 30 Jahre als Medienrechtsprofessor oder Justiziar einer ARD-Anstalt eng mit der Entwicklung des deutschen Medienrechts befasst und hat in dieser Zeit 23 Rundfunkstaatsverträge oder entsprechende Gesetzesänderungen erlebt. Nach seiner Erfahrung könne der Einfluss der Parlamentarier vor Abschluss eines Staatsvertrages erhöht werden, da dies in regelmäßigen Etappen erfolge. Während der Vertragsverhandlungen zwischen den Ländern sollte eine weitgehende Vorunterrichtung der Landtage stattfinden, um die Vorstellungen der Parlamente in die Verhandlungen und die jeweiligen Vorschläge einfließen zu lassen. Eine weitere Möglichkeit ergibt sich nach Ansicht von Medienrechtlern, wenn der Entwurf vorliegt und die öffentliche Anhörung stattfindet, bei der die Parlamente bisher außen vor sind. Auch zu diesem Zeitpunkt könnten die Ausschüsse noch Einfluss auf den Inhalt nehmen.

Die Entscheidungen in Sachsen und Brandenburg waren knapp. In Sachsen brauchte die Regierung von CDU und SPD die Stimmen der Grünen und der Linken. In Brandenburg sorgte die CDU-Opposition dafür, dass die geplanten Reformen beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk in Gang kommen. Der Staatsvertrag über die Finanzierung der Sender, der vorsah, den Rundfunkbeitrag mit einem gewissen Automatismus steigen zu lassen, hat sich indes erledigt. Die Landesregierungen von Bayern, Sachsen-Anhalt und Sachsen unterzeichnen ihn nicht, weil sie von den Öffentlich-Rechtlichen erwarten, dass sie ihre Klage vor dem Bundesverfassungsgericht wegen der zuletzt ausgebliebenen Erhöhung zurückziehen. Daran denken die Sender jedoch nicht.

Die Medienpolitik ist föderal zerrissenes Stückwerk. Minderheitskabinette, die um jede Abstimmung kämpfen müssen, sind in einigen Ländern möglich. Soll die Medienpolitik handlungsfähig bleiben, muss es mit der Statistenrolle der Abgeordneten ein Ende haben. So, wie es Sachsens Ministerpräsident garantiert hat.

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